Kommentar Alkohol: WHO um Frauen besorgt, um Männer nicht
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24. Juni 2021, 19:04 Uhr
Die WHO macht Schlagzeilen: Angeblich will sie Frauen im gebärfähigen Alter Alkohol verbieten. Wirklich? Eigentlich enthält der globale Alkohol-Aktionsplan einen viel gravierenderen blinden Fleck.
"WHO fordert: Kein Alkohol für Frauen im gebärfähigen Alter!" Eine von vielen aktuellen Schlagzeilen, die sich ähneln, eine Reaktion auf einen Entwurf der Weltgesundheitsorganisation für einen weltweiten Aktionsplan gegen schädlichen Alkoholkonsum. Was für eine Steilvorlage für globale Schnappatmung. Jedenfalls in den Gesellschaften, in denen Wein, Bier, Schnaps, der Sherry vor dem Mittagessen und der Whiskey nach dem Grillen zum gesellschaftlichen Grundrauschen gehören. Da die alkoholkonsumierende Welt seit Monaten unfreiwillig entwöhnt ist, was gemeinschaftliches Trinken angeht, könnte man der WHO glatt eine seltsame Art gemeinschaftsbildender Maßnahme à la Asterix und Obelix unterstellen: Die spinnen, die bei der WHO! Kommt jemand mit, WHO-ler verhauen? Schließlich haben zu Alkohol alle eine Meinung, oder mindestens eine Haltung und schöpfen dabei teils tief aus verschiedenen Erfahrungen: Entweder, weil sie selbst keinen Alkohol trinken, oder noch nie getrunken haben; weil sie andere unter Alkoholeinfluss erlebt haben, oder schlimmstenfalls selber mit Beeinträchtigungen leben durch FAS (fetales Alkoholsyndrom) oder den Begleiterscheinungen elterlichen Alkoholmissbrauchs.
Warum die kollektive Schnappatmung?
Aber was genau sorgt da eigentlich für die kollektive Schnappatmung? Ein kleiner Passus in einem Entwurf zu einem Aktionsplan. Der auf Seite 17 tatsächlich zu mehr Prävention rät, wenn es um den Beginn des Alkoholkonsums von Kindern und Jugendlichen geht, sowie um Prävention von Alkoholkonsum bei schwangere Frauen und Frauen im gebärfähigen Alter:
Der Alkoholprävention bei Kindern und Jugendlichen, der Alkoholprävention bei Schwangeren und Frauen im gebärfähigen Alter sollte angemessene Aufmerksamkeit gewidmet werden (...).
Die WHO-Formulierung bietet damit tatsächlich einen extrem diskussionswürdigen Subtext. Aus dem lässt sich mit spitzer Zunge in patriarchatskritischer Lesart ein Verbot herauslesen: Soll da am Recht auf Selbstbestimmung der menstruierenden Bevölkerung gesäbelt werden? Die Empfehlung scheint alle weiblich gelesenen Personen mit Beginn der Menstruation über einen breiten Kamm scheren zu wollen, potentielle Mütter qua biologischen Geschlechts zur Alkoholabstinenz bis zur Menopause verdonnern. Und das, ohne zu wissen, ob und wann Menstruierende über Elternschaft nachdenken, was ihre Lebenspläne sind. Was, wenn Menstruierende gar nicht Eltern werden wollen, oder aus verschiedensten Gründen gar nicht können? Wer das so liest, ist zurecht empört und surft damit auf einer global schwappenden Empörungswelle.
Alkoholabstinenz: Warum nicht für Männer im zeugungsfähigen Alter?
Und die würde noch ganz anders schwappen: Man stelle sich das mal umgekehrt vor und empfehle Männern im zeugungsfähigen Alter Alkoholabstinenz bis zur Zeugungsunfähigkeit. Der Aufschrei der Empörung wäre vermutlich noch auf der ISS zu hören: Mein Bier gehört mir!
Diese Empfehlung wurde nun aber nirgends formuliert. Dabei geben viele Daten, und nicht nur die des WHO-Entwurfs, zu denken: 283 Millionen Menschen ab 15 Jahren und älter leben mit Alkoholkonsum-Störungen, davon 237 Millionen Männer und 46 Millionen Frauen. Auch Studien, die gesundheitliche Schäden bei der nicht-menstruierenden Bevölkerung durch Alkohol aufzeigen: zum Beispiel Geschmacksverlust , verminderte Spermienqualität, erhöhtes Risiko für Prostatakrebs. Oder die Tatsache, die eine Meta-Studie beschreibt, dass weltweit jährlich 6,8 Prozent aller Todesfälle bei Männern auf Alkohol zurückzuführen sind und 2,2 Prozent bei Frauen. Alkoholmissbrauch gilt seit Jahrzehnten als einer der Risikofaktoren schlechthin für verschiedenste Krebsarten, bei den über 50-Jährigen dominieren Tumorerkrankungen bei alkoholbezogenen Todesursachen. Von all den anderen Nebenwirkungen durch Gewalttätigkeit unter Alkoholeinfluss, Unfälle im Straßenverkehr oder soziale Verwerfungen durch Alkoholismus mal ganz zu schweigen.
Angesichts all diesen Wissens zum Thema Alkohol und seinen Folgen erinnert die Richtung, in die WHO mit ihrem Aktionsplan zielt, ein wenig an das menschgemachte Plastikmüll-Dilemma: Diejenigen, die nichts für die Verpackungsberge können, mühen sich mit Mülltrennung und sysiphos-ähnlichen Versuchen, plastik- und verpackungsfrei einzukaufen. Logischer wäre es, bei denen anzusetzen, die Verpackungen herstellen. Bezogen auf Alkohol hieße das zum Beispiel, die Industrie dahinter an den Kosten für die Schäden durch Alkoholkonsum zu beteiligen.
Dass die WHO mit ihrer wenig griffigen Formulierung ein ganz anderes Thema getriggert hat, nämlich Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Machtgefälle zwischen Menstruierenden und Nicht-Menstruierenden weltweit, hätte den Verantwortlichen auffallen können. Ist es aber nicht. Warum? Die Vermutung liegt nahe: Unter den Menschen, die das Papier ausgearbeitet haben, war offenbar niemand im gebärfähigen Alter, dem die Unwucht in der Fokussierung aufgefallen wäre.
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