Verpackung Plastikmüll & Abfallwirtschaft – tragen Verbraucher die Verantwortung?

17. Juni 2020, 13:58 Uhr

Ein Horrorszenario: Bis 2050 treibt sich mehr Plastik im Meer herum als Fische. Ausläufer davon sieht man auf Plakaten: Delfine mit Plastiktüten im Maul und der Aufschrift: "Wir haben die Schnauze voll". Theoretisch finden die meisten das schlimm, praktisch stopfen wir Deutschen mehr Plastikmüll als alle die meisten anderen Europäer in unsere Tonnen, 38 kg pro Jahr. Der EU-Pro-Kopf-Durchschnitt liegt "nur" bei 24 Kilo. Dabei gilt Deutschland doch als Musterland für Mülltrennung?!

Also - was machen die anderen in Europa anders und offenbar auch effektiver? Professor Dr. Eugen Herzau von der HTWK in Leipzig bringt die Gründe für den schwereren Plastikmüllberg in Deutschland im Gespräch mit MDR Wissen auf drei knappe Punkte: Verbrauchergewohnheiten, Nahrungsgewohnheiten, Bequemlichkeit. Was heißt das konkret?

Drei kleine Unterschiede  – 14 Kilo Plastik

"Es ist die Art, wie wir leben", sagt Herzau und führt aus: "Nirgends sonst gibt es so viele Single- und Zweipersonen-Haushalte wie in Deutschland." Das hat Folgen. Viele kleine Haushalte bedeuten viele kleine Lebensmittelportionen in speziellen Verpackungen.

"Dann das, was wir essen: Fertiggerichte." Die werden aufgewärmt, selbst Klassiker wie Roulade mit Kloss und Rotkraut gibt es vorgekocht, eingeschweißt und kartoniert in der Single- oder Pärchenvariante. "Anderswo in Europa wird selbst gekocht, und während man in Deutschland in Supermärkten Großeinkäufe für die komplette Woche im Einkaufswagen sammelt, wird in anderen Ländern frisch auf dem Markt eingekauft." Lose Äpfel, lose Kartoffeln, Gurken ohne Folie.

Verpackungsmüll: Wer hat's in der Hand – Verbraucher oder Hersteller?

Aber wer hat an dieser Verpackungsmisere Schuld – der Verbraucher oder die Verpackungsindustrie?

"Das ist wie die Frage, wer zuerst da war, Huhn oder Ei; von Bedürfnissen die geweckt und dann befriedigt werden" sagt Professor Herzau, Spezialist für Verpackungstechnik. Es zwingt uns keiner, fertig abgepackte Wurst und Käse zu kaufen oder die geschälte Banane im Plastikbehälter:

Das ist eine Frage von Bedürfnis und Nachfrage. Wenn es keiner annimmt, verschwindet es vom Markt. Wir entscheiden an der Fleischtheke, ob wir uns die Wurst frisch abschneiden und in Pergamentpapier einwickeln lassen, oder, zackzack, zum eingeschweißten Aufschnittmix greifen. Das geht schneller, man muss nicht warten.

Sein Plädoyer: Mehr Genügsamkeit beim Verbraucher, weniger Wachstumsfixierung in der Wirtschaft.

Seit wann übernimmt der Verbraucher die Verantwortung für den Müll?

Aber wenn das so einfach wäre. Wer schält und kocht und rührt von Hand Kartoffelstampf, wenn die lange haltbare Fertigpackung im Schrank gestapelt auf ihren Einsatz wartet? Der Verbraucher hat nicht zufällig gelernt, dass er auch die Verantwortung für die Müllberge, die er durch seine Kaufentscheidungen trifft, trägt. Daran hat auch die Verpackungsindustrie ihren Anteil.

Einen äußerst erfolgreichen Aufschlag dafür machte in den 1950er-Jahren die Umweltkampagne "Keep America beautiful". Hintergrund war die zunehmende Vermüllung entlang der amerikanischen Highways, die mit dem neuen amerikanischen "way of live" und dem Konsum food-on-the-go einher ging. Beteiligt an der Kampagne waren Wirtschaftsriesen wie Coca Cola, Pepsi Cola und Philip Morris, sowie Non-Profit-Organisationen, staatlich gelenkte Gruppen und Privatleute: Hier legten die Produzenten, Verpacker und Politiker zusammen mit ersten Umweltaktivisten die Verantwortung für die Umwelt in die Hand der Verbraucher: 1970 gab es erste Umweltbroschüren, 1971 den ersten "EarthDay", Mitte der 1970er-Jahre erste gemeinschaftliche "Cleanups".

Der Müll und woher er kommt

Und da liegt sie bis heute, die Verantwortung für die Umwelt: In der Hand der Verbraucher. Manchmal sind es einzelne Umweltaktvisten, manchmal Nichtregierungs-Organisationen, die sich dem Kampf gegen den Müll stellen. Denken wir an den Niederländer Boyan Slat, der mit seinem Ocean Cleanup-System Plastik aus dem Meer fischen will.

Oder vielerorts im Frühjahr, von Bürgern selbst organisierte "Cleanup-Events", bei denen aus Flüssen, Seen oder in Parks Müll gefischt und gesammelt wird. Ganz hip seit ein paar Jahren: die DIY-Welle hilft munter per Up-Cycling dem Müllberg Material zu entziehen. Oder eine breite Allianz diverser NGS, das "cleanupeuropenetwork Europa" - unterstützt von Einweg-Verpackungsherstellern, die sich auf hygienische Einweg-Verpackungen für Lebensmittel spezialisieren, zu Gesundheit und Sicherheit des Verbrauchers, wie es auf der Webseite heißt. Die Allianz will dem Verbraucher helfen und ihn sensibilisieren, sein Verhalten zu ändern, wie sie mit Müll umgehen, ihr Müllbewusstsein schulen oder vernünftige Müllbeseitungs-Strategien einfordern.

Der Müll und wer die Macht darüber hat

An keiner Stelle fällt ein Wort darüber, dass Müll und Verpackungen nicht vom Himmel fallen. Sie werden bewusst produziert, einige bewusst für den einmaligen Verbrauch wie Plastik-Mülltüten, Wattestäbchen oder Plastikflaschen für Getränke und Shampoos. Der Verbraucher hat die Macht über seinen Müll, aber nicht die alleinige Verantwortung. Ein Unterschied, über den es sich lohnt nachzudenken.

Logo MDR 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
2 min

Plastik verrottet nicht – was also tun gegen den Müll? Schwedische Forscher haben eine Lösung: Enzyme.

BRISANT Mi 22.03.2023 17:15Uhr 01:48 min

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um vier | 12. Juni 2019 | 16:00 Uhr