Dienstag, 12.11.2024: "Verspäte mich um 10 min, sorry"

Solche Nachrichten tippe ich in letzter Zeit leider öfters in mein Handy, wenn ich gerade mal wieder in einer Sackgasse gelandet bin oder vor einer Straßensperrung stehe, die gestern noch nicht da war und über Nacht aus dem Boden geschossen ist. Die ganze Stadt scheint eine einzige Baustelle zu sein.

Dr. Ulrike Lynn 3 min
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3 min

gesprochen von Ulrike Lynn

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Di 12.11.2024 05:45Uhr 02:43 min

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Pünktlich am Arbeitsplatz, zur Verabredung oder beim Zahnarzt zu erscheinen, wird plötzlich zu einer Herausforderung, die mich stresst. Gerade im Auto und vor allem im Berufsverkehr. Ich stöhne und ächze, führe wütende Selbstgespräche. Manchmal höre ich mich sogar fluchen.

Geduld ist gefordert. Ich spüre, es fällt mir schwer, Hindernisse zu akzeptieren und nicht immer auf dem schnellsten Weg voranzukommen. Das gilt nicht nur für den Straßenverkehr - auch mit den Baustellen in meinem Leben kann ich nur selten nachsichtig sein. Im Alltag gibt es oft Zeiten, in denen scheinbar nichts vorangeht, Zeiten des Stillstands, des Wartens.

Dann muss ich mir Umleitungen schaffen, eigene kreative Schleichwege um das vermeintliche Hindernis. Was auf den ersten Blick wie eine Vollsperrung oder Sackgasse erscheint, entpuppt sich aber im Nachgang oftmals als Segen. Ich vertraue darauf: Auf den Baustellen meines Lebens ist Gott der Baumeister. Er arbeitet an mir, formt und verwandelt mich. Manchmal müssen alte Strukturen abgerissen werden, damit Neues entstehen kann.

Jede innere Baustelle fordert mich auf, meine Perspektive zu ändern, nach Lösungen zu suchen, neue Wege zu erkunden und nicht immer nur auf der Zielgeraden unterwegs zu sein.

Entschleunigung. Im Alltag wie im Straßenverkehr.

Als ich gestern vor einer Vollsperrung in der Innenstadt zum Anhalten gezwungen war und hilfesuchend um mich schaute, traf mein Blick den einer anderen Autofahrerin. Wir zuckten beide mit den Schultern und mussten plötzlich laut lachen. Eine kurze Begegnung und ein unerwartetes Gefühl von Verbundenheit in einer scheinbar ausweg-losen Situation. Am Ende sind wir beide ans Ziel gekommen, ja, vielleicht mit 10 Minuten Verspätung, aber am Ziel. Und unser Lachen habe ich mir noch den ganzen Tag über behalten. 

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

Kurzvita Dr. Ulrike Lynn

Dr. Ulrike Lynn

Ulrike Lynn wurde 1980 in Erfurt in geboren | studierte in Berlin Germanistik und Philosophie | sie promovierte im Fachbereich Semiotik | Seit 1. August 2023 ist sie die Beauftragte der Katholischen Kirche für die Europäische Kulturhauptstadt Chemnitz 2025.

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.