Donnerstag, 16.01.2025: Mit Rücksicht weiter
Wir sind mit dem Auto unterwegs. Eine gewellte Landschaft, grüne Hügel auf denen Felsformationen thronen, farnbewachsene Hochmoore, bewaldete, tief eingeschnittene Täler. Und Schafe über Schafe: auf den hellgrünen Weiden, auf den felsigen Bergspitzen, auf der Straße. Hüfthohe Feldsteinmauern begrenzen den Asphalt. Mit Moos und Farn bewachsen, hübsch anzusehen. Die Straße ist kaum breiter als unser Auto. Stellenweise kratzen Brombeerranken und Heckenrosen an den beiden Außenspiegeln.
Alle paar Minuten dann dies: Gegenverkehr. Zwei Fahrzeuge kommen nicht aneinander vorbei. Die Straße ist einfach nicht dafür gebaut. Während die Beifahrerin ihren erhöhten Puls wegatmet, sucht der Fahrer den Kontakt zum entgegenkommenden Chauffeur. Es gilt, sich mit Handzeichen oder Lichthupe zu verständigen, wer den Rückwärtsgang einlegt und bis zu einer etwas breiteren Stelle oder einer Feldeinfahrt zurückstößt. Beide wissen: Wir haben nur die eine Straße; wir wollen sie beide benutzen. Wenn wir beide ans Ziel wollen, müssen wir uns einigen.
Ein treffendes Bild für ein gelingendes gemeinsames Leben: Um vorwärts zu kommen, muss es auch mal rückwärtsgehen. Im Verlaufe der weiteren Fahrt meistern wir das gegenseitige Vorbeilassen in den engen Straßen immer routinierter. Erstaunlich dabei: Es geht so reibungslos, ohne aufgeregtes Hupen oder gestikulieren. Es zählen nicht die üblichen Kategorien: größer, stärker, erster, zweiter, oben, unten. Kurze Verständigung per Handzeichen: Du fährst vor und ich zurück. Oder: Du fährst zurück und ich vor. So fahren wir den Berg rückwärts wieder etwas hoch als uns ein Viehtransporter entgegenkommt. Aber wir erleben auch, wie ein Linienbus für unser kleines Auto Platz macht und hundert Meter zurücksetzt.
Welch ein Bild für das Leben: Damit ich vorwärtskomme, muss ich auch mal meinem Gegenüber die Vorfahrt lassen. Und immer mit Rücksicht aufeinander.