Dienstag, 24.10.2023: Herkunft
Ich muss in meinen Zwanzigern gewesen sein. Da öffne ich die Tür zum Konferenzraum. Parfümgeschwängerte Luft. Schicke Menschen. Ich sehe Perlenohrringe, Handtaschen und auffällige Brillen bei den Frauen. Tweedjackets, Krawattennadeln und Siegelringe bei den Männern. Okay, diesen beruflich gestandenen, weltgewandt wirkenden und im Durchschnitt zwanzig Jahre älteren Damen und Herren dort in Westfalen soll ich von einem Dresdner Projekt erzählen. Schon äußerlich unterscheide ich mich mit meinem Rucksack und den eher praktischen Reiseklamotten. Was, wenn ich sächsle? Was, wenn ich von Dresden alles ganz anders kenne, als es in dieser westfälischen Stadt vorausgesetzt wird? Kurz fällt mir das Herz in die Hose.
Nach vielen Jahren kann ich mein Befinden von damals nüchtern beschreiben: Jung, weiblich, aus dem Osten kommend bin ich selbstverständlich anders aufgewachsen als all die Menschen dort. Aussehen, Auftreten, Sprache sind unübersehbar und unüberhörbar verschieden. Ja, es gibt diese Unterschiede: zwischen Regionen, Milieus, Einkommen, Bildungsgraden. In welcher Umgebung, in welcher Schicht, mit welcher Identität jeder aufwächst, das prägt. "Herkunft klebt wie Scheiße am Schuh", sagt die Bautzner Autorin Marlen Hobrack recht drastisch. Für manches davon schämt man sich. Vielleicht auch ungerechtfertigt.
In Richtung Westfalen konnte ich damals einen Funken überspringen lassen, etwas mitgeben davon, wie begeisterungsfähig und kreativ Dresdner Christen ein stadtweites Projekt auf die Beine stellen können. Ich glaube, Gott versteht die Dinge, die uns peinlich sind. Und zugleich sieht er unser Mühen. Und das unserer Mütter und Väter, die ebenfalls eine Herkunft haben. Gott ermutigt uns, uns von dem zu emanzipieren, was uns bremst. Er stärkt uns, an dem festzuhalten, was gut ist an allem, was uns mitgegeben wurde. Damit dies uns dazu verhilft, die Person zu sein oder zu werden, die in uns steckt. Manchmal auch erst nach Jahrzehnten.