Verkündigungssendung Das Wort zum Tag bei MDR SACHSEN | 09. - 15.10.2023
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Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche Pfarrer Holger Treutmann, am Sonnbtag Christoph Pötzsch.
Sonntag, 15.10.2023:
Sonnabend, 14.10.2023: Wie ein Ei dem anderen
Kein Ei gleicht dem anderen.
Als die Frau vom Hühnerhof die Schale reicht, habe ich es deutlich vor Augen. Es ist nicht ein Ei wie das andere. Da waren weiße und braune, eines schimmerte blau, ein anderes wartete mit einem Grünton auf. Das ganz links war gesprenkelt und zwei in der Mitte waren deutlich kleiner als die anderen. Manche streckten sich, andere wirkten eher gedrungen.
Als ich die Eier einzeln aus der Packung in der Kühlschrankinnentür platzierte, wehrten sie sich geradezu, die genormten Mulden für einen aufrechten Stand zu akzeptieren. Jedes beharrte darauf, ein kleines Kunstwerk zu bleiben.
Das sind sie wohl auch.
Alle Menschen sind vor Gott gleich.
Da ist weder Jude noch Grieche, weder Frau noch Mann, weder Knecht noch Herr, ihr seid alle eins in Christus, schreibt der Apostel Paulus in einem Brief der Bibel. Und warnt auch, dass alle einmal vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden müssen. Am Ende gibt es keine Unterschiede.
Aber auch das gilt:
Jeder Mensch ist ein geliebtes Geschöpf Gottes unverwechselbar mit einem Fingerabdruck, der zwar auf dem Papier in Ei-Form immer irgendwie gleich aussieht, aber eine Struktur aufweist, die jeden Menschen unter Tausenden identifizierbar macht.
Wie gelingt dieser Balanceakt? Allen unterschiedslos Würde und Recht zuzusprechen und zugleich jedem und jeder als Individuum gerecht zu werden?
Wir bemühen uns gerade, in unserer Sprache zumindest geschlechtergerecht zu reden. Allerdings wirkt dieser Versuch für viele auch künstlich, weil die Sprache holpert, und es ohnehin nicht gelingt, der Verschiedenartigkeit jedes wunderbar geschaffenen Menschen sprachlich Raum zu geben. Da fallen viele dann doch ins generische Maskulin zurück, die männliche Form für Sammelbegriffe. Was nicht fair ist, aber hilft, die Gleichheit der Eier bei all ihrer Verschiedenheit irgendwie zur Sprache zu bringen.
Ich vertraue darauf, dass Gott jedem Geschöpf gerecht wird, auch wenn wir verallgemeinern müssen. Auch wenn unsere Sprache normt und vereinfacht, können wir den Blick schärfen für die wunderbare Vielfalt des Lebens.
Freitag, 13.10.2023: Religiöse Restwärme
Beim Entrümpeln des Dachbodens fiel es ihr in die Hände, schreibt die junge Frau: Das Kruzifix aus Großmutters Haus. Wie lange es jetzt schon in der morschen Pappkiste liegt, die mehrfach mit ihr umgezogen ist! Ein Bein fehlt. Der arme Kerl. Eigentlich ist es Zeit, endlich klar Schiff zu machen. Weg damit!
Der Glaube bedeutet ihr nicht viel. Die Großmutter schon. War ihr der Glaube eigentlich wichtig? Geredet haben sie darüber nicht. Sie hält das versehrte Kruzifix in der Hand. Sieht noch vor Augen, wo es seinen Platz hatte. Nur aus Tradition oder ganz bewusst über der Eckbank am Esstisch? Oft haben sie da gegessen und zusammen gespielt. Sie hatte sich immer wohlgefühlt bei ihrer Oma in der Küche.
Sie bringe es einfach nicht übers Herz, das Kruzifix wegzuschmeißen, gesteht die Frau in der Kolumne einer Wochenzeitung und bittet um Rat, so wie man gute Fragen ins Internet stellt und auf interessante Antworten hofft.
Nein, ich möchte nicht weiter hinterfragen, was ihr Grübeln bedeutet. Ihr doch heimlichen Glauben unterstellen. Ihr erklären, was sich hinter der Liebe zur Oma verbergen könnte. Oder ihr einen Tipp geben, was sie mit dem Kruzifix machen solle.
Ich tue es nicht, auch wenn mir tausend Gedanken kommen, weil ich in glaubensarmer Zeit selbst auf der Suche nach religiöser Restwärme bin.
Jesus hat ein appes Bein. Religion liegt beim Gerümpel. Die Oma ist tot. Die Enkeltochter lebt.
Ich mag sie, weil sie einen Moment zögert, wo sie ihr Andenken einordnen will auf der Skala zwischen Heiligtum und religiösem Kitsch. Das Zögern genügt.
Es ist mir heilig und ihre Predigt für mich heute.