Verkündigungssendung Das Wort zum Tag bei MDR SACHSEN | 23. - 29.10.2023
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Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche Mira Körlin, am Sonntag Elisabeth Schwope.
Sonntag, 29.10.2023
Sonnabend, 28.10.2023: Bunte Scherben
Schon die Diagnose war wie aus heiterem Himmel gekommen. Und alles, was danach kam, ging viel zu schnell. Ein Jahr später sieht sein Grab noch immer frisch aus. So frisch, wie der Schmerz, der im Inneren bohrt und die Tränen nach außen drückt. Ob sie hier steht, oder am Küchentisch sitzt, oder im Bus: Immer wieder ballen sich die Fragen im Kopf. Sie blähen sich auf und nehmen alles ein. Als wüssten sie, dass sie sich die Welt nicht mit Antworten würden teilen müssen. Warum? Was wird? Was bleibt?
Auf manche Fragen gibt es keine Antwort. Noch nicht. Das Bild bleibt dunkel, das Sichtfeld vernebelt. Zerbrochen fühlt sich alles an. Sie läuft noch ein Stück über den Rasen des mit Liebe gepflegten Friedhofs. Blätter liegen unten. Wind weht. Auch in ihr fühlt es sich nach Herbst an. Plötzlich hört sie ein zartes Klingen. Sie schaut hoch. Droben am Ast eines kräftigen Baumes hängt ein Windspiel aus Glasscheiben. Sie sehen aus wie bunte Scherben: blau, rot, grün. Ganz bewusst hat die Friedhofsverwaltung in Dresden-Cotta das Windspiel aufgehangen. Es ist eine von mehreren Stationen eines Trauerwegs. Er soll Besucher, Angehörige trösten. Vielleicht auch Menschen, die bereits wissen, dass sie bald sterben werden, einen Impuls mitgeben. Ja, das Leben fühlt sich manchmal an wie ein Scherbenhaufen. Dem einzelnen Versatzstück fehlt die Einbettung, die Verankerung. Die eigenen Empfindungen geraten in solch schweren Momenten durcheinander.
In einem Brief an eine der frühen christlichen Gemeinden heißt es: Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleich wie ich erkannt bin. (1. Kor. 13,12) Irgendwann im Frühjahr wird sich die Erde an seinem Grab gesetzt haben. Den Fragen in ihrem Kopf ist die Luft ausgegangen. Sie haben stattdessen Platz gemacht für eine Gewissheit, die sich ausbreitet: Dass gute Erinnerungen bleiben werden und das Leben auch in seiner Gebrochenheit bunt ist wie das Windspiel im Baum. Und eine Hoffnung kommt hinzu: Selbst einmal irgendwann einzugehen an einem letzten Ort und sich dort aufgenommen zu fühlen.
Freitag, 27.10.2023: Wann ist ein Mann ein Mann?
In einer Zeitung haben kürzlich Dutzende Männer erzählt, was es für sie heißt, ein Mann zu sein: Sportler, Künstler, Handwerker, Rapper, Ärzte, Unternehmer zwischen 20 und 80 Jahren.
Ein 60-jähriger Biologe beschreibt, welche Alleinstellungsmerkmale die Evolution den Männern beschert hat: im Stehen pinkeln zu können. Mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann eine Glatze und im hohen Alter Prostatakrebs zu bekommen. In Bezug auf besondere männliche Eigenschaften ist einigen, die sich zu Wort melden, Charisma wichtig, trainiert zu sein, durchzuhalten, auch, wenn es schwierig wird. Schmerzen aushalten gehöre zum Mann dazu, meint einer, und mit Gefühlen umgehen zu können. Ein gestandener Malermeister sagt, dass es zum Mann gehöre, Verantwortung zu übernehmen, beruflich wie privat. Partner zu sein, Vater zu sein, gern auch Gentleman. Sich mal zurück nehmen zu können, nicht immer alles zu ernst zu nehmen, leben und leben zu lassen.
Ein vielfältiges Bild.
Dem Anschein nach haben Menschen nie so stark wie heute Rollenbilder hinterfragt. Wenn ich auf eine prägende Figur des Christentums schaue, ist diese mit Jesus männlich. Und doch sprengt er Kategorien. Als Mann. Als Mensch. Er beweist Empathie, wenn er sich auf Zeitgenossen einlässt, die krank sind oder ausgeschlossen vom Leben. Er greift durch und wird laut, als er im Tempel die Händler verjagt. Doch er ist auch wochenlang allein, meditiert und betet. Er begeistert die Massen.
Und ich stelle mir vor, dass er kraftvoll spricht, alle mitreißt, aber zugleich auch weiche Seiten zeigt. Wenn Jesus Folter erduldet, angefochten wird, bleibt er standhaft.
Jesus sah sich selbst in der einmaligen Rolle als Gottessohn und Messias. Aber in dem, wie er lebte, stritt und Dinge erduldete, blieb er einfach er selbst, unabhängig von Erwartungen und Klischees.
Vielleicht ist es das, was dieser Jesus uns Heutigen in Bezug auf die Frage nach Identität mitgeben kann: Am Ende geht es darum, "man selbst zu sein", sich nicht abhängig zu machen von Klischees, die manchmal auch eine Last sein können. Das gilt für Männer, Frauen, alle Geschlechter.