Ostermontag, 10.04.2023: Staunen
Heute ist Ostermontag. Ein Tag an dem wir ganz schön ins Staunen kommen können. Denn das Osterfest mit seiner unglaublichen Geschichte von Tod und Auferstehung bringt uns entweder zum Zweifeln oder zum Staunen. Ein Mensch, der am Kreuz stirbt und nach drei Tagen von den Toten aufersteht? Von dem erzählt wird, dass er seinen Jüngerinnen und Jüngern erscheint und Sohn Gottes ist. Da gibt’s schon ziemlich viel zu glauben oder zu zweifeln. Auf jeden Fall kommt man um jede Menge Fragen kaum herum.
Staunen ist eine tolle Eigenschaft, das vielleicht sogar schönere Wort dafür ist „Wundern“ Im Staunen liegt, so sagen die alten Griechen, der Beginn des Philosophierens. Die Philosophie, also die Liebe zur Weisheit, wie es übersetzt heißt, hinterfragt Dinge, die uns zunächst als selbstverständlich erscheinen. Solange diese Dinge nicht hinterfragt werden, nennen die Griechen sie einfach „Meinung“. Und diese Meinung wollen sie nicht einfach so stehen lassen, sondern schauen etwas genauer hin.
Platon fasst das einfach in einem Satz zusammen: Das Staunen ist die Einstellung eines Menschen, der die Weisheit wahrhaft liebt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen.“ (Platon: Theaitetos) Ganz einfach: Staunen macht neugierig.
Jemand, der beides kann, Staunen und nach Antworten suchen ist Harald Lesch, der wohl bekannteste Astrophysiker Deutschlands. Mit seiner Sendung „Terra X“ macht er komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge für jedermann verständlich. Dabei ist das Fernsehen nur ein zusätzlicher Schauplatz für ihn. Im Hauptberuf lehrt er als Professor für Astrophysik in München.
Staunen gehört für ihn zum Berufsalltag. Wäre da Ostern nicht ein passender Tag für so etwas wie einen „Welttag des Staunens“?
Ein „Tag des Staunens“ wäre eine gute Sache. Ich habe mal ein Buch geschrieben: „Wie das Staunen ins Universum kam“ - und das fände ich eine gute Sache. Also den Ostermontag zum „Tag des Staunens“ zu machen, wäre gut. Ich fände es aber gut, wenn man eben nicht nur an Feiertagen staunt, sondern sich immer mal wieder so ein Moment gönnt, um die Welt an sich herankommen zu lassen. Dann findet man sowohl den Sinn im Leben als auch wahrscheinlich Gott. Aber die beiden stehen immer sehr eng nebeneinander, soweit ich weiß, und unterhalten sich miteinander.
Der Sinn des Lebens und Gott stehen eng beieinander und unterhalten sich? Harald Lesch ist Physiker und bekennender Christ. Er drückt sich um die großen Fragen nicht herum: Gibt es Gott? Was ist der Sinn des Lebens? Aber - ist es nicht ein Widerspruch, Physiker und gleichzeitig Christ zu sein? Wie vereinbart Harald Lesch den scheinbaren Gegensatz von Physik und Glauben?
3. Ich bin das schon so oft gefragt worden, ich lache dann immer laut los. Denn ich habe überhaupt noch nie einen Widerspruch in mir erlebt. Ich glaube, wenn man sehr viele Dinge, die wir tun, zerdenkt, dann ist fast alles widersprüchlich. Und für mich geht es nicht darum, dass ich Christ bin, wenn ich Physik mache. Denn dann ist es wurscht, da werden Gleichungen gelöst. Aber wie ich mit der Welt umgehe, ich mit mir umgehe, ich mit meinen Mitmenschen umgehe - das hat sehr wohl was damit zu tun, von welchen Werten ich lebe. Und dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, das wissen wir alle. Und dass wir großzügig sein müssen und manchmal auch vergeben müssen, das wissen wir auch alle. Und schon sind wir bei den elementaren Dingen: Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg' auch keinem anderen zu.
Wer in der DDR großgeworden ist, kennt sicher noch den Anspruch des Marxismus, die einzige wissenschaftliche Weltanschauung zu sein. Ein Anspruch, der sich allerdings nicht halten lässt. Denn am Beginn stand die Frage: Was war zuerst? Bewusstsein oder Materie. Also ein Gott mit einer Idee, der die Welt schafft und darin wirkt oder eine längst existierende Welt, in die dann die Ideen hineingeboren werden. Eine völlig legitime Frage übrigens.
Dahinter steht die Hoffnung, Glauben durch Wissen ersetzen zu können. Aber die Antwort des Marxismus, dass zuerst die Materie sei, ist eine ebensolche Glaubensantwort, wie die, dass das Bewusstsein zuerst da war. „Am Anfang war das Wort“ beginnt das Johannesevangelium. Während hier aber jeder völlig zurecht sagen kann, das kannst Du glauben oder nicht, tat der Marxismus so, als sei diese Frage ein für alle Mal geklärt. Und sparte sich das religiöse und philosophische Fragen an dieser Stelle einfach oder verbot es gar. Dabei sind es doch gerade diese Grenzfragen, die das Denken so spannend machen.
Was reizt einen Astrophysiker wie Harald Lesch an religiösen und philosophischen Fragen?
Ich arbeite an der Hochschule für Philosophie in München am Institut für Naturwissenschaftliche Grenzfragen zur Theologie und Philosophie. Das heißt, ich bin genau an der Schnittstelle. Für mich war es zum Beispiel immer wichtig, Naturwissenschaft auch von der philosophischen Perspektive aus zu betreiben. Ich vergleiche das gerne damit: Ich bin Schauspieler, aber auch Theaterkritiker. Ich kann mich also auf der Bühne sehen und kann aber auch in der Loge oben sitzen und kann sagen: Was machen die denn da so? Und diesen Wechsel zu haben, das finde ich eigentlich ganz wunderbar. Deswegen sind diese Fragen, die ja keine rein naturwissenschaftlichen sind, eigentlich die interessantesten, weil sie auch in ihrer Antwort immer offenbleiben werden. Jede Generation wird diese Fragen neu stellen und jedes Mal gibt es vielleicht ganz neue Antworten.
Das klingt nun erfrischend undogmatisch. Die interessantesten Fragen bleiben in ihrer Antwort offen. Da ist wenig Platz für Rechthaberei und Fundamentalismus, sei er religiös motiviert oder lehnt er Religion kategorisch ab. Diese Antworten sind eher Angebote, von einem selbst als schlüssig erkannten Ort aus weiterzudenken.
Und dazu gehört auch die Frage. Was kann und sollen wir in dieser Welt tun? Hilft es Harald Lesch, solche religiöse und ethische Fragen als Wissenschaftler anzugehen?
Das ist ja keine naturwissenschaftliche Erkenntnis, das ist einfach das, was sich am besten und vernünftigsten herausgestellt hat. Insofern: Viele, viele Handlungsempfehlungen, die aus der Religion kommen, sind ja einfach goldene Lebensregeln. Und ich wüsste nicht, was mich davon abhalten sollte, dahinter auch ein Wollen und einen wirklichen Willen zu vermuten, dass die Welt gut wird mit uns als Handelnde. Wir sind ja in der Lage zu handeln und dass wir diese Entscheidungsmöglichkeit haben, das finde ich eine großartige Sache und auch einen echten göttlichen Impuls in meinem Leben.
Bei all diesen Fragen landet man zwangsläufig auch bei der Frage nach Gott. Dieser stellt sich Harald Lesch in seinen aktuellen Terra X Sendungen, die nicht ohne Grund zur Osterzeit laufen.
Wie lässt sich Gott suchen, lässt er sich finden? Oder gibt es ihn gar nicht und unser Gehirn spielt uns hier einen großen Streich?
Es gibt natürlich den philosophischen Gottesbeweis, der ist schon ziemlich alt, also fast 1000 Jahre alt. Und dann gibt es aber auch Versuche, in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts herauszufinden, welche Areale unseres Gehirns glauben denn an Gott und so weiter. Und ich habe mein erstes MRT gemacht. Also in dieser Sendung sehen Sie mich in dieser Röhre liegen, ich meditiere und dann soll rauskommen, ob jetzt mein spirituelles Areal da oben besonders angefeuert ist oder nicht. Ich verrate es nicht. Also die Fragen, die dahinterstecken, die verbinden ja auch Theologie und Philosophie miteinander. Und Menschen haben oft das Gefühl, dass sie in diesem Bermudadreieck von Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften untergehen. Und wir wollen ein bisschen dazu beitragen, dass es hier Möglichkeiten gibt, mit einer Fähre von einer Seite zur anderen zu fahren und sich mal anzugucken: Wie denken die darüber, was können die dazu beitragen? Am Ende bleibt man aber da und muss sich entscheiden. Man kann sich für oder gegen Gott entscheiden.
All dieses Denken und Entscheiden spielt sich in unsrem Kopf ab. Kein Wunder, dass Harald Lesch ins MRT steigt und neugierig darauf ist, was dabei herauskommt. Natürlich bleibt auch hier offen, ob es denn nun Gott gibt oder nicht. Die Hoffnung, Glaube durch Wissen ersetzen zu können, erfüllt sich nicht.
Doch welche Rolle spielt unser Gehirn eigentlich beim Glauben?
Unser Erleben von uns selber, also dass wir da sind, findet vor allen Dingen im Gehirn statt. Diese Innenperspektive des Menschseins ist vor allen Dingen eine Gehirnperspektive. Und insofern ist es natürlich völlig nachvollziehbar, dass empirische Wissenschaftler geguckt haben, welches Teil des Gehirns ist denn da am Werk? Und es ist in der Tat, so viel darf ich verraten, ein uralter Teil unseres Gehirns. Und es scheint so, als ob unser Gehirn sozusagen schon auf Gottesglaube angelegt sei, warum auch immer. Es wird von den einen ein bisschen verglichen damit: Na ja, unsere Augen sind so, wie sie sind, weil das Licht existiert. Vielleicht ist unser Gehirn so, wie es ist, weil Gott existiert. Das ist allerdings eine aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht notwendige Schlussfolgerung. Aber man kann sie ziehen.
Eine andere große Frage der Menschheit dreht sich um den Sinn des Lebens. Hier wird gefragt: „Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Warum sind wir hier auf Erden?“ oder „Wie sollen wir leben, um unseren Daseinszweck zu erfüllen?“
Dabei bleibt die Frage, ob uns als Menschen etwas vorgeben ist, bspw. durch ein göttliches Gebot, oder ob es der Natur entspringt. Kann man bei all dieser Fragerei noch den Überblick behalten?
Lange Zeit hatte man gar keine Zeit, sich nach dem Sinn des Lebens zu erkundigen, man hatte genug damit zu tun, überhaupt überleben zu können. Diese Sinnfragen sind Fragen - von einer sehr gesättigten Gesellschaft -, die sich häufig sehr ins Ego hineinziehen, also in das eigene Ich. Und dabei erfährt man irgendwelche Probleme, die gar nicht so einfach zu lösen sind. Weil natürlich ist da die Sinnfindung noch mehr auf die Einzelperson konzentriert. Den Sinn von etwas zu finden. Und auch, was es eigentlich bedeutet, was sinnlos ist. Also der Sinn kommt nicht von außen. Sondern das ist ein sehr intensives, inneres Gespräch im eigenen Leben, wenn die Frage sich stellt, den Sinn zu finden.
Ich muss immer an Lukas den Lokomotivführer denken, der in Lummerland jeden Tag seine Runden zieht. Und für uns als Kinder war das doch eine höchst angenehme Vorstellung, auf so einer Lokomotive mitzufahren. Und vor allen Dingen: Die Insel ist nicht so groß, sie ist überschaubar. Ich glaube, dass heute die Sinnsucherei häufig was damit zu tun hat, dass die Leute die Welt entweder nicht mehr verstehen, Angst vor anonymen Einflussmächten haben und deswegen auch so gerne Verschwörungstheorien hinterherrennen, die ja beliebig sinnlos sind. Und es wäre, glaube ich, dringend angesagt, sich mit diesen Sinnfragen auch als Gesellschaft zu beschäftigen. Was sind unsere Ziele? Und wenn wir sie erreichen, auch zu merken, das hatte Sinn, dass wir das getan haben.
Dringend sollten wir mal drüber nachdenken, wie lange wir uns diesen sinnlosen Blödsinn eigentlich noch erlauben. Weil das könnte uns am Ende fehlen, wenn es darum geht, höchst sinnvolle Dinge zu tun, wie zum Beispiel Energiewenden einzuleiten, Bildungswenden einzuleiten und armen Ländern zu helfen, wie sie irgendwie aus dem Schlamassel rauskommen.
Bei all der philosophischen Wahrheitssuche gerät fast in Vergessenheit, dass Harald Lesch Astrophysiker ist. Da darf schon mal gefragt werden, wie einzigartig der Mensch im Universum ist und wie viele weitere „lebenstaugliche Planeten“ seiner Meinung nach im Weltall existieren.
Also es ist sicher so. Da kann ich natürlich nur so die Standardantwort geben: Es gibt so viele Planeten, da wird schon irgendeiner dabei sein, auf dem es Leben gibt. Aber wenn wir in unsere eigene Erdgeschichte reinschauen, wann es zum ersten Mal komplexeres Leben gegeben hat, das kreucht und fleucht, das ist halt relativ spät gewesen. In 90 Prozent der Erdgeschichte gab es nur Einzeller. Das heißt, insofern wird es ganz schön schwierig werden, einen belebten Planeten zu finden, weil die Chance unheimlich hoch ist, dass man auf einen Planeten trifft, der zwar Leben besitzt, aber dieses Leben überhaupt keine Anzeichen hat, die wir von außen sehen können. Hinfliegen können wir auf jeden Fall nicht, das wissen wir. Die anderen sind ziemlich weit weg, da kann Elon Musk erzählen, was er will. Wir sollten viel lieber mit unseren Himmelsinstrumenten nicht ins Universum rausblicken, nach den Außerirdischen fahnden, sondern zurückblicken. 180 Grad zurück und den schönsten Planeten in der Milchstraße angucken. Der absolute Superplanet. Der Planet, von dem wir wissen, dass auf ihm Leben entstanden ist und was für eins: Nämlich Leben, das sich darüber Gedanken machen kann, ob es woanders Leben gibt.
Was mich am meisten fasziniert, ist diese grundlose Freude manchmal. Wissen Sie, heute Morgen habe ich eine E-Mail bekommen von einem guten Freund. Er hat mir einfach nur mal geschrieben: ‘Bin gerade in tiefen Erinnerungen versunken und habe fest an dich gedacht!‘ Das macht mir den Tag gut. Mehr kann man nicht verlangen als ein fröhliches Gesicht. Und wo man helfen kann, möglichst zu helfen. Und das fasziniert mich eigentlich am meisten, dass wir in der Lage sind, so viel Gutes zu tun.
Am Beginn der Sendung sprachen wir über die Idee, einen Welttag des Staunens einzuführen. Für Harald Lesch kann das jeder Tag sein. Wenn wir uns auf seine Wunder einlassen. Mit diesem offenen und fragenden Blick, lässt sich der Sinn des Lebens und vielleicht auch Gott, ab und an entdecken. Ich wünsche Ihnen eine gesegnete und neugierige Osterzeit!
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