Verkündigungssendung Das Wort zum Tag bei MDR SACHSEN
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Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche Pfarrerin Dr. Kathrin Mette.
22.02.2025: Was jetzt dran ist
Es ist gibt da diese Geschichte in der Bibel von Martha und Maria. Die beiden sind Schwestern, leben zusammen in einem Haushalt und sind mit Jesus befreundet. Der kommt hin und wieder vorbei, so wie Freunde das eben tun. Dann reden sie und essen und vielleicht legt sich Jesus auch mal eine Weile hin. Immerhin ist er viel unterwegs und kann etwas Ruhe zwischendurch gut gebrauchen.
Eines Tages ist es wieder so weit: Jesus besucht die Schwestern, so erzählt es die Bibel. Und während sich Maria gleich zu ihm setzt und ihn ausfragt und zuhört, macht sich Martha im Haus zu schaffen. Kann sein, dass sie Jesus was Schönes kochen will, vielleicht ist aber einfach noch so viel zu tun: Da steht der Abwasch von heute Morgen und die ungelegte Wäsche von gestern Abend und die Tiere müssen auch noch versorgt werden.
Sie wissen eventuell wie diese Geschichte weitergeht. Die geschäftige Martha beschwert sich bei Jesus über ihre untätige Schwester. Aber der widerspricht. "Es gibt im Moment Wichtigeres als Deine Arbeit, Martha“ antwortet er ihr sinngemäß. „Denn im Moment bin ich ja bei Euch zu Gast. Maria macht es richtig. Sie nimmt sich Zeit für mich. Sie spürt, was jetzt dran ist."
Wann ist was dran? Wann ist was wichtig, vielleicht sogar notwendig, geboten? Klar, wenn so jemand Besonderes wie Jesus zu Besuch ist, ... dann ist es dumm, die Spülmaschine auszuräumen statt ihm zuzuhören.
Aber mich bewegt diese Frage auch grundsätzlich. Wann ist was dran? Zum Beispiel in der aufgeheizten politischen Stimmung, in der wir gerade leben. Wann ist es Zeit, zuzuhören? Wann ist es Zeit, zu widersprechen? Wann ist es nötig, Ruhe zu bewahren und zu hoffen, dass schon alles irgendwie gut ausgehen wird? Wann ist es notwendig, aktiv zu werden, sich einzumischen in das politische Geschehen?
Übrigens hab ich Martha und Maria auch auf einem Gemälde von Fra Angelico entdeckt. Sie wissen schon: Der italienische Renaissance-Maler, der vor Kurzem 570. Todestag hatte. Bei Fra Angelico sitzen die Schwestern einträchtig nebeneinander, in einem kleinen Raum über den sich ein Kreuzgewölbe spannt. Maria trägt ein Kleid in Fra Angelico-Blau und liest andächtig in einem Buch. Martha dagegen wirkt unruhig, so als ob sie spürt, dass im Moment etwas anderes dran ist als den Tag lesend in seinem stillen Kämmerlein zu verbringen. Vielleicht hat sie recht.
21.02.2025: Geburtstagskinder
Heute am 21. Februar wurde der Philosoph John Rawls geboren und mein Vater Rainer auch. Mein Vater kam Ende der 40er Jahre zur Welt, als Arbeiterkind. Die Wohnung, in der er aufgewachsen ist, bestand lediglich aus der Küche und einem weiteren Zimmer. Bis zu seinem 18. Geburtstag ist mein Vater ganze zwei Mal mit seinen Eltern in den Urlaub gefahren.
Das zweite Geburtstagskind, John Rawls, wurde als Sohn eines bekannten amerikanischen Rechtsanwalts geboren. Das Haus, in dem er aufgewachsen ist, hatte wahrscheinlich ein paar Zimmer mehr als die Wohnung meines Vaters, vielleicht so sieben oder zehn und im Urlaub war die Familie bestimmt jedes Jahr.
Nun kann man die Leben von John Rawls und meinem Vater schlecht vergleichen, aber mir geht es vor allem um Folgendes: Keiner von beiden hat sich ausgesucht, in welche Familie er hineingeboren wurde und in welche wirtschaftliche Situation. Und das gilt für uns alle. Ob du als Kind von Geringverdienern zur Welt kommst, ob du ADHS hast, dunkle Haut oder eine Familie mit Aktiendepots - es liegt nicht in deiner Hand. Aber es hat gravierende Folgen.
Es bestimmt, ob Du es eher leicht oder eher schwer hast im Leben. In Deutschland hängt beispielsweise der Schulabschluss eines Kindes immer noch maßgeblich vom Schulabschluss und Einkommen der Eltern ab. Ist das fair? Genau darüber hat der Philosoph John Rawls nachgedacht. Mit dem Ergebnis, dass eine Gesellschaft nur dann fair ist, wenn sie allen die gleichen Chancen eröffnet.
Aber wie kommt man zu so einer Gesellschaft? John Rawls hat dafür eine Art Gedankenexperiment vorgeschlagen: Tun wir doch mal so, als wäre es offen, ob wir morgen als Rechtsanwältin aufwachen, als alleinerziehender Vater oder jemand, dessen Familie nach Deutschland eingewandert ist. Tun wir mal so, als wüssten wir das nicht und denken uns dann die Regeln einer Gesellschaft aus, in der es uns allen gut geht und in der wir alle zeigen könnten, was in uns steckt. Wenn ich an die Schulen denke, wären kleinere Klassen ein Anfang und überall Mediatoren, also Menschen, die den Kindern zeigen, wie man mit Konflikten umgeht.
Es gibt schon heute Schulen, an denen so etwas ausprobiert wird. An einer davon engagiert sich mein Vater als Streitschlichter. Es macht ihm große Freude und die Kinder lernen von ihm etwas für's Leben.