Selbstbestimmt | 28.11.2024 | 22:40 Uhr im MDR Fernsehen & Jetzt in der ARD Mediathek Mein Business, meine Chance? fragt Tan Caglar
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27. November 2024, 13:01 Uhr
Das eigene Unternehmen gründen, selbständig sein – viele träumen davon, nur wenige trauen sich. Zwei Menschen mit Behinderung, die den Schritt trotz hoher Hürden wagten, trifft Selbstbestimmt-Host Tan Caglar: Daniela Heinlein gründete ihre Firma EventClusion, um rundum inklusive Konzerte zu veranstalten. Marcus Klinke ist mit Leib und Seele Florist im eigenem Geschäft. Ganz allein hätten es beide nicht geschafft:
Als Schauspieler und Comedian hat sich "Selbstbestimmt"-Host Tan Caglar vor fünf Jahren selbständig gemacht. Heute ist er glücklich, dass er davon leben kann. Mit dem Wissen um die Hürden und Herausforderungen trifft er Daniela Heinlein in Nürnberg.
Inklusive Konzerte: Diana will Metal für alle
Die 38-jährige ist gerade dabei, ihr eigenes Unternehmen aufzubauen. Sie will Veranstaltungen jeder Art inklusiv und barrierefrei machen. Daniela weiß, worum es dabei geht, sie lebt von Geburt an mit einer körperlichen Behinderung und ist auf einen 300 Kilo schweren Rollstuhl angewiesen. Gerade steckt sie mitten in den Vorbereitungen für ein vollkommen inklusives und barrierefreies Metal-Konzert als Testlauf für ihre Geschäftsidee. Nach 20 Jahren als Besucherin von Konzerten und Festivals kennt sie den immer noch mangelhaften Standard.
Barrierefreiheit ist mehr als: 'Ich komme aufs Klo, wenn ich Glück habe.'
Projekt B.E.S.S.E.R: Wagnis mit besonderem Businessplan
Was sie nicht wusste, war, wie man so ein Unternehmen wirtschaftlich aufzieht. Genau dabei hilft ihr Gründungsberater Thomas Kotschenreuther vom Projekt B.E.S.S.E.R, das es so nur in Bayerrn und Baden-Württemberg gibt: Menschen mit Behinderung werden auf dem Weg in die Selbständigkeit unterstützt. Die Beratung ist kostenfrei, sie bezieht auch die gesundheitlichen Umstände der Klienten mit ein, aber nicht um sie zu stoppen, sondern um einen realistischen Businessplan aufzustellen.
Es herrscht das Vorurteil: 'Mensch, jetzt bist schon behindert, nun willst du dich auch noch selbständig machen.
Mit dem Gefühl, wegen ihrer Behinderung übergangen zu werden, hatte Daniela immer wieder zu kämpfen: Nach ihrer Ausbildung als Kauffrau für Kommunikation schrieb Daniela 200 Bewerbungen. Die ständigen Absagen stürzten sie in eine Depression. Ihre Reha-Beraterin von der Arbeitsagentur fragte, warum sie nicht Erwerbsminderungsrente beantrage. Genau das wollte sie aber nicht: "Ich will arbeiten und das Gefühl haben, wenn ich mir was leiste, ich darf mir das leisten. Und nicht dass jemand anderes für mich gearbeitet hat."
Schließlich fand sie durch einen persönlichen Kontakt doch noch eine Stelle, sie betreute Geschäftskunden und war in der Produktberatung tätig. Doch sie fühlte sich wegen ihrer Behinderung kleingehalten, nach zehn Jahren immer noch ohne Chance, sich weiterzuentwickeln. Am Ende entschloss sie sich zur Kündigung und wagte mit der Gründung ihrer Firma EventClusion den Schritt in die Selbständigkeit. Dafür setzt sie ihre Abfindung und den Gründungszuschuss ein. Mindestens 200 bis 300 Tickets müsste sie fürs erste Konzert verkaufen ...
Es ist sehr viel Druck, der auf mir lastet, aber positiver. Denn ich habe mir das selbst ausgesucht.
Florist im Team mit DGS-Assistentin
Während Daniela noch am Anfang steht, kann Marcus Klinke schon auf 13 Jahre erfolgreiche Selbständigkeit zurückblicken. Der 46-jährige ist mit Leib und Seele Florist und führt sein eigenes Geschäft in Berlin-Spandau. Seit knapp zehn Jahren arbeitet er dabei mit der Kommunikationsassistentin Sarah Schwarz zusammen, die ihn bei der Bestellung oder in den Kundengesprächen unterstützt. Denn Marcus ist von Geburt an gehörlos.
Einen kreativen und kommunikativen Beruf traute ihm lange Zeit kaum jemand zu. Auf Wunsch der Eltern machte Marcus Klinke eine Ausbildung zum Elektroinstallateur, fasste aber nie Fuß, war immer wieder arbeitslos. Ungeachtet aller Vorbehalte beschloss er 2011, sich als Florist selbständig zu machen. Ganz ohne Ausbildung. Im Wohnzimmer richtete er sein erstes Geschäft ein. Erstmal auf Probe. Dann eröffnete er vor acht Jahren seinen eigenen Laden, etablierte sich, bis ihn Corona fast die Existenz kostete. Inzwischen hat er eine Stammkundschaft. Vor allem dank fester Aufträge von Beerdigungsinstituten, Restaurants und Hotels hält er sein Geschäft am Laufen. Heute ist seine Mutter, die selbst gehörlos ist, stolz auf den Weg ihres Sohnes zum Traumberuf.
Ich bin stolz, dass ich als gehörloser Mensch diesen Schritt gewagt habe.
Unterstützung bei seiner Existenzgründung bekam Marcus Klinke vom Integrationsfachdienst Enterability, der sich dafür einsetzte, dass er eine Arbeitsassistenz fürs Gebärdendolmetschen bekam. Immer an seiner Seite, sein langjähriger Partner, der ihm den Rücken stärkt und bei der Büro- und Schreibarbeit hilft. Dranbleiben will auch Daniela Heinlein, im Sommer hat ihre Geschäftsidee den ersten Praxistest beim Konzert im Nürnberger Klub "Hirsch" als barrierefreier Location bestanden. Auch wenn der Kartenverkauf unter ihren Erwartungen geblieben ist, die Resonanz der Gäste motiviert sie: "Der Zuspruch von den Leuten hat mir Kraft gegeben. Ich mach auf jeden Fall weiter."
Quelle: MDR Selbstbestimmt, Redaktionelle Bearbeitung: ks
Bundesteilhabegesetz: Wie das Recht auf Assistenz geregelt ist
Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, ein persönliches Budget und die Assistenz ist im Bundesteilhabegesetz (BTHG) festgeschrieben.
Das BTHG soll für behinderte Menschen die "volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft" fördern, "Benachteiligungen vermeiden oder ihnen entgegenwirken". Dazu gehören Assistenz-Dienste, die in vielen verschiedenen Bereichen des Alltags geleistet werden können, bei der Arbeit, bei der Lebensplanung, in der Freizeitgestaltung. Assistenz wird von Pflegediensten bereitgestellt oder beruht auf dem Arbeitgeber:innen-Modell. Dabei tritt der Mensch mit Assistenzbedarf als Chef bzw. Chefin auf, stellt Dienste ein und verteilt Schichten. Die Kosten werden je nach Fall von unterschiedlichen Stellen getragen, zum Beispiel vom Sozialamt, der Kranken- oder Pflegekasse, der Renten- oder Unfallversicherung oder der Arbeitsagentur. Je nach dem, woher eine Erkrankung oder Behinderung rührt oder in welchen Lebensbereichen die Assistenz Teilhabe ermöglichen soll.
Häufig braucht es ein Zutun, damit diese Rechte umgesetzt werden. Ergänzende Unabhängige Teilhabe-Beratungsstellen (EUTB) leisten Unterstützung. Auf Bundesebene setzt sich die Initiative Selbstbestimmt Leben für Menschen mit Assistenzbedarf ein.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt | 28. November 2024 | 22:40 Uhr