Der Redakteur | 04.04.2023 Wie sorge ich für Zebrastreifen, Ampel oder Tempo 30 in meinem Ort?
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04. April 2023, 18:34 Uhr
Dickstrichkette - so hießen die Zebrastreifen einst im Amtsdeutsch der 50er-Jahre. Einige Vorschriften stammen auch noch aus diesen Zeiten, kritisiert FUSS e.V., der Fachverband Fußverkehr Deutschland. Aber sehr viel hängt davon ab, wie die Behörden vor Ort die Regeln auslegen.
Wie sorge ich für eine Tempo-30-Zone?
Erster Ansprechpartner ist die zuständige Straßenverkehrsbehörde. Dorthin kann sich jeder wenden, der das Gefühl hat, dass die Verkehrsführung im Ort aus der Zeit gefallen oder gefährlich ist. Es ist nicht notwendig, eine Bürgerinitiative zu gründen. Fotos können hilfreich sein, aber in der Regel kennen die Mitarbeiter die Bedingungen vor Ort ziemlich genau. Und wenn dann eine Bürgeranfrage kommt, wird geschaut, ob der Wunsch zu den Regeln passt, die es für die Errichtung von Tempo-30-Zonen, Zebrastreifen oder Ampeln gibt, sagt David Kehrberg, Referent im Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft.
Man muss keine Bürgerinitiative gründen.
Er hat dabei großes Vertrauen in die Kompetenz der Fachleute vor Ort. Diese bestreitet auch Roland Stimpel nicht, er ist der Sprecher des Fachverbandes Fußverkehr Deutschland, kurz FUSS e.V. Er kritisiert aber, dass sich die komplizierten Regelwerke oft selbst widersprechen und oft darauf ausgelegt sind, dass vor allem der Autoverkehr zügig läuft. Fußgänger sind nur Randfiguren, Straßenrandfiguren um genau zu sein. Zum Beispiel werden Fußgängern - besonders wenn sie nicht so gut zu Fuß sind - schon mal halbstündige Umwege zugemutet bis zur nächsten sicheren Überquerungsmöglichkeit.
Tempolimit statt "Bettelampel"?
Dabei würde vielleicht die schlichte Absenkung der Geschwindigkeit viele Probleme lösen, einschließlich der Überquerung, und nicht einmal Zeit kosten. Studien und Beispiele aus anderen Ländern zeigen, so Roland Stimpel, dass halbwegs einheitliche Geschwindigkeiten für alle Fahrzeuge - wie eben Tempo 30 - dazu führen, dass Radfahrer mitschwimmen und Busse sich leichter einfädeln können. In der Summe sind alle ähnlich schnell am Ziel, denn es gibt weniger Stopps, auch Fußgängerampeln und andere bauliche Maßnahmen werden vielleicht überflüssig.
"Bettelampel" nennt Stimpel die mit dem Drückknopf. Oft hat der Fußgänger längst eine kleine Verkehrslücke genutzt und wenn die Ampel auf Rot schaltet, steht keiner mehr da und wartet, außer die brav und sinnlos wartenden Autos.
Wann ist ein Fußgängerüberweg vorgeschrieben?
Vorgeschrieben ist ein Fußgängerüberweg eigentlich gar nicht. Wenn pro Stunde 200 bis 300 Fahrzeuge einen Streckenabschnitt passieren und in dieser Zeit 50 bis 100 Leute über die Straße wollen, dann ist ein Zebrastreifen "möglich". Maßgeblich sind laut Richtlinie R-FGÜ die "Spitzenstunden des Fußgänger-Querverkehrs an einem Werktag mit durchschnittlichem Verkehr. Die Kraftfahrzeugverkehrsstärke bezieht sich auf die gleiche Stunde…".
Das Problem des Fachverbands Fußverkehr mit diesem Regelwerk: Es beschreibt nur den Ist-Zustand. Würde es nämlich bereits einen Zebrastreifen oder andere fußgängerfreundliche Wege geben, dann wären vielleicht mehr Fußgänger unterwegs und weniger Elterntaxis. Das ist die Geschichte mit der Henne und dem Ei oder mit dem Fluss und der Brücke.
Das ist genauso, als wenn man sagen würde, es schwimmt ja keiner durch den Fluss, deswegen brauchen wir auch keine Brücke.
Aber nicht nur die Zahl der Verkehrsteilnehmer spielt eine Rolle. Bei Tempo 50 muss der Fußgängerüberweg aus mindestens 100 Metern Entfernung erkennbar sein, bei Tempo 30 aus 50 Metern. Auch für die Einsehbarkeit der Warteflächen gibt es Vorschriften. Es dürfen keine Ampeln in der Nähe sein, keine Busspuren oder abknickende Vorfahrtsstraßen. Es muss also nicht böser Wille sein, wenn ein Zebrastreifen an der von den Anwohnern gewünschten Stelle von der Straßenverkehrsbehörde abgelehnt wird.
Darf es nicht vielleicht doch eine Ampel sein?
Auch hierfür gibt es Regelungen. Sind mehr als 450 Fahrzeuge pro Stunde auf dem Streckenabschnitt unterwegs, kommt auch eine Ampel in Frage. Dazwischen führen die Zahlen zu auslegbaren Ergebnissen. Zwischen 200 und 300 Fahrzeugen ist laut Richtlinie wie bereits gesagt ein FGÜ=Fußgängerüberweg "möglich", zwischen 300 und 450 in Abhängigkeit von der Fußgängeranzahl "empfohlen" bzw. "möglich", zwischen 450 und 600 nur "empfohlen" und werden es noch mehr Autos, dann ist der FGÜ wieder nur noch "möglich". Das mag fachlich begründbar sein, in Verbindungen mit anderen Kann-Bestimmungen kommt am Ende etwas heraus, mit dem vielleicht niemand zu richtig glücklich ist.
Denn eins ist auch klar: Den Durchgangsverkehr beschränken möchten immer die Anwohner, sind die dann selbst als Autofahrer unterwegs, sind sie von Tempo 30, FGÜs und Fußgängerampeln einfach nur genervt. Das mag auch daran liegen, dass Autofahrer es gewohnt sind, bevorzugt zu werden. Wobei sich hier der Wind so langsam dreht. Mitunter geht es dann ins andere Extrem, wenn plötzlich Parkflächenpreise explodieren und Stadtbewohner nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Auto vor lauter Radwegen, es ist ja nun einfach mal da.
Wer entscheidet eigentlich am Ende?
Doch wer entscheidet? Natürlich sind es in der Regel die eingangs erwähnten Straßenverkehrsbehörden, das aber auf Basis der bundesweit gültigen Verordnungen und Richtlinien. Die stehen nämlich ziemlich stabil und unveränderlich in ihren Aktenschränken, während draußen die Wirklichkeit vorbeizieht.
Eine Initiative von mehr als 600 Städten und Gemeinden haben kürzlich die Verkehrsministerkonferenz der Länder dazu gebracht, den Bund um mehr Beinfreiheit für die Entscheidungsträger vor Ort zu bitten. Bedeutet zum Beispiel: Auch wenn eine Straße als Bundestraße durch einen Ort führt, mögen doch bitte die Ortsansässigen entscheiden dürfen, wie schnell hier gefahren werden darf und nicht der Bund. Für bislang vergebliche Bemühungen geplagter Anwohner an Einfallstraßen kann das die Rettung sein beziehungsweise der Weg zu Tempo 30 zum Beispiel vor der eigenen Haustür.
Dafür müssten übrigens nicht einmal neue Schilder aufgestellt werden, würde der Gesetzgeber der Empfehlung des Fachverbandes Fußverkehr folgen. Dieser verweist auf Brüssel und zwar auf die Stadt. Dort gilt grundsätzlich Tempo 30, es sei denn, es steht etwas anderes da. Nebeneffekt: Der Schilderwald wurde deutlich gelichtet.
Vorher hatte Brüssel 6.000 Schilder für die Tempo-30-Zonen. Die konnten sie abschrauben. Für die Markierung der Tempo-50-Straßen brauchen sie nur noch 1.300 Schilder.
Für Tempo 130 auf deutschen Autobahnen bräuchte man übrigens nicht ein einziges neues Schild aufstellen. Man müsste nur die großen Schilder an den Grenzen anpassen und die Straßenverkehrsordnung. Aber das ist ein anderes Thema - es sei denn, man denkt an die Dörfer in Autobahnnähe, die um Lärmschutzmaßnahmen kämpfen. Hier sitzen die Entscheidungsträger leider nicht vor Ort.
MDR (cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 04. April 2023 | 16:40 Uhr