Wahlen in Israel Netanjahus Deal mit den Ultranationalisten

01. November 2022, 05:00 Uhr

Israels langjähriger Premierminister Benjamin Netanjahu von der konservativen Likud-Partei will zurück an die Macht. Dazu setzt er auf die Unterstützung rechter Ultranationalisten. Manch einer fürchtet, das Land werde danach nicht mehr dasselbe sein. Das Wort von der Schicksalswahl macht die Runde.

Zwei Wochen vor dem Wahltag am 1. November – Israel beendet gerade eine Periode hoher jüdischer Feiertage – sitzt Ex-Premier Benjamin Netanjahu in seinem Auto und wartet. Er ist zu einem Wahlkampftermin angereist in einer ländlichen Kommune unweit von Tel Aviv. Doch er weigert sich, auszusteigen. Denn drinnen auf der Bühne sitzt Itamar Ben-Gvir, der Shootingstar der Ultranationalisten. Und obwohl die Netanjahu bei den Wahlen zum Sieg verhelfen sollen, will er nicht zusammen mit Ben-Gvir auf einer Bühne auftreten. Die Zeit dafür ist noch nicht reif. Minutenlang tut sich nichts, bis Ben-Gvir sich überzeugen lässt und für Netanjahu den Platz räumt.

Kräfteverteilung bei den fünften Wahlen

Es sind die fünften Wahlen in drei Jahren in Israel. Etwas mehr als ein Jahr hielt die letzte Regierung. Es war die erste Koalition ohne Netanjahu – nach zwölf Jahren und drei Wahlen, die alle in einer Pattsituation endeten und eine Regierungsbildung unmöglich machten. Das will Netanjahu diesmal verhindern. Dafür braucht er 61 der 120 Sitze in der Knesset – aus den Stimmen für den eigenen Likud, für die ultraorthodoxen Parteien und die religiösen Ultranationalisten. Letztere haben ihre Kräfte für diese Wahl gebündelt – unter dem Namen "Religiöser Zionismus". Sie könnten bis zu 16 Sitze beisteuern.

Die Ultranationalisten um Ben-Gvir

Gesicht der Ultranationalisten, wenn auch nur Nummer zwei auf der Liste, ist Itamar Ben-Gvir. Er hat seine Partei Otzma Jehudit ("Jüdische Stärke") in das Bündnis eingebracht. Der 46-jährige Anwalt macht in Israel seit Jahren Schlagzeilen, vor allem als Aktivist gegen Friedensverhandlungen mit den Palästinensern. Dutzende Anklagen soll es gegen ihn gegeben haben, die meisten endeten ergebnislos.

Ben-Gvir kommt aus dem Umfeld der radikalen Siedler im Westjordanland und ist ein Bewunderer des ermordeten Rabbis Meir Kahane. Dessen Partei und Bewegung setzte sich seit den 1970ern für die Vertreibung der Palästinenser und Drusen aus Israel und den besetzten Gebieten ein.

1994 erschoss einer seiner Anhänger in Hebron im Westjordanland 29 muslimische Gläubige beim Gebet und verletzte 129 weitere. Danach wurde die Partei in Israel verboten. Ihre Ideologie jedoch verschwand nie und fand in der Partei von Itamar Ben-Gvir eine politische Erbin.

Heute sieht man Ben-Gvir in Fernsehinterviews im Politiker-Outfit, charismatisch und gewinnend lächelnd. In den letzten Jahren ist er zum politischen Shootingstar geworden. Dabei hat er die Grenzen des Denkbaren verschoben: Er spricht von der Todesstrafe für Terroristen, von der Auflösung der Palästinensischen Autonomiebehörde und davon, Palästinenser zur Emigration nach Europa zu ermutigen und "illoyale" Araber aus Israel zu deportieren.

Das Anti-Netanjahu-Lager

Viele säkulare und linke Israelis befürchten, Freiheitsrechte könnten auf dem Spiel stehen und die israelische Demokratie, wie sie sie kannten. Von einer Schicksalswahl schreiben manche Journalisten. Und tatsächlich haben sich die Kräfteverhältnisse im Land verschoben. Konservative, rechte und religiöse Kräfte gewinnen seit Jahren an Zuspruch und sind kohärenter, als das Linksliberal-Mitte-Lager, zu dem auch arabische Parteien zählen. Aus diesem Lager stammt die Acht-Parteien-Regierung des amtierenden Premiers Yair Lapid. Nur ein reichliches Jahr hielt ihre Mehrheit in der Knesset, bevor sie durch die Gravitationskräfte rund um Netanjahu zerrissen wurde.

Welche Chance das Anti-Netanjahu-Lager bei diesen Wahlen hat, hängt vor allem von der Beteiligung ab. Insbesondere auch von der in den arabischen Wahlbezirken, wo die Zahlen in der Vergangenheit oft niedrig waren. Der arabische Stimmanteil beträgt jedoch 16 Prozent an der Gesamtwählerschaft.

Experten gehen davon aus, dass die Aussichten des Anti-Netanjahu-Lagers steigen, wenn mindestens 50 Prozent der arabischen Wähler abstimmen.

Prozesse gegen Netanjahu

Umfragen zeigten bis zur letzten Minute eine Pattsituation zwischen beiden Lagern, die sich leicht nach der einen oder anderen Seite neigen kann, je nachdem, wer mehr Wähler aktiviert. Kommt keine Mehrheit zustande, könnten die nächsten Neuwahlen schon im Frühjahr anstehen.

Sollte Netanjahu gewinnen und eine Koalition mit den ultraorthodoxen und ultranationalistischen Kräften schmieden, erwarten viele, dass auch das juristische System in Israel unter Druck gerät. Netanjahu könnte als Premier seinen Einfluss dafür nutzen, dass die gegen ihn laufenden Prozesse wegen Bestechung, Betrug und Veruntreuung aus- und letztlich abgesetzt würden. Sein möglicher Koalitionspartner Ben-Gvir erhob bereits die Forderung, das Gesetz auszuweiten, wonach ein Premierminister nicht angeklagt werden kann, solange er im Amt ist. Und zwar auch rückwirkend. 

Für Itamar Ben-Gvir sei im Falle seines Sieges sicherlich Platz im neuen Kabinett, sagte Netanjahu in einem Interview kurz vor den Wahlen. Nicht auszuschließen wäre dabei der Posten als Minister für Innere Sicherheit. Spätestens beim gemeinsamen Fotoshooting der neuen Regierung gäbe es dann auch Platz für beide – Benjamin Netanjahu und Itamar Ben-Gvir – auf einer Bühne.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 19. Oktober 2022 | 22:00 Uhr

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