DDR, Palästina und der Nahostkonflikt Nahostkonflikt: Warum die DDR der arabischen Welt Waffen lieferte
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17. Oktober 2023, 15:00 Uhr
Sturmgewehre, Maschinenpistolen, Granaten – Anfang der 1970er-Jahre bis 1989 liefert die DDR Waffen an die Palästinensische Befreiungsorganisation und andere arabische Staaten, die sich im Kriegszustand mit Israel befinden. Eine riskante Außenpolitik, die ihr Ziel nicht verfehlt: die internationale Anerkennung der DDR als eigenständige Nation.
Als der Kalte Krieg in den 1960-Jahren seinen Höhepunkt erreicht, erstarkt auch der Wunsch der DDR, sich weiter vom Westen abzugrenzen. Ihr ultimatives Ziel: die internationale Anerkennung als eigenständige Nation. Dafür ist der Staatsführung offenbar jedes Mittel recht - sogar die Lieferung schwerer Waffensysteme an anti-israelische Länder.
BRD erkennt DDR nicht an
Für die Bundesrepublik bleibt das Ziel der deutschen Wiedervereinigung bestehen. Die DDR als Staat anzuerkennen, kommt deshalb nicht in Frage. In ihren Augen repräsentiert nur sie das deutsche Volk, die Ostdeutschen miteingeschlossen.
Die westdeutsche Regierung wehrte sich gegen die diplomatische Anerkennung der DDR durch ausländische Regierungen und drohte ihnen mit dem Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen.
Bonns Anspruch auf die alleinige Vertretung aller Deutschen verhindert auch die Aufnahme beider deutschen Staaten in die Vereinten Nationen - für die DDR wäre sie ja internationaler Anerkennung gleichgekommen. Zudem blockieren die USA und die UdSSR den Beitritt der Rivalen. Doch schon bald wittert die DDR neue Möglichkeiten im Nahen Osten.
Wettlauf um internationale Anerkennung
1965 nimmt die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen mit Israel auf. Der westdeutsche Staat will sich der Verantwortung stellen, die durch die Verbrechen der Nationalsozialisten entstanden ist. Daraufhin wenden sich zahlreiche arabische Staaten von der Bundesrepublik ab - ein Glücksfall für die DDR.
Zehn arabische Länder brachen ihre diplomatischen Beziehungen mit Bonn ab. Und damit war Bonn plötzlich isoliert im arabischen Raum. […] Auf einmal rückten die Ostdeutschen voran.
Die Anti-Israel-Politik der DDR
Nach dem Sechstagekrieg zwischen Israel und den arabischen Staaten Ägypten, Jordanien und Syrien 1967 bezieht die DDR-Führung öffentlich Stellung, an wessen Seite sie im Nahostkonflikt steht – und zwar auf der Seite der Araber. Am 15. Juni 1967 hält Partei- und Staatschef Walter Ulbricht in Leipzig eine Rede, in der die feindselige Haltung der DDR gegenüber Israel zum Ausdruck kommt.
Die DDR, die Sowjetunion sowie zahlreiche weitere Ostblockstaaten brechen alle Beziehungen zum jüdischen Staat ab. 1969 erkennt der Irak die DDR vollständig diplomatisch an. Bald darauf folgen Ägypten, Syrien und Jemen. Die Erfüllung des Traums der DDR, ein international akzeptierter Staat zu sein, rückt näher. Umso mehr, als die Bundesrepublik 1969 ihren Alleinvertretungsanspruch aufgibt.
Waffen gegen diplomatische Unterstützung
Eine besonders enge Beziehung pflegt die DDR zur Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO). Wie die DDR strebt diese die Anerkennung ihres Staates an: Palästina. 1969 übernimmt Jassir Arafat die Führung der PLO. Er will den Kampf der Palästinenser nach Europa ausdehnen und die Aufmerksamkeit des Westens auf sich ziehen - wenn nötig auch mit Waffengewalt. Das erste Treffen zwischen DDR-Regierungsvertretern und PLO-Führungskadern findet 1970 statt. 1971 folgt ein erster offizieller Staatsbesuch von Arafat und seinem engsten Zirkel. Die beiden Völker kommen ins Geschäft: Waffen und Wirtschaftshilfe gegen diplomatische Unterstützung. Auch anderen arabischen Ländern - Ägypten, Syrien, Irak - schickt die DDR Sturmgewehre, Maschinenpistolen und Granaten.
DDR-Sicht auf das Olympia Attentat
Selbst im Angesicht von Tod und Terror hält die DDR an ihrer Nahost-Strategie fest: Am 5. September 1972 wird ein tödliches Attentat auf das israelische Olympia-Team in München verübt. Die Terroristen gehören der palästinensischen Organisation "Schwarzer September" an, ein Ableger der PLO. Nach dem Attentat wird Arafat vorgeworfen, in den Anschlag verwickelt zu sein.
Als Arafat weltweit angegriffen wurde, in das Olympia-Attentat verwickelt zu sein, war Erich Honecker in Ost-Berlin zur Stelle.
Die DDR stellt sich auf die Seite der Araber. 1973, während der Weltfestspiele der Jugend in der DDR, festigen Honecker und Arafat ihr Bündnis und unterzeichnen ein Abkommen über ihre Partnerschaft.
Endlich: DDR wird UNO-Mitglied
Wenige Wochen später, am 18. September 1973, wird die DDR eigenständiges Mitglied der Vereinten Nationen – auch dank Arafat, der bei den arabischen Ländern für die Aufnahme der Ostdeutschen in die Weltgemeinschaft geworben hatte. Endlich ist es so weit: Die DDR wird international anerkannt. Bis 1989 liefert die DDR Waffen an die Gegner des jüdischen Staates, die Beziehung zur PLO besteht bis 1990.
Kehrtwende mit der Deutschen Einheit
Dann, kurz vor der Deutschen Einheit, die Kehrtwende: Am 8. Februar 1990 bekennt sich die DDR unter Regierungschef Hans Modrow zur gesamtdeutschen Verantwortung für den Holocaust. Bis dahin sah sich die DDR wegen ihrer Antifaschismus-Doktrin nicht als Rechtsnachfolgerin des NS-Regimes. Am 12. April 1990 bittet die Volkskammer die "Juden in aller Welt um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel". Mit der Wiedervereinigung endet die Allianz mit der arabischen Welt, wie auch die UN-Doppelmitgliedschaft. Am 3. Oktober 1990 wird aus den beiden deutschen UN-Sitzen ein gesamtdeutscher. Palästina wird übrigens bis heute nicht weltweit als eigenständiger Staat anerkannt – auch nicht vom geeinten Deutschland.
Dieser Artikel erschien erstmals im September 2022.