Orthodoxe Kirche in Rumänien Tod von Baby löst Diskussion um Taufritual aus
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25. Februar 2021, 22:11 Uhr
Der Tod eines Säuglings nach einer orthodoxen Taufe sorgt in Rumänien für eine heftige Debatte, ob das dreimalige Untertauchen im Wasser noch zeitgemäß ist. Oberste Vertreter der Rumänisch-Orthodoxen Kirche entschieden am heutigen Donnerstag, dass am Ritual nicht gerüttelt werde. Zugleich will die Kirche die Gemüter beruhigen und schlägt vor, künftig auch Ärzte in die Entscheidung einzubinden.
Die Ärzte überbrachten den Eltern die Todesnachricht: Ihr sechs Wochen altes Baby sei auf der Intensivstation des Notfallkrankenhauses nicht mehr zu retten gewesen – wenige Stunden nach einer Taufe. Von der Zeremonie kursieren Videoaufnahmen im Internet: Sie zeigen, wie der orthodoxe Priester in der nordrumänischen Stadt Suceava den Jungen dreimal vollständig ins Wasser des Taufbeckens taucht. Zuerst schreit er noch, dann wird seine Stimme matter. Nach der Autopsie hieß es, der Säugling sei eines gewaltsamen Todes gestorben, er habe 110 Millimeter Flüssigkeit in seiner Lunge gehabt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen den Priester wegen des Verdachts auf Totschlag.
Ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit
Fest steht bislang nur: In den vergangenen Jahren gab es ähnliche Vorfälle. So berichtet das rumänische "PressOne"-Magazin, dass vor Jahren zwei Täuflinge in den rumänischen Städten Iasi und Sibiu nach ihrer Ganzkörpertaufe gestorben seien. In Bukarest und Brasov hätten zwei Säuglinge nach dem Untertauchen starke Atemnot erlitten. Die Eltern beschuldigten die Priester, Mund und Nase beim Eintauchen ins Taufbecken nicht richtig geschützt zu haben. In all diesen Fällen weist die Rumänisch-Orthodoxe Kirche (BOR) eine Mitschuld zurück. "Die orthodoxe Taufpraxis ist für die Gesundheit von Kindern ungefährlich", sagt BOR-Sprecher Vasile Banescu auf MDR-Anfrage, "doch muss sie mit größter Sorgfalt, Feingefühl und Verantwortung erfolgen, insbesondere, wenn die Kinder sehr jung sind".
Ostkirche setzen auf Ganzkörpertaufe
Das östliche Christentum setzt bis heute auf das jahrtausendalte Ritual, ganz gleich ob in Rumänien, Russland oder beispielsweise in der Ukraine: Der Täufling wird im Weihwasser des Taufbeckens dreimal vollständig untergetaucht – für den Vater, für den Sohn und für den Heiligen Geist. "Eine starke Symbolik", nennt der emeritierte Lübecker Theologieprofessor Ulrich Wilkens das Untertauchen, dass das Sterben symbolisieren solle: "Der Mensch macht damit die elementare Erfahrung, auf Hilfe und Rettung angewiesen zu sein. Das Auftauchen aus dem Wasser steht für die Überwindung des Todes und die Auferstehung Jesu Christi." Dass die Ganzkörpertaufe heutzutage in den Westkirchen fast nicht mehr praktiziert wird, "liegt salopp gesagt daran, dass sie zu viel Action bedeutet", sagt der 92-jährige Wilkens auf Anfrage von "Heute im Osten".
Täuflinge wurden mit Jahrhunderten immer jünger
So änderten die Westkirchen in der Frühen Neuzeit das Ritual, weil die Täuflinge zunehmend jünger wurden: Gebräuchlich ist hierzulande das Wassergießen über den Kopf oder das Bespritzen der Stirn. "Das Entscheidende an einer Taufe ist nicht die Menge des Wassers, sondern dass der Täufling in die Glaubensgemeinschaft der Christen aufgenommen wird", sagt Religionslehrer Dietmar Schmidtmann aus Hoyerswerda, der vor Jahren sein Fach im rumänischen Siebenbürgen unterrichtete. Dass das vollständige Untertauchen gerade bei Neugeborenen gewisse Risiken habe, zeige der Vorfall in Suceava, sagt Schmidtmann: "Die orthodoxe Kirche sollte ihn zum Anlass nehmen, zu prüfen, ob die Durchführung des Taufritus noch zeitgemäß ist."
Zehntausende fordern Reform von Taufritus
In Rumänien steht der über ein Jahrtausend alte Brauch gerade stark in der Kritik – zumindest bei den rund 65.000 Menschen, die in den vergangenen Tagen eine Online-Petition unterschrieben haben. Darin heißt es, man fordere nicht die Abschaffung der Taufe, sondern eine Erneuerung des Ritus, um "unnötige und sogar absurde Risiken auszuschließen". Die Gründe der Unterzeichner sind vielfältig, man kann sie unter der Petition nachlesen.
So schreibt Daniela C., dass die Taufe ein symbolischer Akt sei, der sich nicht in ein Trauma oder gar in eine Tragödie verwandeln dürfe. Eine andere Unterzeichnerin notiert, sie habe den Priester gebeten, ihr Kind nicht vollständig ins Wasser zu tauchen. Sie solle den Mund halten, habe er sie angeschrien, sonst bleibe ihr Nachwuchs ungetauft. Kritik oder zivilen Ungehorsam duldet die Rumänisch-Orthodoxe Kirche nicht und trotzdem kann sie auf überwältigenden Zuspruch setzen.
Deutliche Mehrheit ist orthodox
Über 86 Prozent der Rumänen bekennen sich laut Volkszählung zum orthodoxen Glauben. Die Kirche erhält staatliche Zuschüsse, finanziert sich aber zu einem beträchtlichen Teil durch die Gläubigen, die für Taufen, Beerdigungen oder Fürbitten zahlen müssen. Einen Mitgliederschwund, wie ihn die Kirchen in Deutschland spüren, kennt die orthodoxe Kirche nicht. Der starke Zuspruch bestätigt die Priester in ihrem Glauben, dass ihr fundamentalistischer Kurs der richtige ist. Seit hunderten von Jahren wehren sie sich gegen Veränderungen, ihre Riten wirken wie aus der Zeit gefallen. Frischgebackene Mütter sollen erst am 40. Tag nach der Geburt die Kirche wieder betreten, bis dahin gelten sie als unrein. Bei der Taufe müssen sich die Paten vom Teufel lossagen und symbolisch auf ihn spucken – jeweils dreimal.
Kirche hält an Ritual fest
Wenig später folgt das dreimalige Untertauchen des Täuflings. Die Heilige Synode der Kirche entschied am heutigen Donnerstag, dass an diesem Ritual nicht gerüttelt werde. Viele Priester an der Basis teilen die Entscheidung, so auch Stelian Tofana. Der 63-Jährige hat schon hunderte Taufen durchgeführt. Nie sei etwas passiert, auch wenn es ein Risiko gebe, wie der tragische Vorfall in Suceava zeige, sagt er. "Würden wir etwa auf Operationen verzichten, wenn einem Chirurgen einmal ein Fehler unterlaufen ist?", fragt Tofana und gibt sich gleich selbst die Antwort: "Ganz gewiss nicht, so sehe ich das auch mit der Ganzkörpertaufe."
Taufritus wird an Puppe geschult
Tofana unterrichtet an der Universität im siebenbürgischen Cluj-Napoca angehende Priester, die in ihrer Ausbildung das Taufritual üben – mit einer Babypuppe.
"Sie lernen, wie Nase und Mund bedeckt und der ganze Körper gehalten wird, wenn ein Täufling für wenige Augenblick unter Wasser getaucht wird", sagt Tofana. Er wisse, dass einige Priester sich vor der Praxis fürchteten, schließlich sei ein lebendiger Säugling etwas anderes als eine Puppe. Ihm selbst helfe bei den Taufen sein Gottvertrauen: "Der Herrgott hält seine schützende Hand über mich, dass keine Fehler passieren."
Kinderarzt hält Aufklärung für nötig
Die Führung der Rumänisch-Orthodoxen Kirche beschwichtigt derzeit noch auf andere Weise. Kirchensprecher Vasile Banescu will künftig Kinderärzte bei der Entscheidung um den "optimalen Zeitpunkt für die Taufe" einbinden. Sie sollen klären, ob es gesundheitliche Risiken für das Kind geben könnte, sagt er auf MDR-Anfrage. Die Heilige Synode beschloss am Donnerstag, dass die Eltern sich künftig um eine medizinische Einschätzung kümmern sollen. Ein solches Vorgehen wäre ein vollkommenes Novum in der Kirche.
Kinderarzt Damian Baciu ist in seiner jahrzehntelangen Berufspraxis noch nie vor einer Taufe konsultiert worden – weder von den Eltern noch von einem Priester. Dabei gebe es Risiken bei der Ganzkörpertaufe, sagt der Arzt, über die aufgeklärt werden müsse. Er würde bei Frühgeborenen vom Ritual abraten, da der natürliche Atemschutzreflex nur ungenügend ausgebildet sein könne. Auch sei Stillen vor der Taufe gefährlich, da die Muttermilch in die Atemwege zurückfließen könne. Es gebe viele Frauen, die das gar nicht wüssten, sagt Baciu dem MDR. Bei der Taufe in Suceava war der Täufling ein Frühgeborenes. Der Priester sei informiert gewesen, erzählte der Vater der Lokalpresse. Seine Frau habe kurz vor dem Taufritual noch einmal gestillt. Sie wollte den Jungen beruhigen, er habe in der Kirche geweint.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 12. Dezember 2020 | 17:59 Uhr