Eingeschränkte Pressfreiheit Ungarn: Kritischer Chefredakteur geschasst
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23. Juli 2020, 17:28 Uhr
Der Redaktionsleiter von Ungarns größter unabhängiger Nachrichtenplattform muss gehen. Ein weiterer Schlag gegen die Pressefreiheit im Land.
Der Druck auf Ungarns unabhängige Medien verstärkt sich. Szabolcs Dull, Chefredakteur von Index.hu ist entlassen worden. Index ist eines der wichtigsten und das reichweitenstärkste unter Ungarns regierungskritischen Medien. Der Rauswurf bestätigt die schlimmsten Befürchtungen um das unabhängige Nachrichtenportal.
Bereits vor rund einem Monat hatte Dull im Namen der Redaktion ein Statement veröffentlicht, dass die Unabhängigkeit von Index aufgrund "äußerer Einflüsse" gefährdet sei. Das Unabhängigkeits-Barometer, das seit zwei Jahren auf der Seite zu sehen ist, wurde von "unabhängig" auf "gefährdet" umgestellt.
Unabhängigkeit gefährdet
Grund dafür waren veränderte Eigentümerstrukturen und damit einhergehende Pläne zur Umstrukturierung. So gab es offenbar Pläne, die Erstellung redaktioneller Inhalte teilweise an externe Firmen outzusourcen, auch, so der Verdacht, um eine regierungsfreundliche Berichterstattung zu erreichen – ein massiver Eingriff in die Arbeit der Redaktion.
Formal gehört der Verlag, der Index.hu herausgibt, einer Stiftung, der Magyar Fejlődésért Alapítvány (Stiftung für ungarischen Fortschritt), ist also unabhängig. Doch das Anzeigengeschäft von Index wird exklusiv von einer externen Firma abgewickelt, die damit einen großen Einfluss auf die Finanzen des Verlages hat. Bereits im März war bekannt geworden, dass der Orbán nahestehende Medienunternehmer Miklós Vaszily 50 Prozent der Anteile an dieser Firma erworben hatte. Seither hatte es auch zahlreiche personelle Veränderungen im Aufsichtsrat der Stiftung und im Verlag gegeben.
Ein Orbán-Freund kauft sich ein
Die Redaktion nannte die Entlassung ihres Chefs in einer öffentlichen Stellungnahme, die von fast 100 Mitarbeitern unterschrieben wurde "inakzeptabel". Weiter heißt es: "Seit Jahren haben wir zwei Bedingungen für die Unabhängigkeit von Index genannt: Dass es keinen externen Einfluss auf die publizierten Inhalte und auf die Zusammensetzung der Redaktion gibt. Der Rauswurf von Szabolcs Dull verletzt offensichtlich unsere zweite Bedingung."
Den Chefredakteur erpresst
Der Grund dafür sei gewesen, dass Szabolcs Dull "deutlich gemacht habe, dass er sich nicht erpressen lässt", schreibt die Redaktion. Er habe sich geweigert, das Barometer zurück auf "unabhängig" zu stellen – auch dann nicht, als der Redaktion mit massiven Sparmaßnahmen gedroht wurde. Der Aufsichtsrat der Stiftung hingegen nannte als Grund für die Entlassung, Dull habe die Kontrolle über interne Vorgänge in der Redaktion verloren und damit wirtschaftlichen Schaden verursacht.
Ein bekanntes Schema
Dieses Vorgehen hat man in Ungarn schon oft gesehen: Ein unabhängiges Medium wird von einem der Regierung nahestehenden Geschäftsmann aufgekauft. Die nachfolgenden Veränderungen werden dann als wirtschaftliche Entscheidungen maskiert, sind aber oft politisch motiviert. Die Geschäftsleitung übt Druck auf die Redaktion aus, kritische Journalisten werden ausgetauscht und das Medium bekommt eine neue, regierungsfreundliche Linie.
Beispiele dafür gibt es viele: Das ehemals wirtschaftsliberale Wochenblatt Figyelő oder das investigative Onlineportal Origo.hu, die nach einem Eigentümerwechsel voll des Lobes für die Regierung von Viktor Orbán sind. In manchen Fällen, etwa der linksliberalen Traditionszeitung Népszabadság wird das Medium ganz geschlossen.
Inzwischen planen Medienberichten zufolge bereits über 40 Journalisten ihren Weggang von index.hu, die liberale Momentum-Partei hat für morgen eine Demonstration für die Pressefreiheit in Budapest angekündigt. Die Pressefreiheit gibt in Ungarn schon seit Jahren Anlass zur Sorge. Auf dem Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen fiel Ungarn seit Orbáns Amtsantritt im Jahr 2010 von Platz 23 auf Platz 89 von 180.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 30. März 2020 | 21:45 Uhr