Wahlen Präsidentschaftswahl in Tschechien: Ein Ex-General hat die Nase vorn
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14. Januar 2023, 16:16 Uhr
In zwei Wahlgängen im Januar werden die Tschechen ein neues Staatsoberhaupt küren. Er oder sie wird Amtsinhaber Miloš Zeman auf der Prager Burg ablösen. Nur noch drei Kandidaten können sich wirklich Chancen auf das Amt ausrechnen - und alle drei haben ernsthafte Image-Probleme bei einem Teil der Wählerschaft. Am Freitag und Samstag findet der erste Wahlgang statt.
In der letzten Woche vor dem Urnengang fand der Wahlkampf an einem unerwarteten Ort statt: im Élysée-Palast in Paris. Dort empfing Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen der Favoriten der tschechischen Wahl: den Oligarchen, Oppositionsführer und ehemaligen Premierminister Andrej Babiš. Seine populistische ANO-Bewegung ist Teil der europäischen liberalen Fraktion, die von Macrons "Renaissance" angeführt wird. Babiš hofft offenbar, mit diesem Besuch bei den Wählern zu punkten und sich als erfahrener Staatsmann präsentieren zu können. Den letzten Umfragen zufolge wird das aber nicht reichen - Babiš wird aller Voraussicht nach nicht zum Präsidenten gewählt.
Wer ist Andrej Babiš?
Andrej Babiš wurde 1954 in Bratislava in der heutigen Slowakei geboren. Seit 2013 sitzt er als Abgeordneter im tschechischen Parlament und war in den Jahren 2017 bis 2021 Ministerpräsident. Bevor er in die Politik ging, gründete und leitete er den Konzern Agrofert, der vor allem in den Branchen Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie, chemische Industrie und Medien aktiv ist. Wegen seiner starken wirtschaftlichen, medialen und politischen Position wird er gelegentlich als Oligarch bezeichnet. Vor 1989 war er erhaltenen Akten zufolge freiwillig als Inoffizieller Mitarbeiter der tschechischen Staatssicherheit mit dem Decknamen Bureš tätig, auch wenn er das selbst bis heute verneint.
Seinen Wechsel von der Wirtschaft in die Politik begründete Babiš mit dem Kampf gegen Korruption. Er gründete die Bewegung ANO, deren Vorsitzender er ist, und gilt als populistischer Kandidat. Besonders viele Anhänger hat er unter Rentnern, denen er umfangreiche Rentenerhöhungen verspricht. Den Kampf gegen den Klimawandel unterstütze er, aber nur solange dies keine Arbeitsplätze gefährde. Er ist gegen das EU-weite Verbot von Verbrennungsmotoren. Seine Ansicht über die Gemeinschaftswährung Euro passte er im Laufe der Jahre an die Umfrageergebnisse an, wonach die Tschechen mehrheitlich für die Beibehaltung der eigenen Landeswährung, der Tschechischen Krone, sind. Er sagte, als Unternehmer wäre er für den Euro, als Politiker aber nicht - Tschechien brauche eine eigene Währung und eine eigenständige Währungspolitik.
Auch der Ukraine-Krieg ist ihm vor allem Anlass, mit populistischen Ansichten zu punkten. So äußerte er sich kritisch über ukrainische Flüchtlinge, die angeblich in "teuren Autos" angereist kämen. Die Regierung tue zu wenig, um die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges für "die Unseren" zu lindern und wolle den Bürgern gar nicht helfen. Sowohl die finanzielle Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge als auch die tschechischen Hilfen für den kämpfenden ukrainischen Staat sollten seiner Meinung nach reduziert werden.
Babiš war lange mit einer Ärztin verheiratet, mit der er zwei Kinder hat. Noch während dieser Ehe fing er eine Beziehung mit einer 20 Jahre jüngeren Frau an, die er 2017 heiratete. Mit seiner zweiten Frau hat er ebenfalls zwei Kinder.
Babiš war nach Frankreich gereist, nachdem er sich am Montag geweigert hatte, persönlich vor dem Stadtgericht in Prag zu erscheinen. Nach dreijährigem Prozess sprach ihn das Gericht in erster Instanz vom Vorwurf des Subventionsbetrugs frei. Außerdem weigerte sich Babiš konsequent, an Fernsehdebatten mit den anderen Kandidaten teilzunehmen - er versprach lediglich, an der letzten Debatte der drei umfragestärksten Kandidaten im TV-Sender Nova kurz vor der Wahl teilzunehmen.
Kandidaten haben Image-Probleme
Bisher hatten die Wähler die Chance, die anderen beiden Favoriten in Debatten zu bewerten. Als wahrscheinlichster Sieger gilt Petr Pavel, ehemaliger Offizier der tschechischen Armee und Veteran des Jugoslawien-Kriegs in den 1990er-Jahren. Auch Danuše Nerudová, einer Wirtschaftswissenschaftlerin und ehemaligen Rektorin der Mendel-Universität in Brünn, werden gute Chancen eingeräumt. Ihr gehört jetzt Platz drei. Die anderen fünf Bewerber um das Präsidentenamt sind Umfragen zufolge aus dem Rennen.
Sollte es Nerudová doch noch gelingen, Babiš und Pavel zu schlagen, wäre sie die erste Frau an der Spitze des tschechischen Staates. Das ist aber wenig wahrscheinlich: Während Babiš und Pavel nach zusammengefassten Umfragedaten nun von jeweils rund 28 Prozent der Wähler unterstützt werden, liegt Nerudová vier Prozentpunkte zurück - keine gute Ausgangslage für den Kampf um das höchste Amt im Staat.
Wer ist Danuše Nerudová?
Danuše Nerudová wurde 1979 in Brünn geboren. Sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin und hat sich auf die Themen Steuern und Rechnungswesen spezialisiert. Seit 2017 ist sie Professorin, in den Jahren 2018 bis 2022 war sie zudem Rektorin der Mendel-Universität in Brünn.
Politisch steht sie für liberale wirtschaftliche und weltanschaulliche Positionen. Sie ist gegen flächendeckende Subventionen zur Lösung der derzeitigen Wirtschaftskrise, sondern für gezielte Unterstützung von Bevölkerungsschichten, die das tatsächlich brauchen. Außerdem ist sie für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Die Tschechische Republik unternehme außerdem zu wenig, um den Klimawandel aufzuhalten. Auch bei der Lösung der Flüchtlingskrise müssten Umweltaspekte stärker berücksichtigt werden. Sie ist für eine schnelle Einführung des Euro in Tschechien.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 sprach sie sich für harte Sanktionen gegen Russland aus und hielt Vorträge über die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs. Sie nannte Russland einen "terroristischen Staat". Bleibe der Westen untätig, werde Russland binnen vier Jahren auch die Tschechische Republik angreifen, sagte sie. Auch über China äußert sie sich kritisch, verweist auf Menschenrechtsverletzungen und plädiert dafür, Chinas Einfluss in Tschechien zu beobachten.
Nerudová ist mit einem Rechtsanwalt verheiratet. In ihrer Freizeit geht sie gerne Pilze sammeln und angeln. In der Kindheit spielte sie Klavier und Gitarre.
Alle drei Hauptkandidaten haben allerdings Probleme. Babiš hat zwar eine starke Basis unter den Wählern seiner populistischen ANO-Bewegung, die er während seiner Tour durch das Land in einem Wohnmobil angesprochen hat - insbesondere mit Kritik an der derzeitigen Regierungskoalition. Für etwa die Hälfte der Wähler ist Babiš jedoch ein völlig inakzeptabler Kandidat: Grund dafür ist nicht nur das (erstinstanzlich abgeschlossene) Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit möglichem Subventionsbetrug, sondern auch Vorwürfe der Europäischen Kommission wegen seines Interessenkonflikts und seiner Vorliebe für Autokraten wie den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán.
Andererseits kämpfen Pavel und Nerudová um eine sehr ähnliche Wählergruppe: Menschen, die Babiš wie auch seine Kritik an der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge oder an der Hilfe für Kiew scharf ablehnen.
Der 61-jährige General Pavel präsentiert sich als pro-westlicher Kandidat für die Kriegszeiten und verspricht in seiner Kampagne "Ordnung und Frieden". Als ehemaliger Chef des Generalstabs der Armee punktet er beim eher konservativen Teil der Bevölkerung und bei Menschen aus mittelgroßen Städten. Für manche ist Pavels Vergangenheit jedoch ein absolutes Ausschlusskriterium: Er war vor 1989 Mitglied der Kommunistischen Partei und wurde damals zum Soldaten ausgebildet. Nach der Wende diente er bei den Schutztruppen der Uno und bei der Nato.
Wer ist Petr Pavel?
Petr Pavel wurde 1961 in Planá in Westböhmen geboren. Er ist pensionierter Armeegeneral (entsprechend einem General der Bundeswehr). In den Achtzigerjahren diente er bei den elitären Fallschirmjägern und in den Neunzigern im Generalstab. 1993 nahm er als Offizier an der Friedensmission UNPROFOR im ehemaligen Jugoslawien teil. Dort half seine Einheit, mehr als 50 abgeschnittene französische Soldaten zu befreien, wofür er die französische Ehrenlegion erhielt. In den Zweitausenderjahren nahm er verschiedene Funktionen als Vertreter der tschechischen Armee bei ausländischen Staaten und bei der Nato wahr. In den Jahren 2012 bis 2015 war er Chef des Generalstabs der tschechischen Armee und anschließend bis 2018 Vorsitzender des Nato-Militärausschusses (als erster Militär aus einem ehemaligen Mitgliedsstaat des Warschauer Pakts).
Als seine Prioritäten betrachtet er eine aktive Außenpolitik, Energie-Unabhängigkeit (weshalb er die Einstufung von Atomenergie als grüne Energiequelle begrüßt), eine innovative Wirtschaft mit einer höheren Wertschöpfung, eine gesunde Umwelt und Bildung. Er wolle zudem ein Präsident sein, der Streitigkeiten schlichte und würde kein Veto gegen die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare einlegen. Er ist für die Einführung des Euro, würde aber nicht auf ein konkretes Datum drängen.
In Bezug auf die russische Aggression auf die Ukraine vertritt er die Ansicht, dass der Westen schon nach der Krim-Annexion und der Abpaltung des Donbas entschiedener hätte reagieren sollen. Unter bestimmten Umständen wäre er mit einem Einsatz von Nato-Soldaten zum Schutz humanitärer Korridore in der Ukraine und mit einer Flugverbotszone einverstanden. Er sei froh, das Tschechien sich nicht von Russland habe einschüchtern lassen und weiter die Ukraine unterstütze. Eine Zurückhaltung des Westens in dieser Frage könne Russland als Schwäche deuten.
Pavel ist zum zweiten Mal verheiratet. Aus der ersten, geschiedenen Ehe hat er zwei Söhne. Seine zweite Frau ist Soldatin im Rang eines Oberstleutnant.
Die 45-jährige Hochschullehrerin Nerudová hat sich in ihrem Wahlkampf häufig zu den sozialen Problemen des Landes geäußert und spricht erfolgreich junge, liberale Wähler an, vor allem in Prag. Ein Skandal an der Wirtschaftsfakultät der Mendel-Universität in Brünn, den sie Kritikern zufolge als Rektorin nicht entschlossen genug aufgedeckt habe, kostet sie allerdings Stimmen. Nerudová weist die Kritik zurück.
Überraschung beim zweiten Wahlgang?
Umfragen zufolge ist es unwahrscheinlich, dass Tschechien gleich nach dem ersten Wahlgang an diesem Wochenende ein neues Staatsoberhaupt haben wird, denn dazu bräuchte er oder sie mehr als 50 Prozent der Stimmen.
Deswegen wird aller Voraussicht nach am 27. und 28. Januar ein zweiter Wahlgang stattfinden. Erwartet wird, dass dabei Petr Pavel und Andrej Babiš als die beiden stimmenstärksten Kandidaten gegeneinander antreten werden. Und nach allen verfügbaren Wahlmodellen wird dann der ehemalige Nato-General den ehemaligen Ministerpräsidenten Babiš besiegen.
Allerdings berücksichtigt keine der Umfragen den jüngsten Freispruch von Babiš, und Soziologen gehen davon aus, dass der Ex-Premier danach noch zusätzliche Stimmen erhalten könnte. "Auch der Besuch bei Macron könnte ihm im zweiten Wahlgang helfen, sich als akzeptabler Kandidat zu präsentieren, der sich mit westlichen Staatsoberhäuptern trifft, und Vorwürfe abzuwehren, dass er Tschechien in die Richtung von Orbáns Ungarn führen will", so Martin Buchtík, Soziologe beim Thinktank STEM gegenüber dem MDR. Eine Überraschung bei der tschechischen Präsidentschaftswahl ist also immer noch möglich.
Wie wird der Präsident von Tschechien gewählt?
Es ist das dritte Mal, dass die Tschechen ihren Präsidenten direkt wählen. Bis 2013 wählten die Parlamentarier das Staatsoberhaupt. Die beiden vorherigen Wahlen gewann der sozialdemokratische Politiker Miloš Zeman im zweiten Wahlgang.
Das Staatsoberhaupt hat in Tschechien eine fünfjährige Amtszeit und eine symbolische Funktion mit relativ geringen Befugnissen. Anders als in Deutschland spielt er aber beispielsweise bei der Ernennung des Ministerpräsidenten und anderer Mitglieder der Regierung, wie auch des Gouverneurs der Tschechischen Nationalbank oder der Präsidenten und Richter des Verfassungsgerichts eine wichtige Rolle.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 14. Januar 2023 | 19:30 Uhr