Russland | USA US-Präsidentschaftswahl: Moskau zeigt Desinteresse
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06. November 2020, 19:37 Uhr
Ob Biden oder Trump: Dem Kreml ist es nahezu egal, wer nächster US-Präsident wird. Trotzdem berichten die Staatsmedien ausführlich über die Wahl. Der Tenor: Schaut Euch dieses Chaos an!
2016, als Donald Trump Präsident wurde, ließen kremlnahe Politiker und Journalisten staatlicher Medien buchstäblich die Sektkorken knallen. Die Nachricht vom Wahlsieg Donald Trumps platzte damals mitten in eine Sitzung des russischen Parlaments. Wjatscheslaw Nikonow, ein Abgeordneter der Kremlpartei Einiges Russland verkündete: "Soeben hat Hilary Clinton ihre Wahlniederlage eingestanden. Ich gratuliere ihnen zum Wahlsieg von Donald Trump", sagte Nikonow und löste freudigen Beifall aus. Man glaubte damals, mit Trump an der Spitze ein besseres Verhältnis zu den USA zu entwickeln.
Meisten Russen ohne Favorit
Vier Jahre später sind viele der damaligen Hoffnungen enttäuscht worden. Die Beziehungen zwischen Washington und Moskau haben sich seitdem weiter verschlechtert. Deswegen spielte es für den Kreml dieses Mal keine entscheidende Rolle mehr, wer der neue US-Präsident wird. "Es ist das erste Mal, dass wir die Wahl in den USA nur als ein Theaterstück, wenn auch von mittlerer Qualität, betrachten können", kommentierte etwa am Mittwoch Außenpolitik-Experte und Chef der Zeitschrift "Russia in Foreign Affairs", Fjodor Lukjanow. Die Beziehungen zwischen Russland und den USA seien so schlecht, dass es egal sei, wer im Weißen Haus sitzt. Die meisten Russen außerhalb des Medien- und Politikbetriebs, die die Wahl vor vier Jahren noch gebannt verfolgt hatten, zeigten dieses Jahr Desinteresse. Nur jeder zehnte Russe hatte sich laut einer Umfrage des Moskauer FOM-Instituts im Vorfeld auf Trump oder Biden als Favoriten festgelegt. Fast 50 Prozent der Befragten verfolgten die Wahl überhaupt nicht.
Wahl diskreditiert
In den staatlichen Medien spielte deswegen nicht so sehr der Ausgang selbst eine Rolle, sondern die Demonstration der vermeintlich chaotischen Umstände der Wahl in den USA. Noch am Wahltag überschlugen sich kremlnahe Kommentatoren mit Einschätzungen dazu, wie intransparent die US-Wahl sei. Jede kleine Unregelmäßigkeit schaffte es in die staatlichen Medien. Jeder für den oberflächlichen Beobachter eigenartig wirkende Sprung bei der Stimmenzählung wurde lang und breit diskutiert. Immer mit dem Blick auf die Kritik seitens des Westens auf die undemokratischen Verhältnisse in Russland selbst. "Neither Free nor fair", sei die Wahl in den USA, also weder frei noch fair, schrieb Margarita Simonjan, die Chefin des staatlichen Auslandssenders RT, der vielen als Sprachrohr staatlicher Propaganda gilt, an ihre knapp 100.000 Follower im Messengerdienst Telegram.
Für den Kreml galt es aus dieser US-Wahl vor allem innenpolitisches Kapital zu schlagen. Denn zuletzt geriet das russische Wahlsystem selbst auch im Inland immer mehr in die Kritik, etwa weil Abstimmungen nun auf mehrere Tage gestreckt werden dürfen. Ein Verweis auf die angeblich mindestens ebenso schlechten Verhältnisse in den USA gehört seit Jahren zum Arsenal staatlicher Propaganda. Nicht ohne Erfolg, denn laut einer aktuellen Umfrage des staatlichen Instituts WZIOM halten zwei Drittel der Russen das US-Wahlsystem für ungerecht. Knapp 40 Prozent finden, dass die US-Briefwahl fälschungsanfällig sei.
Biden könnte besser sein
Hoffnung auf eine Besserung der Beziehungen, ob unter Trump oder unter Biden, hegt dagegen heute kaum noch einer in Russland. Beide Kandidaten hatten im Wahlkampf scharf gegen Russland geschossen. Gewiss hätten vier weitere Jahre Trump einigen russischen Interessen in die Hände gespielt, etwa weil er sich nur halbherzig für Konflikte wie Syrien interessierte, wo Russland wiederum eine Rolle als Ordnungsmacht beansprucht. Gleichzeitig torpedierte Trump einige wichtige russische Energieprojekte wie Nord Stream 2 und führte die USA mit seiner Unterstützung der Fracking-Industrie zum Status einer Energiemacht.
Die Expertin für russisch-amerikanische Beziehungen, die Politikwissenschaftlerin Marija Snegowaja vom US Think Center for European Policy Analysis, sieht hingegen mehr Anknüpfungspunkte mit Joe Biden. "Wir würden mit ihm als Präsidenten kaum eine konkrete und harte Politik sehen, die Putins expansionistische Ambitionen eindämmt", meint Snegovaja. Biden sei anders als Trump interessiert an einem neuen Abrüstungsvertrag mit Russland und könnte weniger Härte gegenüber Russland und Europa im Umgang mit Nord Stream 2 zeigen. Und was noch wichtiger sei. Die Ablehnung von Biden und seiner Demokraten gegenüber der Ölförderung durch das Fracking-Verfahren könne langfristig den Ölpreis steigen lassen, was dem Kreml am Ende eindeutig nutzen würde, so Snegovaja.
Tiger und Bären im Zoo von Krasnojarsk haben Biden jedenfalls schon Ende Oktober als Sieger gesehen. Den Tieren wurden Melonen mit den Konterfeis der beiden US-Präsidentschaftskandidaten in den Käfig gelegt. Nächster US-Präsident soll derjenige werden, dessen Melone die Tiere als ersten anknabberten. Die Wahl fiel auf Joe Biden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL TV | 05. November 2020 | 10:55 Uhr