Plagiathandel Russland sagt Produktpiraten den Kampf an
Hauptinhalt
28. August 2019, 15:47 Uhr
Produktfälschungen sind ein globales Problem. Sie schaden den Markeninhabern, bringen den Staat um Zoll- und Steuereinnahmen und können im schlimmsten Fall die Gesundheit der Endverbraucher schädigen. In Russland ist dieses Problem besonders gravierend. Einer aktuellen Untersuchung zufolge übersteigt das Handelsvolumen mit gefälschter Luxusbekleidung jenes mit Originalen um 13 Prozent. Nun möchte der Staat konsequenter durchgreifen.
Der Großmarkt "Sadowod" im Südosten Moskaus kündigt sich bereits von weitem an. Die Ausfahrt von der Ringautobahn zum Markt ist ständig verstopft, der Stau zieht sich teilweise kilometerlang – LKWs, Busse, Privat-PKWs, alle wollen sie hierher, um Waren abzuliefern oder einzukaufen. Auch die Autos auf dem riesigen Parkplatz sprechen für sich: Von der Luxuslimousine bis zum schrottreifen Lada ist alles vertreten. Schließlich bekommt man im "Sadowod" alles: vom Kochtopf, über Jagd- und Angelzubehör bis hin zu Markenschuhen und Luxusklamotten – und all das zu unglaublich niedrigen Preisen. Rund 36,5 Millionen Kunden sollen im Jahr Russlands größten Großhandel frequentieren. Hier kauft nicht nur ganz Moskau ein, sondern der ganze europäische Teil des Landes – vom Ural bis Smolensk, von Murmansk bis Machatschkala.
Sind meine Turnschuhe gefälscht? Egal.
Was "Sadowod" bei Endkunden undHändlern gleichermaßen beliebt macht, sind die extrem günstigen Preise. Dabei wird hier nicht nur Ramsch angeboten. Geht man entlang der endlosen Reihen kleiner Geschäfte, über 8.000 sollen es sein, springen einen regelrecht die weltbekannten Marken an: von Gucci bis Adidas. Das russische Segment der Videoplattform Youtube ist voll mit Videos aus dem "Sadowod". Darin werden besonders günstige Geschäfte vorgestellt oder solche, die besonders gute Qualität anbieten. Das Genre der Laden-Reviews boomt regelrecht. Ein gewisser Stas Rysitsch etwa stellt in einem seiner Videos einen Laden vor, indem er besonders gerne Sneakers einkauft. Zu sehen sind reihenweise die neuesten Modelle aller bekannter Marken und keines davon kostet mehr als 2.500 Rubel, umgerechnet rund 35 Euro. Rysitsch' neuste Errungenschaft: ein Paar Adidas-Turnschuhe. Das Logo stimmt, die Qualität auch. Er habe extra welche mit schwarzer statt mit weißer Sohle haben wollen. "Keine Ahnung, ob es die auch im Original mit schwarzer Sohle gibt, aber ich kaufe sie ja auch, weil sie mir gefallen", konstatiert Rysitsch.
Neueste Markenschuhe für nur 35 Euro?
Anfang Juli 2019 veröffentlichte die russische Tageszeitung Kommersant einen Artikel über den Plagiathandel in Russland. Der Autor beruft sich darin auf eine aktuelle Untersuchung der Moskauer Anwaltskanzlei Brand Monitor, die auf Markenschutz spezialisiert ist. Die Juristen kommen zum Ergebnis, dass das Handelsvolumen in Russland plagiierter Markenbekleidung, Schuhe und Accessoires 280 Milliarden Rubel oder umgerechnet vier Milliarden Euro im Jahr beträgt. Damit, so Kommersant, würden die verkauften Plagiate den Handel mit legalen Waren um 13 Prozent übersteigen. Die Verkäufe laufen dabei zu 40 Prozent über Großmärkte wie "Sadowod" und zu 30 Prozent über reine Kleidermärkte, wobei die Tendenz zunehmend in Richtung Onlinehandel geht. Eine Besserung scheint nicht in Sicht. Laut staatlicher Statistikbehörde Rosstat, sind die Realeinkommen der Russen im ersten Quartal 2019 um 2,3 Prozentpunkte gesunken. Unter solchen Umständen geht Kommersant davon aus, dass das Bedürfnis zu sparen und dabei trotzdem modisch auszusehen, noch weiter steigen wird.
Der Plagiathandel beschränkt sich dabei nicht nur auf die Bekleidungsindustrie. In Russland werden praktisch in jedem Bereich Fälschungen angeboten. Parfüm, Kosmetik, Medikamente, Elektronik, Tabak und Alkohol. Selbst Mineralwasser ist davon nicht ausgenommen. Am 8. Juli 2019 gab die Vorsitzende des Oberhauses des russischen Parlaments bei einer Sitzung bekannt, dass 80 Prozent des Mineralwassers auf dem russischen Markt gefälscht sein sollen, also unter Markennamen verkauft werden, zu deren Brunnen die Hersteller keinen Zugang haben.
Putin: Fälschungen eine Katastrophe
Dabei ist Problem seit langem bekannt. Schon 2013 sprach Wladimir Putin von Produktfälschungen als einer Katastrophe für die russische Konsumgüterproduktion. "In unserem Land dominieren nach wie vor Importgüter, die dazu noch oft von niedriger Qualität und zweifelhafter Herkunft sind", betonte er damals bei einem Branchentreffen in Wologda. Doch passiert ist seit dem wenig. Zwar gibt es immer wieder Polizeikontrollen an einschlägigen Verkaufsorten, wie etwa am 4. Oktober 2017 in "Sadowod", doch die Beamten scheinen dabei nicht interessiert zu sein, ernsthaft durchzugreifen. Nur vier Rechtsverstöße im Zusammenhang mit der illegalen Verwendung von Markenzeichen wurden dabei festgestellt und insgesamt 210 gefälschte Produkte im Wert von umgerechnet rund 1.500 Euro beschlagnahmt, hauptsächlich aus dem Bereich Kinderbekleidung.
Vorbei an Zoll und Steuer
Die jüngste Initiative des russischen Verbraucherschutzes greift deutlich weiter und soll bis 2024 eine umfassende Lösung des Problems mit sich bringen. Die sieht vor, dass stufenweise alle Konsumgüter elektronisch markiert werden und somit lückenlos von der Produktion bis zum Verkauf nachverfolgbar sein sollen. Damit soll Schluss sein mit Importen und Verkäufen vorbei am Zoll und der Steuer. Doch die Eigentümer des Großmarktes "Sadowod" scheint diese Entwicklung nicht sonderlich zu stören. Die Unternehmer God Nisanow und Zarach Iliew gelten als die "Könige des russischen Immobilienmarktes". Nach Schätzungen des Forbes-Magazine haben sie 2018 durch die Vermietung verschiedenster Objekte einen Gewinn von rund 1,5 Milliarden Dollar erzielt. Im Augenblick wird auf dem Marktgelände aktiv gebaut, um weitere Verkaufsflächen zu generieren. Denn das Angebot wird ja bekanntlich von der Nachfrage bestimmt.
den
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 09. November 2018 | 17:45 Uhr