Neuer "Deal" verspricht soziale Wohltaten Polens Regierung als Robin Hood - so will die PiS an der Macht bleiben
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22. Mai 2021, 06:25 Uhr
Die polnische Regierung geriert sich dieser Tage wie ein guter Räuber, der Reichen nimmt, um Arme zu beschenken – so sehen es zumindest die politischen Gegner. Ihr "Polnischer Deal" genanntes Programm – ursprünglich unter dem Namen "Neuer Deal" angekündigt und seit Monaten erwartet – wurde nun vorgestellt. Offiziell soll es das Durchstarten nach der Pandemie erleichtern. Doch bei nährem Hinsehen entpuppt es sich als ein soziales Umverteilungsprojekt, das der PiS den nächsten Wahlsieg sichern soll.
Das 132-seitige Dokument spart kaum einen Lebensbereich aus – und beginnt mit dem allgemeinen Versprechen, dass Polen in Sachen Wohlstand den Westen weiter einholen wird. Es wirkt wie ein buntes Potpourri – als hätten alle Minister ihre Schreibtischschubladen geleert und verschiedenste Ideen und Konzepte zusammengetragen. Und so stehen große Systemreformen neben Nischenthemen und Kleinstlösungen. Als zentrale Bereiche kann man aber Gesundheit, Steuern und Familienpolitik erkennen.
Mehr Geld für Polens Gesundheitssystem
Die Corona-Pandemie hat den desolaten Zustand des polnischen Gesundheitswesens offenbart. Folgerichtig sollen die Gesundheitsausgaben steigen: von derzeit gut fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts auf sieben Prozent im Jahr 2027. Das Geld soll u.a. in die Modernisierung der Krankenhäuser sowie spezielle Onkologie- und Kardiologie-Zentren fließen. Außerdem sollen Bürger leichter an Facharzttermine kommen.
Zur Finanzierung schweigt sich die PiS aus. Fest steht aber, dass Selbständige zur Kasse gebeten werden. Bislang zahlten sie einen pauschalen, recht niedrigen Krankenkassenbeitrag. Künftig sollen sie wie Arbeitnehmer neun Prozent ihres Einkommens abführen, die sie steuerlich außerdem nicht mehr absetzen können.
Steuersenkungen für Arme, Besserverdiener müssen zahlen
Auch das Steuersystem wird radikal umgebaut. Alle Bürger erhalten einen Freibetrag von umgerechnet rund 6.600 Euro und die Einkommensschwelle, ab der der erhöhte Steuersatz greift, wird ebenfalls angehoben. Laut PiS soll das für 18 Millionen Bürger niedrigere Steuern bedeuten – bei insgesamt 27 Millionen Steuerzahlern.
Allerdings haben Experten errechnet, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Denn der nicht mehr absetzbare und für Selbständige höhere Krankenkassenbeitrag frisst das Steuergeschenk oftmals auf. Effektiv wird die Abgabenlast nur für Menschen mit niedrigen Einkommen sinken. Wer sich im Mittelfeld bewegt, kommt bei Null raus. Besserverdiener ab ungefähr 10.000 Złoty brutto im Monat (ca. 2.200 Euro) werden dagegen deutlich mehr als bislang abführen müssen.
Familien: Geld fürs Kinderkriegen, Hilfe beim Wohnungskauf
Da die bisherige Familienpolitik der PiS mit ihrem Flaggschiff "Kindergeld 500+" polnische Frauen nicht zu mehr Geburten animieren konnte, setzt man auch hier eines drauf. Mit staatlicher Unterstützung sollen einige Hundert neue Kitas und Horte entstehen. Für jedes zweite und weitere Kind in der Familie soll es eine staatliche Leistung von 12.000 Złoty (etwa 2.650 Euro) geben, zahlbar wahlweise in 12 oder 24 Monatsraten.
Jungen Familien greift der Staat außerdem beim Kauf einer Wohnung mit Darlehensgarantien unter die Arme. Damit sollen auch diejenigen zum Zug kommen, die das nötige Eigenkapital nicht haben und deshalb zur Miete wohnen müssen – was in Polen unbeliebt ist und als teuer gilt. Bei kinderreichen Familien soll ein Teil der staatlichen Unterstützung sogar "abgekindert" werden können.
Infrastruktur: 2.500 neue Straßen und Breitbandinternet
Viel Platz bei den PiS-Versprechen nehmen auch Infrastruktur-Investitionen ein: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen rund 2.500 Kilometer neue Straßen gebaut und das Autobahnnetz vollendet werden. Der ländliche Raum soll bessere Bahn- und Busverbindungen, Breitbandinternet und mehr Kanalisations- und Gasnetze bekommen.
Auch an den polnischen Nationalstolz ist gedacht
Wie bei einer nationalkonservativen Partei nicht anders zu erwarten, kommt auch die Ideologie nicht zu kurz. So kündigte Parteichef Jarosław Kaczyński an, bedeutende nationale Baudenkmäler, Schlösser und Burgen wiederaufzubauen. Konkret nannte er das Sächsische Palais, das nach dem Warschauer Aufstand von den Deutschen planmäßig zerstört wurde. Außerdem würden rund 100 Museen erweitert. Das Fach Geschichte soll an Schulen in polnische Geschichte und Weltgeschichte gesplittet werden.
Premierminister Mateusz Morawiecki ergänzte: "Wir sind nicht dazu verdammt, westliche Moden zu übernehmen, wir können ein Polen mit polnischen Regeln und Werten haben." Und während es bei der virtuellen Programmpräsentation an solchen nationalpathetischen Phrasen nicht fehlte, sind die Angaben zur Finanzierung des Programms sehr vage.
Befreiungsschlag für schwächelnde PiS-Partei
Bei allem Für und Wider: Mit dem "New Deal" ist der Regierung ein großer Coup gelungen. Sie geht damit aus der Defensive und zum Angriff über. Seit Monaten dauerten in der Koalition – neben der PiS sind zwei kleine Schwesternparteien an Bord – interne Kämpfe an. Die zerstrittene Regierung konnte eigene Gesetzesvorhaben nicht durchbringen. Die PiS schien nach Jahren an der Macht "abgenutzt" und auf dem absteigenden Ast. Die alten Sozialgeschenke, mit denen sie frühere Wahlen gewann – wie das Kindergeld und die 13. Rente – hatten ihren Glanz verloren, weil sie inzwischen als selbstverständlich gelten. Ein Absturz der Umfragewerte war die Folge – und das bei der lange als "unsinkbar" geltenden PiS! Dass sie die nächsten, möglicherweise vorgezogenen Wahlen verlieren wird, schien manchen bereits als ausgemacht.
Doch all das ist nun vergessen. Die Koalition ist zumindest vorübergehend wieder zusammengeschweißt und die PiS im Aufwind, wie erste Umfragen nach der Programmpräsentation nahelegen. Ein erneuter Wahlsieg der PiS erscheint nicht nur möglich, sondern manchen sogar schon als ausgemacht. Kein Wunder, dass der "Polnische Deal" von Kritikern als eine Art Stimmenkaufprogramm 2.0 gewertet wird, eine gedopte Turboversion der bisherigen Sozialpolitik.
Opposition in der Defensive
Fakt ist aber auch, dass die Opposition nicht in der Lage ist, eine Alternative zu präsentieren. Denn viele Diagnosen, die der "Neue Deal" stellt, sind richtig – etwa die übermäßige Ausbreitung prekärer Arbeitsverhältnisse wie Werkvertrag und Scheinselbständigkeit, denen die PiS nun den Kampf ansagt, auch wenn sich über die verordnete Kur streiten lässt. Doch die Mühe, einen Gegenentwurf vorzustellen, macht sich die Opposition nicht – und das, obwohl sie ausreichend Zeit dafür hatte, denn dass der "Neue Deal" kommen wird, war seit Monaten bekannt. Die linken Oppositionsparteien unterstützen ihn wegen der sozialen Bestandteile und die wirtschaftsliberalen haben sich darauf verlegt, Geringverdiener, die davon am meisten profitieren werden, als "Faulenzer" hinzustellen, die auf Kosten anderer lebten. Damit spielen sie aber der PiS in die Hände, die den Gegensatz zwischen Arm und Reich bei früheren Wahlen gekonnt instrumentalisieren und sich als Verteidigerin des "kleinen Mannes" in Szene setzen konnte.
Nicht einmal einen einfachen Faktencheck, der die einzelnen Versprechen des "Polnischen Deals" der PiS auf den Prüfstand stellt und Schwachstellen sowie eventuelle Halbwahrheiten aufzeigt, konnte die Opposition vorlegen. Und so entsteht fast zwangsläufig der Eindruck, dass nur die PiS Visionen hat und in der Lage ist, für Polen einen großen, langfristige Fahrplan aufzustellen, während die anderen Parteien nur punktuelle Lösungen und ein unbefriedigendes Klein-Klein zu bieten haben. Ob die PiS den Wahlsieg damit in der Tasche hat, ist dennoch nicht ganz sicher, denn die internen Interessenkonflikte sind damit nicht aus der Welt – es ist eher ein Waffenstillstand in der Regierungskoalition als ein wirklicher Frieden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 22. Mai 2021 | 07:15 Uhr