Demonstration der Frauenstreik-Bewegung Strajk Kobiet gegen das neue polnische Abtreibungsgesetz in Berlin.
Auch in Berlin haben viele Frauen gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen demonstriert. Bildrechte: imago images/snapshot

Restriktives Abtreibungsgesetz in Polen Zum Schwangerschaftsabbruch nach Deutschland

07. August 2021, 05:00 Uhr

Zu einer ungewollten Schwangerschaft kann es immer kommen – allein, weil kein Verhütungsmittel zu 100 Prozent sicher ist. In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche bis zum dritten Monat möglich. Im Nachbarland Polen hingegen sind sie allerdings fast komplett verboten. Das dortige Abtreibungsgesetz gilt als eines der striktesten in Europa. Deswegen kommen auch Frauen aus Polen nach Deutschland, um ihre Schwangerschaft zu beenden.

Kamila Ferenc ist Anwältin in Warschau. Sie arbeitet für Federa – eine Nichtregierungsorganisation, die sich für die Rechte von Schwangeren einsetzt. Sie erzählt: "Ich hatte eine Klientin, die Probleme mit den Ohren hatte. Sie konnte kaum etwas hören und sie brauchte eine OP. Die musste aber aufgeschoben werden, weil sie schwanger war."

Dann habe die Klientin rausgefunden, dass der Fötus erkrankt sei und nicht überleben würde. Das habe sie in gleich zwei Notlagen gebracht: "Sie war in der Situation, dass sie wegen ihrer Operation nicht weiterkam. Sie konnte die Ohrenbehandlung nicht bekommen und sie war gezwungen, die Schwangerschaft fortzuführen – obwohl es keine Chance für eine Lebendgeburt gab", erzählt Ferenc.

Polinnen beenden ungewollte Schwangerschaft häufig im Ausland

Schwangerschaftsabbrüche sind in Polen fast gar nicht mehr erlaubt. Nur zum Beispiel nach einer Vergewaltigung – oder wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Eine bis dato weitere Voraussetzung – die unheilbare Erkrankung des Fötus – hat das polnische Verfassungsgericht im Oktober untersagt. Dennoch wird weiter abgetrieben. "Die meisten Frauen, die nach Pränataluntersuchungen von negativen Ergebnissen wissen, entscheiden sich, ins Ausland zu gehen oder manchmal dazu, Tabletten zu bestellen und zu Hause abzutreiben", sagt Ferenc.

Es gibt internationale Netzwerke, die die Tabletten vermitteln. Diese sind aber nur für die Frühschwangerschaft gedacht. Ist der Fötus erkrankt und die Frauen erfahren das eher spät, gehen sie nach den Worten von Ferenc oft in die Niederlande – dort sei ein Abbruch länger möglich als in Deutschland. "Aber wenn es um die ungewollten Schwangerschaften geht, dann suchen die Frauen sich Deutschland als Ziel aus – weil es sehr nah ist. Es gibt einige Kliniken mit polnisch sprechenden Ärzten direkt an der Grenze", erklärt die Anwältin.

Schweigen über Schwangerschaftsabbruch als psychische Belastung

Das Statistische Bundesamt erfasst für den Eingriff keine Nationalität – nur ob der Wohnort im Ausland liegt. In Sachsen war das im Jahr 2016 30 Mal der Fall, 2019 16 Mal, für 2020 wurden wieder 27 Abbrüche gezählt. Zum Vergleich: In Brandenburg waren es im vergangenen Jahr 232, in Berlin 191. Der Landkreis Görlitz schreibt auf Anfrage von MDR AKTUELL: "In der Regel bleiben die Frauen aus dem Ausland eher Einzelfälle in den Beratungsstellen unseres Landkreises."

Unter anderem beim dortigen Gesundheitsamt können Frauen sich vor einem Schwangerschaftsabbruch beraten lassen – das ist gesetzlich vorgeschrieben. Mit Gynäkologen in Polen würde meist gar nicht über die Möglichkeiten gesprochen, schreibt der Landkreis weiter: "Manche Frauen suchen erst gar keine/n Gynäkologin/Gynäkologen in ihrer Heimat auf und lassen die Schwangerschaft erst in Deutschland verbindlich feststellen. Das damit einhergehende allgemeine Schweigen der Frauen über den Schwangerschaftsabbruch ist oft ein großes Problem, das die Frauen oft psychisch belastet."

Und es gebe weitere Hürden: Die Frauen bräuchten Begleitung, oftmals Urlaub, eine Unterkunft, denn nach der Beratung bis zum Abbruch seien drei Tage Bedenkzeit nötig. Hinzu komme die Sprachbarriere. Und: Frauen mit Wohnsitz außerhalb Deutschlands müssten den Abbruch immer selbst bezahlen und sich dafür oft Geld leihen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 07. August 2021 | 06:00 Uhr

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