Tschechien Crystal Meth-Produktion verlagert sich von Tschechien in die Niederlande
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13. März 2021, 13:06 Uhr
Tschechien gilt seit Jahren als Crystal-Meth-Hochburg: Gut zehn Tonnen der synthetischen Droge werden jährlich in unserem Nachbarland produziert, etwa die Hälfte davon findet nach Schätzungen der tschechischen Behörden seinen Weg nach Deutschland – vor allem nach Sachsen, Thüringen und Bayern. Doch seit knapp einem Jahr beobachten die Behörden, dass sich Produktionsstandorte und Transportrouten verlagern. Die Niederlande rücken immer mehr in den Fokus.
Die Tschechoslowakei in den siebziger Jahren: Ebenso wie in den anderen sozialistischen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang gab es tatsächlich kaum Drogen wie Kokain, Marihuana oder Heroin. Drogen und Drogenabhängige waren laut staatlicher Propaganda allein ein Problem des kapitalistischen Westens. Aber natürlich interessierten sich auch im Sozialismus junge Leute für bewusstseinserweiternde Substanzen. Und so begannen manche von ihnen, im Geheimen zu experimentieren und Drogen herzustellen – unter anderem Crystal Meth. Einer dieser jungen Leute war Pawel Gregor, der heute als Sozialarbeiter mir Drogenabhängigen arbeitet: "Sehr einfach war das damals nicht – schon allein, weil die Sachen dafür schwer zu kriegen waren", erzählt er. "Aber mit ein bisschen Mühe hat das geklappt. Und wenn jemand weiß, wie es geht, dann kriegt man das auch schon hin."
Crystal Meth zunächst für den Eigenbedarf in der Tschechoslowakei
Damals wurde Pervitin, wie Crystal Meth in Tschechien heißt, in kleineren Mengen überwiegend für den Eigenbedarf hergestellt. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Tschechien avancierte nach dem Ende der sozialistischen Ära zum Hauptproduzenten für Crystal Meth in Europa. Allein in den vergangenen fünf Jahren haben Drogenfahnder etwa 230 Labore ausgehoben – viele von ihnen an den Grenzen zu Bayern und Sachsen, den Hauptabnehmerregionen, gelegen.
Betäubungsmittelgesetz in Tschechien wurde verschärft
In letzter Zeit beobachten Tschechiens Drogenfahnder eine neue Tendenz: "Was sich verändert hat, sind die Aktivitäten der großen kriminellen Gruppen", erzählt Jakub Frydrych, Chef der Anti-Drogen-Einheit in Tschechien. "Diese Gruppen verzichten zunehmend darauf, in Tschechien große Mengen zu produzieren. Wir beobachten, dass die Herstellung von Mengen mit mehr als fünf, zehn, fünfzehn oder zwanzig Kilogramm jetzt in anderen Ländern stattfindet."
Ein möglicher Grund ist die restriktivere Drogenpolitik: So wurde 2017 das als besonders liberal geltende Betäubungsmittelgesetz verschärft, insgesamt 63 Substanzen wurden verboten. Gleichzeitig wurde die Drogenfahndung kontinuierlich aufgestockt. Dealer werden seither konsequenter verfolgt.
Die Niederlande – bald schon Hauptproduzent von Crystal Meth?
Wohl nirgendwo auf der Welt werden seit gut fünf Jahren so viele synthetische Drogen hergestellt wie in den Niederlanden. Doch statt Ecstasy oder Speed ist es seit etwa einem Jahr häufig Crystal Meth. Dafür seien vor allem zwei Gründe verantwortlich, heißt es von Drogenfahndern: Zum einen sei die tschechische Polizei tatsächlich rigoros gegen Crystal-Labore in ihrem Land vorgegangen. Zum anderen aber hätte sich in den Niederlanden in den vergangenen Jahren eine beinahe lückenlose Infrastruktur für den internationalen Rauschgifthandel etabliert. Ein sehr großer Teil der europäischen Crystal-Produktion hat sich mittlerweile tatsächlich von Tschechien in die Niederlande verlagert.
2.500 Kilogramm Crystal Meth in Rotterdam beschlagnahmt
Und so geschieht es immer häufiger, dass in den Niederlanden Crystal Meth-Labore entdeckt werden. Laut Europol sind die Niederlande längst auf dem Weg, Tschechien als wichtigste Crystal-Meth-Produktionsstätte abzulösen. Ein Beleg dafür: Der größte Fund von Crystal Meth in Europa wurde in den Niederlanden gemacht – im vergangenen Sommer in Rotterdam. Damals konnte die niederländische Polizei mit Hilfe von Europol mehr als 2.500 Kilogramm Crystal Meth beschlagnahmen.
Mexikanische Drogenkartelle haben eine lange Tradition im Handel mit Crystal Meth
In aller Regel stecken mexikanische Drogenkartelle hinter den geheimen Crystal Meth-Laboren in den Niederlanden, die auch für den asiatischen Markt die synthetische Droge herstellen. Die Boulevardzeitung "de Telegraaf" hat die Niederlande deshalb einmal als "Walhalla für mexikanische Drogenkartelle" bezeichnet. Die Mexikaner sind Fachleute auf diesem Gebiet und besitzen auch eine lange Tradition im Crystal Meth-Handel. Die Kartelle holen sich Drogen-Experten aus Mexiko, werben aber auch vietnamesische Crystal-Köche aus Tschechien ab. Das Geschäft brummt und ist überaus lukrativ: Ein Kilo Crystal Meth wird heute für rund 14.000 Euro gehandelt.
Crystal Meth aus Holland für den gesamten deutschen Markt
Den deutschen Drogenfahndern ist die Verlagerung der Crystal Meth-Produktion natürlich nicht verborgen geblieben. Sie registrieren seit geraumer Zeit, dass Crystal Meth nun verstärkt auch aus Holland nach Deutschland geschmuggelt wird. Das meiste in Deutschland sichergestellte Crystal Meth stammt inzwischen sogar aus den Niederlanden. "Tschechien wird die Vorreiterrolle als Crystal-Produzent Nummer eins verlieren an Holland", erklärt Uwe Einsporrn vom Landeskriminalamt Sachsen. "Die Aufgriffe bei der Einfuhr des Crystals nach Deutschland, speziell in Nordrhein-Westfalen, sprechen schon dafür. Und wir haben auch erste Erkenntnisse, dass das Crystal Meth nicht unbedingt nur für Nordrhein-Westfalen bestimmt war, sondern flächendeckend deutsche Großstädte beliefert werden sollten."
Auch die Pandemie hat Einfluss auf Vertriebswege von Crystal Meth
Auch die Corona-Pandemie hat Einfluss auf die Vertriebswege der Droge. So beobachtet etwa das LKA Sachsen, dass Schmuggler wegen der verschärften Grenzkontrollen zwischen Tschechien und Deutschland vermehrt auf die grüne Grenze ausweichen. Die Droge wird von Kurieren im Schutz der Dunkelheit in mehr oder weniger unwegsamen Gegenden über die Grenze geschafft. Drogenfahnder haben so kaum Chancen, Schmuggler zu erwischen. Häufig allerdings beziehen Kunden in Deutschland ihre Ware auch direkt aus den Niederlanden – die Grenze ins Nachbarland ist nach wie vor offen. Nicht selten wird Crystal Meth aber auch im Darknet gehandelt und anschließend per Post an die Kunden in Deutschland verschickt.
Drogenbericht der Bundesregierung
Doch ganz gleich, auf welchem Wege Crystal Meth nach Deutschland gelangt, fest steht: Crystal Meth ist nach wie vor ein enormes Problem. Der letzte Drogenbericht der Bundesregierung besagt: 2019 wurden in Deutschland etwa 210 Kilogramm der synthetischen Droge sichergestellt – immerhin gut 60 Prozent mehr als noch im Jahr davor. Und Grund zur Entwarnung gibt es keinen. Im Gegenteil.
Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell | 12. März 2021 | 18:00 Uhr