Polen: Nachbarschaftshilfe wegen Corona
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13. März 2020, 16:27 Uhr
In Polen bilden sich lokale Netzwerke, um Senioren und Bedürftige zu Hause zu unterstützen. Freiwillige helfen denen, die nicht auf familiäre Unterstützung zählen können. In Sopot an der polnischen Ostsee hat die Stadt schon vor vier Jahren ein Freiwilligen-Netzwerk gegründet, das jetzt wegen Corona immer größer wird.
Im Freiwilligenzentrum von Danzigs Nachbarstadt Sopot ist die Lage seit einigen Tagen anders als sonst. Mitarbeiterin Ania Horak stellt gerade eine Datenbank zusammen. Darin sind sowohl Hilfsbedürftige als auch Freiwillige aufgelistet, die Hilfe leisten können. "Wir appellieren an alle, die ein wenig Freizeit haben und die den anderen helfen können, vor allem unseren Senioren", sagt Horak.
Der Anteil der Älteren an der Wohnbevölkerung in Danzig und Sopot ist mit 35% relativ groß. Deshalb hat die Stadt bereits alle Seniorenheime und Tagesbetreuungseinrichtungen für Besucher geschlossen. Auch alle anderen Veranstaltungen speziell für Senioren sind erst einmal auf Eis gelegt. Dies betrifft die Bereiche Gesundheit, Sport und Kultur. "Wir müssen den Senioren klar machen, dass sie lieber zu Hause bleiben. Weder die Kirche, noch der Markt oder öffentliche Verkehrsmittel sind im Moment für sie geeignet."
Hilfe-Hotline und Infoblätter
Im Gegenzug hat Sopot eine spezielle Telefonnummer für ältere Menschen eingerichtet. Dort können sie sich melden, wenn sie Hilfe benötigen. Freiwillige übernehmen dann notwendige Arbeiten. Die Palette reicht von Lebensmitteleinkäufen und dem Besorgen von notwendigen Medikamenten bis zum Ausführen von Hunden. Außerdem hat die Stadtverwaltung jetzt ein spezielles Informationsblatt herausgegeben. Das Ziel: Die Mieterinnen und Mieter für ihre älteren Nachbarn zu sensibilisieren. In jedem Mehrfamilienhaus von Sopot sind deshalb diese Informationsblätter ausgehängt worden.
Nachbarschaftshilfe lebt auf
Nachbarschaftshilfe gibt es in Sopot schon seit rund vier Jahren. 2016 wurde sie durch die Kommune ins Leben gerufen, gerade weil die Bevölkerung recht alt ist. Freiwillige können sich beim staatlichen Zentrum für Sozialhilfe melden und werden dann mit Hilfsbedürftigen zusammengebracht. Agnieszka Kobierowska ist eine der bislang 15 Helferinnen. Seit mehr als zwei Jahren kümmert sie sich neben Beruf und der eigenen Familie um ihre 75-jährige Nachbarin Iwona aus dem Nachbaraufgang. Bislang waren es vor allem Gespräche: Einmal in der Woche treffen sich die beiden Frauen zu Kaffee und Kuchen. Oder sie gehen gemeinsam zum Arzt oder zum Frisör. Für beide Frauen ist es wie ein Stück Familie.
Angesichts von Covid-19 bekommt die Nachbarschaftshilfe in Sopot nun neuen Schwung. Eine eigens geschaffene Datenbank sammelt Hilfegesuche und Angebote für Unterstützung. Und auch unabhängig von der Sopoter Initiative finden sich Freiwillige. Als die Warschauer Organisation "W imieniu" ("Im Namen") kürzlich ein Plakat mit dem Aufruf zur gegenseitigen Hilfe auf Facebook stellte, gab es innerhalb weniger Tage 1.700 Downloads. "Liebe ältere Nachbarn, wenn sie vor dem Coronavirus Angst haben und Hilfe brauchen: Wir helfen gerne. Wir erledigen Ihre Einkäufe oder holen etwas aus der Apotheke. Es reicht, bei Hausnummer .... zu klopfen oder zu klingeln. Eure Nachbarn", steht auf dem Plakat.
Medizinstudentin organisiert Hilfe
Davon hat sich auch Medizinstudentin Tanita Pawlak aus Sopot inspirieren lassen. Auf einem Aushang im Eingang ihres Hauses bietet die junge Frau Hilfe an. "Ich habe in den sozialen Medien ein Plakat gesehen. Dann dachte ich mir, vielleicht gibt es in unserem Haus auch ältere Menschen, die Hilfe brauchen." Die Aktion gilt hauptsächlich älteren Menschen, aber natürlich sind auch Mütter mit ihren Kindern betroffen. Denn ab Montag werden die Schulen in Polen geschlossen bleiben und die Kinder sollen zu Hause bleiben. "Aber natürlich können sich auch alle anderen Menschen melden, die Hilfe benötigen", sagt Tanita. Inzwischen machen es Freunde und Komillitonen Tanita gleich und haben entsprechende Hilfsangebote für ihre jeweiligen Wohnsiedlungen auf die Beine gestellt.
Telefonieren statt treffen
Durch die Ausbreitung des Coronavirus hat sich auch bei Agnieszka Kobierowska und ihrer Nachbarin Iwona etwas verändert. Unter den Nachbarn werde viel über die Gefahren und Ängste, die mit dem Virus verbunden sind, gesprochen. Sie telefonieren jetzt mehr. "Wenn ich jetzt helfen kann, dann kann Iwonka immer auf mich zählen", sagt Agnieszka. Und sollte Iwona etwas fehlen, dann steht Agnieszka jetzt auch für Besorgungen bereit.
Ermutigung zur lokalen Hilfe
Das Freiwilligenzentrum von Sopot, eine Einrichtung der Stadt, ruft dazu auf, sich möglichst vor Ort zu engagieren. "Schüler und Studenten haben zwar ab kommenden Montag offiziell in ganz Polen frei, aber die sollten nicht zu viel reisen". Bürgermeisterin Magdalena Jachim appelliert: "Schützen wir die Senioren, die Nachbarn, die wir in unmittelbarer Umgebung haben. Am besten ohne direkte Kontakte. Also hängen wir die Einkäufe am besten an die Türklinke oder legen sie vor die Tür."
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Heute im Osten | 13. März 2020 | 17:45 Uhr