Tourismus Ukraine: Ski-Urlaub mitten im Krieg
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03. Februar 2023, 14:28 Uhr
Fast ein Jahr dauert der Krieg in der Ukraine schon. Nach dem Schock der ersten Wochen und Monate kehrt inzwischen so etwas wie Alltag ein. Auch wenn es immer wieder Bombenalarm gibt, auch wenn Söhne und Väter an der Front kämpfen, versuchen die Menschen wieder normal zu funktionieren, nicht ständig an den russischen Raketenterror zu denken. Sie versuchen, die Todesgefahr, der in der Ukraine jeder ausgesetzt ist, zu vergessen. Dazu gehört für manche auch der Ski-Urlaub im Winter.
In den ersten Wochen nach Kriegsbeginn ging es für viele Ukrainer ums nackte Überleben. Nicht nur Soldaten an der Front, auch Zivilisten brachte die russische Invasion körperlich und psychisch an ihre Grenzen. Die sozialen Netzwerke waren voll mit schockierenden Berichten über russische Gräueltaten und persönliche Tragödien. Doch schon im Sommer tauchten auf Facebook und Co. wieder Bilder wie aus Friedenszeiten auf: fröhlich lächelnde Menschen, die ihren Sommerurlaub genossen. Damals sorgten solche Fotos noch für scharfe Kritik unter ukrainischen Internetusern. Doch inzwischen haben sich die Ukrainer daran gewöhnt: Auch mitten im Krieg machen Menschen Urlaub.
Ski in den Karpaten: Auszeit vom Krieg
Eine Region, die davon besonders profitiert, sind die ukrainischen Karpaten. Sie sind zu einem Mekka für Ukrainer geworden, die beim Skifahren eine Auszeit vom Krieg nehmen wollen. Weihnachten, Neujahr und Winterferien sorgten für hohe Auslastung bei Hoteliers und Reiseveranstaltern. Bei der Reiseagentur Vidviday waren alle Bustouren für Januar 2023 ausgebucht.
"Von Kiew können Sie mit dem Bus für drei Tage nach Lemberg oder nach Transkarpatien fahren", sagt Agenturmanagerin Sophia Blischuk. Kostenpunkt: umgerechnet 87 bzw. 95 Euro. Oben drauf käme ungefähr der gleiche Betrag für Eintritte und kostenpflichtige Ausflüge, zum Beispiel für ein Thermalbad oder eine Verkostung von Käse und Wein. Eine ganze Ski-Woche in Bukowel, dem größten, oder Dragobrat, dem höchstgelegenen Skiressort des Landes, ist ab umgerechnet 135 Euro zu haben. Weitere beliebte Orte sind Jaremtsche, Truskawez und Werchowyna.
Das Profil der Gäste hat sich durch den Krieg radikal verändert, berichten Betreiber von Hotels und Pensionen in Jaremtsche. Früher seien im Winter große Firmen und Gruppen gekommen, um lautstark zu feiern. Jetzt ziehe es Familien mit Kindern in die Karpaten, außerdem Menschen, die zuvor nicht an einem Urlaub in der Ukraine interessiert waren, aber aufgrund des Krieges Ferienorte im Inland wählen müssen.
"Wenn die ganze Familie nicht ins Ausland gehen kann, weil der Vater nicht ausreisen darf, wählen sie einen Ort in der Ukraine aus und zwar sehr sorgfältig. Sie mieten Hütten mit einer Küche, um selbst kochen zu können. Die Hauptanforderung ist aber, dass Strom, Warmwasser und Internet rund um die Uhr verfügbar sind ", sagt Hanna Sydorenko, die Managerin der Agentur Karpaten Travel.
Hotels rüsten gegen Stromausfälle auf
In der Tat ist es seit Kriegsbeginn äußerst schwierig, Orte mit ununterbrochener Strom-, Warmwasser- und Internetversorgung zu finden. Überall wird das Licht zeitweise ausgeschaltet. Doch die Hotels wissen sich zu helfen: Die meisten haben längst Generatoren angeschafft und Warmwasser-Engpässe versuchen sie durch holzbefeuerte Bäder und Thermalbecken auszugleichen.
Auch die Aufenthaltsdauer hat sich Reiseveranstaltern zufolge geändert: In früheren Jahren blieben die Gäste nur ein paar Tage, jetzt buchen sie mindestens eine ganze Woche, und das, obwohl die Preise in den Karpaten um ein Drittel gestiegen sind. Der Anstieg erklärt sich aus den häufigen Stromausfällen – Generatoren erzeugen enorme Kraftstoffkosten.
Und noch eines ist in dieser Wintersaison anders als vor dem Krieg: Besucher aus dem Ausland gibt es kaum. Die Managerin der Agentur Karpaty Travel meint, auch wenn es Anfragen aus Deutschland, Österreich und der Slowakei gebe, könne man den Gästen keine hundertprozentige Sicherheit etwa vor Luftangriffen garantieren. An sich sei es aber in den Karpaten erlaubt, alle touristischen Orte zu besuchen. Die einzige Einschränkung: Im Bukowel-Ressort dürfe man keine Geländefahrzeuge fahren. Außerdem müsse man immer seinen Reisepass dabeihaben, wegen der Kontrollen an den Checkpoints.
Dürfen Ukrainer im Krieg Urlaub machen?
Dass Menschen mitten im Krieg in den Urlaub fahren, schockiert in der Ukraine niemanden mehr. Psychologen haben urlaubshungrigen Ukrainern schon einige Monate nach Kriegsbeginn eine Generalabsolution erteilt: Ohne Erholung und Stressreduzierung könne der Mensch nicht ewig funktionieren. Sie ermutigten sogar ausdrücklich dazu, sich auch während des Krieges kleine Freuden zu gönnen, denn nur so werde man seine mentale Gesundheit und Leistungsfähigkeit erhalten. Der Krieg werde nicht so schnell aufhören und menschliche Ressourcen seien nicht unbegrenzt.
Positiv sieht den Trend zum Urlaub im Krieg auch die Leiterin der staatlichen Tourismusentwicklungsagentur Maryana Oleskiw. Schließlich gehe es nicht nur um persönliche Wünsche und Bedürfnisse kriegsmüder Ukrainer, der Tourismus sei auch ein Teil der kriegsgebeutelten ukrainischen Wirtschaft. Und die habe sich schnell an die Herausforderungen des Krieges angepasst, urteilt die Managerin.
Im Sommer konnten die aufs Inland spezialisierten Reiseveranstalter ihre Aktivitäten bereits zu 50 Prozent wiederaufnehmen. Jetzt im Winter öffnen große Skigebiete trotz der Stromausfälle Lifte und empfangen Touristen. Und ihre Agentur arbeite derzeit an mehreren Projekten, auch mit internationalen Partnern, die der Tourismusbranche der Ukraine helfen sollen, den Krieg zu überstehen.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 11. Februar 2023 | 07:30 Uhr