Ferien zu Hause Tschechien: Urlaub auf der Datsche
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18. Juli 2020, 05:00 Uhr
In Zeiten von Corona ist auch bei den Tschechen Urlaub im eigenen Land beliebt. Viele zieht es auf ihre Datschen. In Tschechien heißen die kleinen Wochenendhäuser "Chata" oder "Chalupa".
Als "Chalupa" werden jene Wochenend- und Ferienhäuser bezeichnet, die ursprünglich ganzjährig bewohnt und bewirtschaftet wurden, inzwischen jedoch vorrangig zur Erholung aufgesucht werden. Darunter sind auch ehemalige Wohnhäuser in den grenznahen Gebieten, die nach der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung am Ende des 2. Weltkriegs zunächst leer standen und in der Folgezeit günstig an tschechische Interessenten verkauft wurden. Meist handelt es sich jedoch um vererbte Wohnhäuser in ländlichen Regionen, deren heutige Besitzer längst in den großen Städten leben und arbeiten, das Haus und die Gegend aber noch aus ihrer Kindheit kennen und ihre Freizeit daher bevorzugt in der Heimat der Eltern oder Großeltern verbringen.
"Chatas" – Alternative zur begrenzten Reisefreiheit
Daneben finden sich in Tschechien zahlreiche Wochenendhäuser, die den ostdeutschen Datschen auch vom äußeren Erscheinungsbild her ähneln. Vor allem an Seen oder Flussläufen stehen einfache Bretterbuden neben Blockhütten im Western-Stil oder gediegenen Bungalows. Diese "Chatas" sind in der Regel kleiner als die "Chalupas" und spiegeln häufig in vielfältigen architektonischen Finessen und Details die Persönlichkeit ihrer Eigentümer wider. Wer genug vom grauen Einheitsbrei der Plattenbauten hatte, für den war die "Chata" der ideale Ort, um seine Fantasie und Kreativität auszuleben.
Überhaupt waren die Gründe, Zeit und Geld in ein kleines Häuschen auf dem Land zu investieren, in der ČSSR kaum andere als in der DDR: Neben der beengten und häufig tristen Wohnsituation in den Städten und dem Bedürfnis nach Privatsphäre, Individualität und Selbstverwirklichung war vor allem die Einschränkung der Reisefreiheit eine Ursache für die Attraktivität der "Chatas" und "Chalupas".
Refugium für Intellektuelle und Dissidenten
Eine Blütezeit erlebte das tschechische Wochenendhäuslertum in den 1960er- und 1970er-Jahren durch die zunehmende Mobilität der Bevölkerung und die Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Anschaffung und Unterhaltung eines Autos waren inzwischen kein Luxus mehr und die Einführung des arbeitsfreien Samstags eröffnete zusätzliche Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Die zunehmende Popularität der Wochenend- und Ferienhäuser hatte jedoch auch konkrete politische Ursachen. Insbesondere nach der militärischen Niederschlagung des "Prager Frühlings" im August 1968 zogen sich viele Tschechen resigniert in die Ruhe und Abgeschiedenheit ihrer Wochenendhäuser zurück.
"Chatas" und "Chalupas" waren während der sogenannten "Normalisierung" ein Refugium für Intellektuelle und Dissidenten, aber auch die arbeitende Bevölkerung flüchtete zunehmend vor staatlicher Überwachung und Indoktrination. Das Regime wiederum tolerierte das Wochenendhäuslertum wohl wissend, dass die Einschränkung der Reisefreiheit alternative Freizeitangebote erforderlich machte. In den 1970ern und 1980ern wurden pro Jahr rund 10.000 neue Wochenendhäuser errichtet.
Keine Lust mehr auf "Chata" und "Chalupa"?
Nach der "Samtenen Revolution" 1989 und dem Ende der ČSSR veränderten sich jedoch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die vorher maßgeblich zur Begehrtheit von "Chatas" und "Chalupas" beigetragen hatten. Zunächst verloren die Wochenend- und Ferienhäuser an Attraktivität: Knapp ein Fünftel der befragten Tschechen gab 2001 in einer Umfrage an, regelmäßig Wochenenden auf der "Chalupa" zu verbringen. Sechs Jahre später waren es nur noch acht Prozent der Befragten.
Vor allem in den letzten Jahren ist die Nachfrage nach den Häuschen wieder stark gestiegen und deswegen zogen auch die Preise an. War früher der Besitz einer Chata nicht in erste Linie eine Geldfrage, so kann sich heute häufig nur noch ein kaufkräftigeres Publikum leisten, neu in das Chata-Leben einzusteigen. Auch investieren die Menschen heutzutage mehr in ihre Wochenendhäuser als früher.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Heute im Osten - Die Reportage | 18. Juli 2020 | 18:00 Uhr