Rumänien Afrikanische Schweinepest im Hinterhof
Hauptinhalt
30. November 2019, 07:55 Uhr
Was in Deutschland die Gans zu Weihnachten, ist in Rumänien das Schwein. Rund eine Million Privathaushalte mästen ein Jahr lang im Hinterhof ihren Festtagsschmaus. Doch für viele Rumänen wird er diesmal ausfallen - wegen der Afrikanischen Schweinepest.
Über vier Millionen Rumänen arbeiten im westlichen Ausland – darunter auch in Deutschland. Wer von ihnen Weihnachten auf traditionelle Weise feiert, wird Produkte vom Schwein als Festtagsschmaus servieren. Oft schickt die Verwandtschaft ein Päckchen mit geräucherten Würsten, Speck und getrockneten Schweineschwarten – alles vom frisch geschlachten eigenen Hausschwein. Wenn Franz Conraths das hört, sagt er mahnend: "Solche Pakete sind für die deutschen Schweinebestände gerade hoch riskant, denn sie können die Afrikanische Schweinepest bringen." Deutschland ist der größte Schweineexporteur der EU. Würde das Virus über die Ländergrenze gelangen, drohen der deutschen Fleischindustrie empfindliche Verluste. Zusammen mit Bauern, Jägern und Tierärzten setzen sie alles daran, dass es nicht dazu kommt.
Conraths arbeitet am Friedrich-Loeffler-Institut in Greifswald, das Tierseuchenerreger untersucht und in diesen Tagen als Bundesforschungsinstitut viele Fragen zur Afrikanischen Schweinepest beantwortet. Der Experte beobachtet dabei auch die Lage in Rumänien, das einen traurigen Rekord an Neu-Infizierungen in der EU eingefahren hat: Rund 1.600 Hausschweine haben sich 2019 mit dem für sie tödlichen Virus infiziert – so viel wie in diesem Jahr in keinem anderen EU-Land. Das Virus kann Menschen nichts anhaben, doch ausgerechnet sie verbreiten es zumeist: Infizierte Schweine sterben in der Regel daran nach wenigen Tagen. So können Schweinehalter durch ihre Fahrzeuge oder Kleidung das Virus über hunderte Kilometer verteilen. Auch wer Schweinefleisch konsumiert, kann die Afrikanische Schweinepest versehentlich in Umlauf bringen: durch achtlos weggeworfene Wurstreste, die aus Ländern mit der Seuche stammen.
Ein eigenes Schwein vor Weihnachten schlachten
In Rumänien gibt es bei der Schweinehaltung eine besondere Situation: Von den gut vier Millionen Schweinen im Land wird Schätzungen zufolge allein ein Viertel in Privathaushalten im Hinterhof gehalten – so viele wie nirgendwo sonst in einem EU-Land. Ein ganzes Jahr lang wird das Tier mit Speiseabfällen gemästet – auch wenn das EU-weit aus Hygienegründen längst verboten ist, um eine Ausbreitung von Seuchen zu verhindern. Der Dezember ist in rumänischen Dörfern ein besonders arbeitsträchtiger Monat. Denn viele Privathaushalte schwören auf die jahrhundertealte Tradition vor Weihnachten, ein Schwein noch selbst zu schlachten. Wer von der Verwandtschaft helfen kann, packt mit an: Schlachten ist harte Tagesarbeit und Familienfest zugleich. Das frische Fleisch und die Würste sind nicht nur für die Weihnachtstage gedacht, sondern sollen für den ganzen Winter reichen.
Veterinärmediziner kommen kaum nach
Geschlachtet wird im Akkord: Oft klagen die Veterinärmediziner in den Regionen, sie könnten in der Vorweihnachtszeit gar nicht alle Schlachttiere auf Krankheiten untersuchen. Jetzt, wo die Afrikanische Schweinepest rumänienweit in über 260 Ortschaften und über der Hälfte aller 41 Kreise im Land kursiert, ist der Tierbestand besonders gefährdet. Denn das Virus kann sich in "Blut, Fleisch und Knochen monatelang, teils sogar über mehrere Jahre halten und somit beispielsweise durch das Verfüttern von Speiseabfällen weitere Schweine anstecken, wenn die Reste von infizierten Tieren enthalten", sagt Franz Conraths MDR AKTUELL. Die Seuche, die für den Menschen ungefährlich ist, endet bei Haus- und Wildschweinen dagegen tödlich.
EU warnte rumänische Behörden frühzeitig
Seit Jahren beteiligt sich Rumänien an einem EU-Programm zur Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest, allein im vorigen Jahr gab es dafür aus Brüssel einen Zuschuss von über 34 Millionen Euro. Einmal im Jahr reisen Experten der Generaldirektion "Gesundheit und Lebensmittelsicherheit" der EU-Kommission zur Prüfung vor Ort nach Rumänien. Bereits bei ihrem Besuch 2016 forderten sie die einheimischen Behörden auf, den Schweinebestand in den Privathaushalten strikter zu kontrollieren, um nicht von der Afrikanischen Schweinepest überrascht zu werden.
2017 wurde das Virus erstmals im rumänischen Nordwesten festgestellt. Im Juni 2018 kamen zahlreiche Ausbrüche im Donaudelta dazu, gleich an der ukrainischen Grenze. Vermutet wird, dass Wildschweine das Virus nach Rumänien brachten. Inzwischen hat die Tierseuche das Land fest im Griff. Im Bericht vom April 2019 vermerkten die Brüsseler Experten erneut, die Behörden könnten die Herkunft der privat gehaltenen Schweine oft gar nicht zurückverfolgen. Unklar bliebe damit oft, wer das Virus wie weitergetragen haben könne. "Das führt jedoch dazu, dass sie nicht in der Lage sind, die Seuche innerhalb der infizierten Gebiete einzudämmen", heißt es im Bericht wörtlich.
Krisenmanagement der Behörden in der Kritik
Die rumänische Presse kritisierte das Krisenmanagement der Behörden in der Vergangenheit wiederholt als "planlos". Mal warnten die Dienststellen die Schweinehalter zu spät vor der Seuche, mal wurden überstürzt alle Schweine im Ort und der Nachbargemeinden getötet, wenn bei einem Tier das Virus festgestellt wurde. Von übertriebener Prophylaxe sprachen Experten in solchen Fällen, bei zahlreichen Dorfbewohnern stieß das strikte Vorgehen auf völliges Unverständnis. Sie gaben ihre Tiere oft nur unter größtem Protest her. Fachtierarzt Franz Conraths vom Friedrich-Loeffler-Institut sagt dazu: "Wenn man solche Maßnahmen nicht gut begründet und erklärt, kann man die Menschen stark verunsichern. Sie verstecken unter Umständen ihre Schweine, ganz gleich, ob die infiziert sind oder nicht". Nötig sei vielmehr eine Aufklärung der Privathalter, "um die Hygienebedingungen in den Hinterhofhaltungen so abzusichern, dass das Virus keine Chance mehr hat, sich auszubreiten".
Große Verluste für einheimische Fleischbranche
Seit Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest 2017 in Rumänien wurden nach Behördenangaben mehr als eine halbe Million Schweine im Land getötet. Für jedes Tier zahlte die staatliche Veterinärwesen- und Lebensmittelsicherheitsbehörde A.N.S.V.S.A durchschnittlich 130 Euro an die Halter, je nachdem was die Schweine auf die Waage brachten. Vielen Fleischproduzenten im Land hat die Seuche das Weihnachtsgeschäft längst verhagelt – jene Zeit im Jahr, in der Rumänen besonders Schweinefleisch konsumieren. Der Branchenverband der rumänischen Fleischindustrie spricht schon jetzt von millionenschweren Verlusten.
Ein Teil der einheimischen Produzenten darf wegen der Seuche im Land derzeit kein Schweinefleisch in die EU exportieren. Die Union will durch diese Auflagen eine Ausbreitung des Virus in andere Länder verhindern. Möglicherweise könnte in der Weihnachtssaison auch verstärkt das Gepäck von Privatreisenden oder Postsendungen in Europa kontrolliert werden, um nach kontaminierten Fleisch- und Wurstprodukten zu suchen. Verhindert werden soll ganz einfach, dass das Virus versehentlich mit dem Weihnachtspaket kommt.
(amue)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 30. November 2019 | 07:15 Uhr