Überlastung und Personalmangel Krise bei Notversorgung von Kleintieren in Mitteldeutschland
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02. Februar 2023, 09:14 Uhr
Wer mit seinem Hund, der Katze, dem Kaninchen oder Meerschwein nachts oder am Wochenende einen Tierarzt braucht, muss in Mitteldeutschland oft weit fahren. Das Aus des 24-Stunden-Notfalldienstes für Kleintiere in der Uniklinik Leipzig dürfte die Lage noch verschärfen. Nun müssen Tierarztpraxen einspringen. Die Problematik in Mitteldeutschland ist komplex und Thüringen geht dabei einen eigenen Weg.
- Tierarztpraxen sollen den Notdienst im Großraum Leipzig übernehmen.
- In Sachsen gibt es nur noch zwei private Tierkliniken statt einst 16.
- In Sachsen-Anhalt gib es keinen 24-Stunden-Notdienst mehr.
- Thüringen setzt auf zentrale Notrufstelle.
- Die Probleme sind komplex – Anfang Februar Krisentreffen in Sachsen.
Die Kleintierklinik der Universität Leipzig gibt ihren 24-Stunden-Notdienst ab Februar auf. Notfälle werden dann nur noch montags bis freitags von 7.30 bis 15 Uhr versorgt. Für viele Tierbesitzer im Raum Leipzig und auch überregional ist das ein Schock.
Die Uni-Tierklinik informierte auf ihrer Webseite: "Die Arbeitsbelastung in tierärztlichen Praxen und Tierkliniken hat dramatisch zugenommen – ganz besonders im Notdienst." Die Klinik stoße an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Dazu kommt als abschreckender Hinweis: Tiere mit "nicht-lebensbedrohlichen Erkankungen" werden abgewiesen.
Wer übernimmt die Notversorgung im Großraum Leipzig?
Nun müssen die Leipziger Tierarztpraxen die 24-Stunden-Notversorgung übernehmen. Die niedergelassenen Tiermediziner sollen in Eigenregie den Notdienst für die Region abdecken. Das schreibt die Berufsordnung der Tierärztekammer vor, wie eine Leipziger Praxis auf der Social-Media-Plattform Instagram erläutert und zugleich kritisiert:
Diese kurzfristige Änderung sei eine "Katastrophe" für viele Praxen. "Nicht nur organisatorisch ist es kaum möglich, innerhalb so kurzer Zeit die Dienste komplett umzuplanen, auch insgesamt fühlen sich viele Kollegen von der Landestierärztekammer, dem Ministerium und der Politik im Stich gelassen!"
Sachsen: Von einst 16 sind zwei private Tierkliniken geblieben
Damit bleiben für ganz Sachsen zwei private Tierkliniken mit 24-Stunden-Notversorgung: in Crimmitschau und Panitzsch. Die größeren Tierkliniken sind medizintechnisch besser ausgerüstet als kleine Praxen. Als Grund für die Einstellung des Notdienstes der Universität Leipzig nennt Rektorin Eva Obergfell ein stark gestiegenes Patientenaufkommen, weil sich viele tierärztliche Kliniken aus der Notfallversorgung zurückgezogen hätten. "Da kommt die Belegschaft nicht mehr mit", sagte sie dem MDR SACHSENSPIEGEL.
Der Präsident der sächsischen Tierärztekammer, Uwe Hörügel, spricht von einer dramatischen Lage: "Wir hatten ja mal nach der Wende 16 tierärztliche Kliniken hier in Sachsen. Jetzt sind es nur noch zwei." Als großes Problem nennt er das unflexible Arbeitsgesetz bei Tiermedizinern und den Stellenabbau. Es brauche finanzielle Unterstützung seitens der Politik sowie flexiblere Arbeitszeitmodelle, um dem Mangel an Tierärztinnen und Tierärzten entgegenzuwirken.
Tierklinik Panitzsch mit riesigem Einzugsgebiet
Die Tierklinik Panitzsch mit ihrem 24/7-Notdienstbetrieb rechnet künftig nachts und an Wochenenden mit einem erhöhten Patientenaufkommmen. Doktor Michael Kühn sagte MDR AKTUELL, das Ausmaß lasse sich nur schwer abschätzen. Man müsse abwarten, ob das zu bewältigen sei. Die Entwicklung der tiermedizinischen Versorgung in den letzten Jahren lasse jedoch jedoch Zweifel aufkommen.
Das Einzugsgebiet der Tierklinik Panitzsch erstreckt sich demnach auf Sachsen, Sachsen-Anhalt und auch Thüringen, vereinzelt auf das südliche Brandenburg. Das bedeute teils lange Anfahrtswege. Kühn empfiehlt regionale tierärztliche Notdienstringe, die nicht klinikbedürftige Erkrankungen nachts und am Wochenende übernehmen. Im Raum Leipzig gebe es da bereits eine Lösung. Eine rasche Wiederaufnahme des universitären Notdienstes wäre schön.
In Sachsen-Anhalt kein permanenter Notdienst
Ebenfalls problematisch ist die Situation in Sachsen-Anhalt. Dort gibt es mittlerweile keine tierärztliche Klinik mehr, die rund um die Uhr offen ist und somit permanenter Anlaufpunkt für Notfälle. Eine Rolle spielen dabei Auflagen für "Tierärztliche Kliniken", die zur Dienstbereitschaft rund um die Uhr verpflichten. Daher werden Kliniken einfach in Gesundheits-, Fachzentrum oder Tiertagesklinik umbenannt und müssen nicht mehr durchgehend öffnen.
Der Vizepräsident der Landes-Tierärztekammer, Falk Salchert, sagte dem MDR, insbesondere im ländlichen Raum gebe es bei den Notdiensten außerhalb der Praxisöffnungszeiten ein Problem. Bei akuten Fällen in der Nacht müssten Tierhalter teils längere Wege auf sich nehmen – bis nach Leipzig, Braunschweig oder Hannover. Doch die Option Leipzig fällt nun auch weg. Die Tierklinik Wittenberg bietet eine Woche im Monat einen 24-Stunden-Notdienst an.
Thüringen setzt auf zentralen Notruf
In Thüringen haben die Tierkliniken in Erfurt-Ilversgehofen, in Jena-Lobeda sowie die Klinik für Pferde in Bad Langensalza einen Rund-um-die-Uhr-Notdienst. Daneben steht das Tierärztliche Fachzentrum Mühlhausen als ein Maximalversorger für den Hintergrunddienst zur Verfügung.
Die Notfälle werden über den zentralen Notruf 0361-64478808 von der Landestierärztekammer verteilt. Geschäftsführer Henning Neukötter bestätigt MDR AKTUELL, das funktioniere in der Regel gut. Im vergangenen Jahr seien landesweit 21.000 Notrufe angenommen und an die Notdienste in den 14 Versorgungsregionen vermittelt worden.
Vermittelt werde zum nächstgelegenen Tierarzt, um Anfahrtwege zu minimieren. Zu Wartezeiten kommt es laut Neukötter meist nur, wenn der Notarzt etwa in einer OP beschäftigt sei. Auch Tierhalter in anderen Bundesländern nutzten die zentrale Vermittlung in Thüringen. Anderseits würden komplizierte Fälle gegebenenfalls auch an Spezialisten verwiesen - etwa an die Leipziger Uni-Tierklinik.
Komplexes Problemfeld
Neukötter sieht verschiedene Ursachen für die aktuellen Probleme beim tierärztlichen Notdienst. Um den Beruf Tierarzt finanziell attraktiver zu machen, habe die Politik reagiert. Die Gebühren pro Behandlung seien deutlich gestiegen. Die Zahl der Tierärzte deutlich zu erhöhen, hält er für unrealistisch. Zugleich arbeiteten immer mehr Tiermediziner angestellt in Kliniken und entschieden sich gegen eine eigene Praxis. Ein Grund dafür sei die meist deutlich geringere Wochenarbeitszeit für angestellte Mediziner.
Aus Sicht von Neukötter müssen auch andere Faktoren berücksichtigt werden: Während der Pandemie sei die Zahl der Haustiere in Deutschland nach oben geschnellt. Dazu kämen veränderte Erwartungen der Tierhalter zu Therapiemöglichkeiten und Kapazitäten. So habe es früher selten Operationen bei Meerschweinchen gegeben, heute würden auch Kleintiere aufwändig behandelt.
Michael Kühn von der Tierklinik Panitzsch ruft Tierhalter auf, Kliniken und andere 24/7-Notdienste wirklich nur bei lebensbedrohlichen schweren Fällen aufzusuchen. Ein Problem sei auch, dass zu wenig angehende Tiermediziner Nacht- und Wochenenddienste machen wollten. Langfristig sollte die Hochschulpolitik überdacht werden, wie etwa der Numerus Clausus. Zudem wären Erhebungen wichtig, in welche Bereiche die Absolventen nach dem Studium abwandern.
Krisentreffen in Sachsen Anfang Februar
Das Ende der 24-h-Notfallversorgung an der Leipziger Uniklinik bringt noch weitere Probleme mit sich. Die Uniklinik ist am besten mit tiermedizinischer Technik ausgestattet. Doch nun landen bei niedergelassenen Ärzten auch Notfälle, für die es manchmal an Ausrüstung fehlt. Zudem trifft es nicht nur Mitteldeutschland. Die Leipziger Tierklinik wird auch von Tierhaltern in Brandenburg und Berlin sowie in Nordbayern oder Hessen genutzt.
Von Seiten des sächsischen Wissenschaftsministeriums hieß es schriftlich auf Anfrage von MDR Aktuell, dass in der nächsten Woche gemeinsam mit dem Sozialministerium ein Konzept entwickelt werden soll, um die Lage in der Leipziger Tierklinik zu verbessern.
MDR AKTUELL(yvo,ans)/dpa
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 24. Januar 2023 | 19:00 Uhr