Politik Kein Geld aus Windkraft für Bürger: Streit um Gesetz in Thüringen
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05. Juni 2024, 16:28 Uhr
Die Regierungskoalition in Thüringen hat einen Gesetzesentwurf eingebracht, mit dem Bürger und Kommunen von Windkraftanlagen finanziell profitieren sollten. Nun wurde die direkte Bürgerbeteiligung gestrichen. Warum?
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- Was im Gesetzesentwurf zum "Windenergie-Beteiligungsgesetz" geregelt sein sollte
- Warum die direkte Bürgerbeteiligung gestrichen wurde
- Was CDU und Grüne zur Bürgerbeteiligung sagen
- Was die Zweckbindung für die Kommunen bedeutet
- Wie hoch die Chancen stehen, dass das Gesetz beschlossen wird
Mit einem neuen Gesetz sollten Anwohnerinnen und Anwohner sowie Kommunen in Thüringen vom Bau neuer Windkraftanlagen profitieren, damit die Windenergie von den Thüringerinnen und Thüringern stärker akzeptiert wird. Das war jedenfalls die Intention der Regierungskoalition aus Linke, Grüne und SPD, als sie vor einem Dreivierteljahr den Entwurf zum "Windenergie-Beteiligungsgesetz" einbrachte.
Mit dem Gesetz sollten die Betreiber von Windrädern verpflichtet werden, dass Kommunen in einem Radius von 2.500 Metern um Windräder jeweils 0,2 Cent pro erzeugter Kilowattstunde erhalten. Bürger, die in diesem Umkreis wohnen, sollten 0,1 Cent pro Kilowattstunde erzeugtem Strom bekommen.
Die Menschen vor Ort interessiert sehr, welche Vorteile sie von Windkraftanlegen haben.
Thüringens Umweltminister Bernhard Stengele (Grüne) sagte MDR THÜRINGEN dazu: "Die Menschen vor Ort interessiert sehr, welche Vorteile sie von Windkraftanlegen haben." Das Windenergie-Beteiligungsgesetz wäre "ein wichtiger Beitrag für mehr Akzeptanz der Windenergie in Thüringen."
Direkte Bürgerbeteiligung ist raus
In dieser oder in der nächsten Woche soll im Landtag über das Gesetz abgestimmt werden. Inzwischen wurde es entscheidend geändert: Die direkte Bürgerbeteiligung ist aus dem Entwurf gestrichen worden. "Dass wir das jetzt so verstümmelt haben, ist nicht schön", sagt Markus Gleichmann, energiepolitischer Sprecher der Fraktion der Linke. Schuld sei die CDU. "Die 0,1 Cent für die Einwohnerinnen und Einwohner waren nicht mehrheitsfähig. Das wollte vor allem die CDU nicht."
Dass die Regierungsparteien für ein Gesetz auf die Stimmen oder wenigstens Enthaltungen aus der Opposition angewiesen sind, liegt an der politischen Lage in Thüringen. Die Landesregierung, die den Gesetzesentwurf eingebracht hat, hat keine Mehrheit, allein kann Rot-Rot-Grün kein einziges Gesetz beschließen. Damit das Gesetz überhaupt eine Chance habe, beschlossen zu werden, habe die Koalition der Union einen Kompromiss angeboten und die direkte Bürgerbeteiligung ersatzlos gestrichen, erzählt Markus Gleichmann. "Das ist schmerzhaft."
Was CDU und Grüne zur Bürgerbeteiligung sagen
Thomas Gottweiss, energiepolitischer Sprecher der CDU, wehrt ab. Seine Fraktion habe nie darum gebeten, die direkte Bürgerbeteiligung zu streichen. Im Gegenteil: Eine Bürgerbeteiligung wäre sogar wünschenswert. Aber nicht so. Die Vorschläge von Rot-Rot-Grün, so Gottweiss, seien allesamt nicht umsetzbar gewesen. Aus Sicht der CDU sei das Gesetz zu bürokratisch, die Idee der Bürgerbeteiligung unausgegoren und bringe den Gemeinden Mehrarbeit und den Bürgern kaum Vorteile.
Das stimme so nicht, sagt Laura Wahl, energiepolitische Sprecherin der Landtagsfraktion Bündnis 90/Grüne. "Die 0,1 Cent direkte Beteiligung für die Bürger haben wir gestrichen, weil die CDU nicht dazu bereit war."
Zwei Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung
Im ursprünglichen Gesetzesentwurf werden für die direkte Beteiligung der betroffenen Einwohner zwei Möglichkeiten aufgelistet: erstens jährliche Strompreiserlösgutschriften und zweitens die Auflage eines Sparprodukts, etwa durch die Einführung eines Lokalstromtarifs, durch den die Bürger von günstigeren Strompreisen profitieren sollten.
Durch eine Strompreis-Erlösgutschrift hätten Anwohner eine Direktzahlung erhalten. "Bürgerinnen und Bürger, die berechtigt sind, hätten ihre Stromrechnung hochladen müssen und dann den Betrag, der ihnen zustünde, einfach vom Windbetreiber ausgezahlt bekommen", erklärt Laura Wahl das Modell. Das hätte man, so Wahl, einfach über eine Plattform bewerkstelligen können.
CDU: Aufwand für Bürgerbeteiligung zu hoch
Das sehe die CDU jedoch problematisch, so Gottweiss. Als Gründe nennt er den technischen Aufwand für die Energiebetreiber, den zusätzlichen Aufwand für die Gemeinden und dass das Geld zu versteuern gewesen wäre. "Am Ende wäre es sehr viel Aufwand für einen relativ geringen Betrag", sagt der CDU-Abgeordnete.
Der andere Vorschlag, die Idee des Lokalstromtarifs, sei zwar gut, aber der Lokalstromtarif sei im Vergleich teurer als der normale Tarif. "Der Lokalstromtarif war nur als eine Option verankert", sagt Laura Wahl. "Die Windbetreiber hätten ein Angebot machen können und dann hätte man als Gemeinde entscheiden können, will man den Lokalstromtarif oder nicht."
Zuviel Aufwand für die Gemeinden, die Schiedsrichter hätten spielen sollen, wendet Gottweiss ein. Zudem sollten die Betreiber den Kommunen einmal jährlich die "Zahlungen im Rahmen der direkten Einwohnerbeteiligung" nachweisen. Auch zu bürokratisch, so Gottweiss.
Zweckbindung der Gelder für die Kommunen
Ohnehin sei ihm die Bürokratie und der Aufwand auch für die 0,2 Cent, die die Kommunen bekommen sollen, zu hoch. Denn der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Gelder nur für bestimmte Zwecke verwendet werden dürfen. Tatsächlich steht im Entwurf: "Die Standortgemeinde und die betroffenen Gemeinden haben die Mittel […] zur Steigerung der Akzeptanz für Windenergieanlagen bei ihren Einwohnerinnen und Einwohnern zu verwenden."
Doch das sei eine "sehr offene Zweckbindung", sagt Laura Wahl. Im Entwurf werden als Beispiele die Aufwertung des Ortsbildes und der Infrastruktur, die Optimierung der Energiekosten und die Förderung von Veranstaltungen und Einrichtungen genannt.
Infrastruktur und Vereinsförderung? Selbst Thomas Gottweiss muss zugeben, dass das "Dinge sind, die natürlich in Ordnung sind." Das Problem sei eher, dass das kontrolliert werden müsse. Die Gemeinden sollten selbst entscheiden, wofür sie das Geld ausgeben, sagt der CDU-Politiker. "Die Zweckbindung halten wir nicht für sinnvoll."
Grünen-Politikerin Wahl hält dagegen. "Aus meiner Sicht ist das keine große Einengung, sondern einfach nochmal eine Konkretisierung, wofür die Mittel genutzt werden können und sollen." Der Gesetzesentwurf sei da wirklich sehr offen und lasse viel Spielraum zu. Sinn der Zweckbindung sei, dass man die Mittel auch für Projekte nutze, "bei denen sichtbar, das wurde durch das Windenergie-Beteiligungsgesetz geschafft".
"Da wird man kurz begründen müssen, dass man den Paragrafen etwa zur Verschönerung der Infrastruktur nutzt, das dürfte kein großer bürokratischer Akt sein." Zudem hätten die Grünen bei der CDU und bei Bürgermeistern nachgefragt, ob sie Sorge hätten, dass da irgendetwas nicht mitgemeint sein könnte. "Wir haben kein Beispiel bekommen."
Ich bin nicht zufrieden, denn wir wollten eigentlich die Beteiligung der Anwohnerinnen und Anwohner stärken, damit diese etwas davon haben, dass die Windkraftanlegen in ihrer Umgebung stehen.
Zurück zur direkten Bürgerbeteiligung, die gestrichen wurde. "Ich bin nicht zufrieden, denn wir wollten eigentlich die Beteiligung der Anwohnerinnen und Anwohner stärken, damit diese etwas davon haben, dass die Windkraftanlegen in ihrer Umgebung stehen", sagt Thomas Gleichmann von der Linken. "Aber ich akzeptiere, dass es einen Kompromiss gibt, der am Ende den Kommunen etwas hilft." Das sei wenigstens eine indirekte Beteiligung der Menschen vor Ort, denn die Gemeinde gibt das Geld in für die Einwohnerinnen und Einwohner aus.
Ich gehe davon aus, dass das abgespeckte Gesetz im Landtag eine Mehrheit finden wird.
Die Chancen, dass das Gesetz beschlossen wird, stünden gut, sagt die Grünen-Politikerin Wahl. "Ich gehe davon aus, dass das abgespeckte Gesetz im Landtag eine Mehrheit finden wird." Doch ob die CDU diesem Kompromiss am Ende zustimmen oder sich enthalten wird, könne er nicht sagen, so Thomas Gottweiss. "Das Thema wird bei uns in der Fraktion sehr differenziert betrachtet. Da müssen wir intern erstmal eine Mehrheit finden für den Weg, den wir gehen wollen."
FDP: "Wir lehnen das ab"
Die FDP jedenfalls wird dem Gesetz nicht zustimmen. "Wir lehnen das ab", sagte der FDP-Gruppenvorsitzende Thomas Kemmerich. Windkraft ergebe "an den überwiegenden geplanten Standorten in Thüringen" keinen Sinn. "Ich sehe diesen Versuch Windkraftbeteiligungs-Gesetz eher als das Erkaufen von Willfährigkeit."
Es dürfte eine nicht geringe Rolle spielen, dass am 1. September in Thüringen ein neuer Landtag gewählt wird. Das Thema Windkraft ist jetzt schon ein wichtiges Wahlkampfthema. Möglicherweise wollte sich der Gemeinde- und Städtebund deshalb trotz Anfrage nicht zum Thema "Windenergie-Beteiligungsgesetz" äußern, obwohl Kommunen eine zentrale Rolle im Gesetzesentwurf spielen.
CDU will Bürgerbeteiligung in der nächsten Legislaturperiode weiter diskutieren
Und möglicherweise behält sich die CDU deshalb vor, in der neuen Legislaturperiode über den Gedanken der Bürgerbeteiligung "weiter zu diskutieren", wie Thomas Gottweiss sagt, um "vielleicht am Ende eine Regelung finden, die funktioniert, bürokratiearm ist und wo für den Bürger etwas dabei herauskommt." Dann, wenn, so die Hoffnung der CDU, ihre Partei in Regierungsverantwortung ist.
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Mittag | 24. April 2024 | 13:15 Uhr
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