Gebietsreform Ein Jahr Fusion von Eisenach und Wartburgkreis: Politiker ziehen positive Bilanz

31. Dezember 2022, 16:03 Uhr

Es ist eine Vernunftsehe, die Eisenach und der Wartburgkreis eingegangen sind. Vor einem Jahr hatte der Landkreis Aufgaben der Stadt übernommen, der gemeinsame Kreistag besteht ein halbes Jahr länger. Unbestritten stärkt die Fusion die Region. Das meiste funktioniert im Alltag gut, einiges muss nachjustiert werden. Im Kreistag gibt es atmosphärisch noch Luft nach oben.

Landrat Reinhard Krebs (CDU) und Oberbürgermeisterin Katja Wolf (Linke) sind parteipolitisch weit voneinander entfernt. Doch haben sie nicht nur die Fusion gemeinsam hinbekommen, sie sind sich auch einig darin, dass die wichtigsten Ziele erreicht wurden: Die Region wurde gestärkt, die Stadt Eisenach entlastet. Letzteres ist leicht zu erkennen: der Eisenacher Verwaltungshaushalt sank von 2021 auf 2022 um rund 40 Millionen Euro auf knapp 90 Millionen Euro.

Sozialkosten hat der Landkreis übernommen

Das sind vor allem Sozialkosten, die der Landkreis nun schultert. So hat die Stadt finanziell mehr Luft. Reichtum sei nicht ausgebrochen, sagt Katja Wolf. "Aber es ist nicht mehr so, dass wir wie im Vorjahr zehn bis zwölf Millionen Euro Bedarfszuweisungen beim Land beantragen mussten. Und das, finde ich, ist schon ein Wert an sich."

Blick auf Eisenach
Blick auf Eisenach mit der Wartburg: Die einst kreisfreie Stadt gehört nun zum Wartburgkreis. Dadurch bleibt der Stadt inzwischen finanziell mehr Luft. Bildrechte: IMAGO / Westend61

Sind die Kosten nur von der Stadt zum Landkreis verschoben worden? Landrat Reinhard Krebs hofft, dass das Landratsamt die Aufgaben gerade im Sozialbereich mittelfristig effizienter erledigen kann.

Wartburgkreis zum Spar-Erfolg verpflichtet

Es gehe darum, insgesamt einzusparen, sagt er. Denn die jährliche Summe aus der Fusionsprämie des Landes sinkt von Jahr zu Jahr. "Durch eigene Maßnahmen müssen wir das wieder reinholen", sagt Krebs. "Da sind wir zum Erfolg verpflichtet." Stadt und Landkreis erhalten für die Fusion insgesamt 42 Millionen Euro vom Land, verteilt über mehrere Jahre.

Landrat des Wartburgkreises Reinhard Krebs
Der Wartburgkreis hat nach Ansicht von Landrat Reinhard Krebs (CDU) inzwischen einen anderen Stand beim Land. Doch der Kreis sei "zum Erfolg verpflichtet". Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Nicht mehr alleine entscheiden

Der Übergang der Verwaltung von der Stadt zum Landkreis hat laut Krebs "konstruktiv-geräuschlos" funktioniert. Viele Bezieher von Sozialleistungen werden ihn gar nicht bemerkt haben, wie Oberbürgermeisterin Katja Wolf sagt. Dennoch sei es für die Stadt auch schmerzhaft, Aufgaben aufzugeben wie die Ausländerbehörde oder die offene Jugendarbeit, die man zuvor "mit Herzblut und auch gut" betrieben habe - und wo die Stadt allein entscheiden konnte.

Auch gibt es Streitpunkte, über die Stadt und Landkreis noch verhandeln. So ist Eisenach weiter für seine Gymnasien zuständig, bekommt aber für fast ein Drittel der Schüler, die im übrigen Kreisgebiet wohnen, keine Gastschülerbeiträge mehr vom Wartburgkreis.

So etwas darf laut Gesetz nur über Kreisgrenzen hinweg gezahlt werden, erklärt Wolf. Oder die Stadtbibliothek: Da will Eisenach ähnlich behandelt werden wie die Kreisstadt Bad Salzungen, wo der Landkreis die Bibliothek fördert.

Schärfere Debatten im Kreistag

Eisenach muss seine Rolle im Landkreis noch finden - und die anderen Städte und Gemeinden ihr Verhältnis zur größten Stadt bestimmen. Das fällt besonders im Kreistag auf, wo seit dem Einzug der Eisenacher deutlich mehr und schärfer diskutiert wird.

Der Landrat nimmt das gelassen, in seiner langen Amtszeit habe er viele entbehrliche Diskussionen erlebt. "Aber ein Kreistag, der lebendig ist und sich miteinander austauscht, ist besser als einer, der schläft."

Auf fairen Ausgleich achten

"Die Sicht der Eisenacher ist schon etwas anders als die der anderen im Kreistag", meint der Bad Salzunger Bürgermeister Klaus Bohl, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler. Es habe ein "Gesprächsprozess für gegenseitiges Verständnis" begonnen.

Klaus Bohl (Freie Wähler), Bürgermeister von Bad Salzungen
Mehr an Gemeinsamkeiten zu denken, das fordert der Bad Salzunger Bürgermeister Klaus Bohl (Freie Wähler). Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Man dürfe nicht nur einseitig die jeweilige Interessenlage vertreten, sondern müsse mehr an das Gemeinsame denken, fordert er. "Da haben wir noch ein Stück Wegs vor uns." Eisenach sei ein Gewinn für den Wartburgkreis, aber es dürfe sich jetzt nicht alles auf die Stadt konzentrieren. "Wir müssen auf einen fairen Ausgleich achten, der Landkreis darf nicht leer ausgehen."

Verständnis für städtische Belange

"Es braucht noch etwas, bis zusammenwächst, was zusammengehört", sagt auch der Vorsitzende der SPD-FDP-Fraktion, der Eisenacher Michael Klostermann. Für spezifisch städtische Belange wie beispielsweise die Freiwilligenagenturen müssten Mehrheiten organisiert werden, weil die Eisenacher im Kreistag in der Minderheit sind.

Am Ende, so Klostermann, "muss das bessere Sachargument zählen". Auf der anderen Seite sei jetzt möglich, was die Stadt alleine über Jahre nicht habe stemmen können - wie ein zentraler Berufsschulstandort in Eisenach beispielsweise.

Eisenach den Status als Oberzentrum zugesagt

In einem sind sich alle einig: Durch die Fusion ist das Gewicht des Wartburgkreises im Land gewachsen. "Das Land hat Wort gehalten", freut sich Oberbürgermeisterin Katja Wolf über den zugesagten Status als Oberzentrum. Sie werde beharrlich darum kämpfen, dass das nicht eine Worthülse bleibe, sondern mit Leben gefüllt wird, dass beispielsweise Bundes- oder Landesbehörden angesiedelt werden.

Umweltministerium Anja Siegesmund (Grüne) hatte sich im Herbst dafür ausgesprochen, Eisenach zum Standort für ein Bundeskompetenzzentrum "Grünes Band" zu machen. Außerdem bewirbt sich die Stadt um das geplante Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation.

Mehr als eine Million Euro für Förderzentrum

Landrat Reinhard Krebs weist darauf hin, dass in Westthüringen die einzige Kreis-Gebietsreform geglückt sei. "Insofern haben wir bei der Landesregierung einen anderen Stand. Man kann bestimmte Sachfragen ganz anders einfordern." Einen Erfolg in dieser Richtung konnte Krebs im letzten Kreistag verkünden: Bildungsminister Helmut Holter (Linke) habe zugesagt, dass in Eisenach ein Studienseminar angesiedelt wird, in dem Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden.

Der Kreistag beschloss daraufhin, im kommenden Jahr mehr als eine Million Euro in den dafür vorgesehenen Standort zu investieren, das Eisenacher Förderzentrum "Pestalozzi". Auch das hätte die Stadt alleine nicht leisten können.

MDR (rub/co)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 31. Dezember 2022 | 12:00 Uhr

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