Wohncontainer in der Gemeinschaftsunterkunft Gerstungen
Fast jeder vierte Platz in den kommunalen Flüchtlingsunterkünften ist nicht belegt. Im Bild: Die Gemeinschaftsunterkunft in Gerstungen im Wartburgkreis. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

Integration Weniger Flüchtlinge in Thüringer Unterkünften: Warum Kommunen dennoch klagen

22. März 2025, 10:59 Uhr

Fast jeder vierte Platz in den kommunalen Flüchtlingsunterkünften in Thüringen ist nicht belegt. Die Kreise und Städte bekommen weiterhin Geld für die leeren Plätze und beklagen dennoch eine "starke Auslastung". Für die Flüchtlingsberatung ist dies ein Hoffnungsschimmer, dass sich die Wohnsituation für Geflüchtete entspannt

In Thüringen ist fast jeder vierte Wohnplatz in kommunalen Flüchtlingsunterkünften derzeit nicht belegt. Das geht aus Daten des Landesverwaltungsamtes hervor. Per Gesetz müssen die Landkreise und kreisfreien Städte Sammelunterkünfte oder Wohnungen vorhalten, um dort Geflüchtete unterzubringen. Auf die Kommunen werden diese Migranten nach einem festen Schlüssel verteilt.

In Thüringen sank von 2023 zu 2024 nicht nur die Zahl der Asylanträge um zwölf Prozent - auch die Zahl der Bewohner in den kommunalen Unterkünften ging um fast zwölf Prozent zurück. Gleichzeitig wurden aber nur relativ wenige Plätze gestrichen, sodass aktuell - Stand Januar 2025 - nur 78 Prozent der Plätze belegt ist.

Hinweis: Die Grafik macht deutlich, wie mit dem Krieg gegen die Ukraine die Zahl der Flüchtlinge in den Unterkünften stieg. Vorher hatte das Land die Kapazitäten noch leicht heruntergefahren. Der Spalt zwischen Belegung (rot) und Kapazität (grün) spiegelt die Auslastung wieder. Die Differenz ist zuletzt wieder größer geworden.

Fast zwei Millionen Euro für leere Plätze - trotzdem Kritik

Das Thüringer Landesverwaltungsamt schreibt den Kommunen vor, wie viele Plätze sie im jeweils kommenden Jahr vorhalten sollen. Dafür bekommen sie Geld. 60 Euro sind es pauschal pro Monat und Flüchtling. Stand Ende 2024 hat Thüringen damit mehr als 2.600 leerstehende Plätze finanziert - gemäß der Pauschale machen das etwa 1,9 Millionen Euro.

Obwohl die Kommunen diese Summe einstreichen, kommt von ihnen Kritik: Der Thüringer Gemeinde- und Städtebund bemängelt, dass die pauschale Erstattung häufig nicht ausreicht, um die steigenden Unterbringungskosten zu decken. "Gleiches gilt für die Sozialbetreuungspauschale und die Bewachungskosten." Ohnehin würden die "knapp bemessenen" Erstattungen "häufig nur auf Drängen vollständig ausgezahlt werden".

Außerdem moniert der Gemeindebund, dass die Kommunen keine Planungssicherheit haben. Zwar müsse das Land spätestens im November mitteilen, wie viele Plätze die Kreise und kreisfreien Städte im kommenden Jahr vorhalten müssen. Aber das geschähe meistens erst viel später. Bis jetzt gebe es etwa keine Vorgaben für das laufende Jahr 2025.

"Keine Entspannung" in Sicht

Trotz der sinkenden Auslastung bezeichnet der Gemeindebund die Unterkünfte als "stark ausgelastet". "Es ist keine Entspannung der Lage zu verzeichnen." Als Gründe werden zum Beispiel angegeben, dass viele der zugewiesenen Frauen schwanger sind, "sodass kurze Zeit später weitere Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden müssen". Zudem müssten bei familiären Konflikten kurzfristig auch getrennte Unterbringungen bereitgestellt werden.

"Außerdem nimmt die Zahl der Personen, die psychische Problemlagen zeigen und nur allein untergebracht werden können, stetig zu. Dies belastet ebenfalls die bestehenden Kapazitäten, da Plätze, die bereitgehalten werden, hierdurch nicht belegt werden können."

Der Kreis Gotha gibt ein weiteres Beispiel, warum die Differenz aus Kapazität und Belegung nicht immer die freie Platzzahl darstellt. "Auch Renovierungs- und Instandsetzungsarbeiten führen zur vorübergehenden Sperrung von einzelnen Zimmern."

Ein Drittel sind "Fehlbeleger"

Auffällig ist, dass in den Unterkünften auch viele sogenannte Fehlbeleger wohnen. Dieser negativ klingende Begriff meint Menschen, die beispielsweise keinen eigenen Wohnraum finden. Aber auch ukrainische Flüchtlinge fallen darunter, da sie per Gesetz anders gestellt sind - sie beziehen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch und nicht nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Laut Landesverwaltungsamt machen die "Fehlbeleger" im Schnitt 35 Prozent der Bewohner aus.

Der Gemeinde- und Städtebund nennt als Hauptgrund die "enorme Wohnraumknappheit" dafür, warum Bewohner nicht ausziehen. So erklärt das Landratsamt des Kreises Gotha die Zahl der Fehlbeleger mit einer "großen Anzahl von Personen, für die aufgrund ihres Aufenthaltsstatus' keine Unterbringungsverpflichtung mehr besteht". Gleichzeitig gebe es einen ausgelasteten Wohnungsmarkt - und ein paar wenige Bewohner, die sich "eingerichtet" hätten und rein theoretisch ausziehen müssten. Sie werden laut Landratsamt aber in der Regel nicht gezwungen.

Aus dem Kreis Greiz heißt es hingegen, dass ein Hauptgrund der sogenannte Rechtskreiswechsel von Flüchtlingen ist. Also dann, wenn Asylbewerber eine Anerkennung haben und fortan Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch und nicht mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen können. Im Kreis Greiz machen "Fehlbeleger" lediglich zehn Prozent alle Bewohner aus.

Beraterin: "Mindeststandards nicht eingehalten"

Die geringere Auslastung der Gemeinschaftsunterkünfte weckt gleichzeitig auch Hoffnungen. Christiane Welker arbeitet in der Flüchtlingsberatung, für das Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement (IBS).

Sie hofft, dass sich durch die geringere Belegung die Lebenssituation in den Unterkünften verbessert. Sie verweist auf die Mindeststandards, die in der "Thüringer Gemeinschaftsunterkunfts- und Sozialbetreuungsverordnung" vorgeschrieben sind - und oft nicht eingehalten würden. Zu den Vorgaben zählt, dass pro Bewohner sechs Quadratmeter zur Verfügung stehen müssen und es Spielmöglichkeiten für Kinder geben muss.

Kinder spielen vor dem Hauptgebäude der Gemeinschaftsunterkunft Gerstungen. Im Hintergrund ist ein gesperrter Spielplatz.
Laut Thüringer Gesetz muss es in den Unterkünften Mindeststandards geben - auch und gerade für Kinder. Hier eine Szene aus Gerstungen. Bildrechte: MDR/Ruth Breer

"Leider wird uns immer wieder berichtet, dass Mindeststandards nicht eingehalten werden - sowohl von Mitarbeiter:innen in Unterkünften, als auch von Geflüchteten selbst", sagt Welker. "Es gibt zum Beispiel Unterkünfte, wo die Zimmer nicht abgeschlossen werden können oder Kinder kein Kinderspielzimmer haben, obgleich dies vorgeschrieben ist."

"Große psychische Belastungen"

Das Landesverwaltungsamt teilte auf Anfrage mit, dass 2025 bereits elf Gemeinschaftsunterkünfte kontrolliert worden sind. 2024 seien es lediglich sechs gewesen. Immer wieder seien Verstöße festgestellt worden. "Meistens beruhen die Verstöße auf Abnutzungserscheinungen oder dem normalen Verschleiß von Inventar, zum Beispiel defekte Waschmaschinen, fehlende Küchengeräte oder verunreinigte Flure." Nachkontrollen seien im vergangenen Jahr aber "nicht erforderlich" gewesen.

Gerade jetzt, da die Auslastung in den Unterkünften gesunken ist, ist nach Ansicht von Christiane Welker vom IBS eine stärkere Kontrolle durch das Landesverwaltungsamt wichtig: "Die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ist selbst unter Einhaltung der Mindeststandards mit großen psychischen Belastungen verbunden."

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 21. März 2025 | 18:00 Uhr

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