Thüringer Delegation mit Vertretern aus Vietnam
Thüringer Delegation zu Besuch in Vietnam: Beide Seiten vereinbarten eine stärkere Zusammenarbeit. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Delegation Auf Handelsreise in Vietnam: Werbung für den Standort Thüringen

12. November 2023, 08:38 Uhr

Eine Woche lang knüpfte eine Thüringer Delegation in Vietnam Kontakte oder frischte alte auf. Etliche Vereinbarungen wurden mit den Gastgebern unterzeichnet. Ganz vorne: Ministerpräsident Bodo Ramelow, der als unermüdlicher Handelsreisender das Produkt bewarb, das er verkaufen wollte: Thüringen.

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Deutsche Ministerpräsidenten haben viele Aufgaben. Sie sind nicht nur Regierungschef und Entscheidungsträger, sondern auch Repräsentanten und Botschafter ihres Landes. Nirgends werden die beiden letzten Aspekte dieser Aufgabenbeschreibung deutlicher als auf Auslandsreisen. Und so mag Bodo Ramelow (Linke) in Thüringen bisweilen als Regierungschef und Entscheidungsträger kritisiert und von einigen Parteien sogar zum Feindbild verklärt werden, - auf seiner Reise durch Vietnam stellte er einmal mehr seine Qualitäten als Repräsentant und Botschafter des Freistaates unter Beweis.

Der unermüdliche Handelsreisende

In fünf Tagen absolvierte Ramelow trotz Jetlag und Reisestrapazen rund 20 Termine in dem südöstlichen asiatischen Staat und hielt ebenso viele Reden, in denen er wie ein unermüdlicher Handelsreisender - Ramelow ist ja gelernter Kaufmann - das Produkt bewarb, das er verkaufen wollte: Thüringen.

Wie viele der Vietnamesen und Vietnamesinnen, zu denen er sprechen konnte, er tatsächlich von der Schönheit, Innovationskraft und Bedeutung Thüringens überzeugen konnte, ist ungewiss. Doch sie alle wissen nun, dass in Bad Blankenburg das weltberühmte pädagogische Konzept des Kindergartens entwickelt wurde, dass in den Eisenacher Motorenwerken der erste BMW vom Band rollte, dass Jenaer Optik den Blick der Menschheit ins Weltall verändert hat und dass 92 Unternehmen aus Thüringen Weltmarktführer in ihrer Branche sind.

Bodo Ramelow mit Delegation und Vertretern der GCA
Bodo Ramelow auf Mission: Die GCA betreibt als Tochter von Hanoi IEC die Sprachschulen in Vietnam. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Und wenn er nicht von Thüringen schwärmte, dann lobte er auf seiner Reise ohne Unterlass die Tatkraft, Gastfreundschaft und Bildungstradition der Vietnamesen. Er würdigte die Widerstandskraft des vietnamesischen Volkes während des Krieges, indem er am Heldendenkmal in Hanoi einen Kranz niederlegte und das Zentrum für Agent-Orange-Opfer in der Gemeinde Hoa Nhon besuchte, welches sich um die Opfer, der bis heute auftretenden Folgeschäden des Einsatzes chemischer Kampfstoffe durch das US-Militär kümmert.

Er traf Regierungsvertreter wie den vietnamesischen Außenminister Bùi Thanh Sơn und warb bei der kommunistischen Partei um Vertrauen, ohne das es unmöglich wäre, internationale Handelsbeziehungen zu dem Einparteienstaat aufzubauen. Dieser unermüdliche Einsatz scheint sich für Thüringen auszuzahlen. 

Jedes Jahr 1.000 Azubis aus Vietnam

In den nächsten Jahren wollen Thüringer Firmen mehr junge Vietnamesen für eine Ausbildung im Freistaat anwerben. Dafür soll ein neuer Kooperationsvertrag zwischen der IHK Südthüringen und Hanoi IEC, dem vietnamesischen Partnerunternehmen, sorgen. Das IEC mit seinen Sprachschulen soll in den nächsten Jahren noch mehr junge Vietnamesen die deutsche Sprache und auch Kultur vermitteln.

Ralf Peiterwaß Geschäftsführer IHK Süd, Thi Thanh Tam Nguyen, Geschäftsführer von Hanoi IEC, und Torsten Herrmann, Präsident IHK Süd
Junge Vietnamesen für eine Ausbildung in Thüringen gewinnen: Ralf Pieterwas, Geschäftsführer IHK Süd, Thi Thanh Tam Nguyen, Geschäftsführer von Hanoi IEC, und Torsten Herrmann, Präsident IHK Süd, unterzeichnen eine Vereinbarung. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Die Sprachkompetenz sei noch immer die größte Hürde beim Erhalt eines Arbeitsvisums, sagt Torsten Herrmann, der Präsident der IHK Südthüringen. Er zeigte sich hoch erfreut über die Vertragsabschlüsse: "Das ist ein sehr positives Ergebnis. Was die IHK Südthüringen 2016 begonnen hat, nämlich vietnamesische junge Menschen zur Ausbildung nach Deutschland zu holen, das wird sich fortsetzen." Durch eine Anpassung im Vertrag werde die Sprachausbildung jetzt nur noch bis zum B1-Niveau in Vietnam stattfinden. Das B2-Niveau sollen die angehenden Azubis in einem Sprachkurs in Deutschland erreichen. Dadurch bekämen die jungen Menschen ein halbes Jahr vor ihrer Ausbildung Zeit, sich in Deutschland einzuleben.

Ramelow zeigte sich zuversichtlich, dass dadurch künftig noch mehr Vietnamesen nach Thüringen kommen und gab als Ziel aus, ab 2025 jährlich 1.000 Azubis in Vietnam anzuwerben. Aktuell sind es etwa 750. Aufgrund der historischen Verbindungen zur DDR gebe es in Vietnam noch immer eine große Verbundenheit zum deutschen Volk, so Ramelow. Das erleichtere die Integration zusätzlich.

Thüringer Delegation mit vietnamesischen Vertretern und Pressevertretern beim Gruppenfoto am Food Collage
Das Gruppenfoto gehört dazu: Die Delegation vor einem Gebäude des Food College. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Neue Fachkräfte für die Lebensmittelindustrie

Zugleich unterzeichnete die IHK Südthüringen einen Vertrag mit dem College of Food Industry in Da Nang, mit dem die vietnamesischen Ausbildungsgänge eine vergleichbare Qualität erreichten, wie ihre deutschen Pendants. Dadurch müssen gelernte vietnamesischen Facharbeiter ihre Berufsabschlüsse nicht mehr einzeln anerkennen lassen, was die Vergabe von Arbeitsvisa ebenfalls erleichtern wird.

Vietnamesische Fachkräfte, die im Frühjahr 2024 nach Thüringen kommen sollen
16 vietnamesischen Fachkräfte sollen im Frühjahr nach Thüringen kommen. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Am College of Food Industry lernen derzeit 800 junge Menschen verschiedene Lebensmittelhandwerke. Künftig sollen sie hier auch die deutsche Sprache erlernen können. Die ersten 16 vietnamesischen Absolventen des Colleges sollen im Frühjahr 2024 bei Thüringer Landstolz in Schmalkalden anfangen und hier künftig Fleisch- und Wurstwaren herstellen. Für Geschäftsführer Kevin Holland-Moritz ein wichtiger Schritt: "Es gibt Stellen, für die erhalten wir schlicht keine Bewerbungen mehr. Deshalb sind vietnamesische Fachkräfte ein wichtiger Baustein, um unsere Produktion in Schmalkalden für die Zukunft zu sichern."

Darüber hinaus lobt Holland-Moritz die Bemühungen der Landesregierung, den Vietnamesen beim Spracherwerb zu helfen: "In unserer Branche haben wir auch Fachkräfte aus dem europäischen Ausland, die kein bisschen Deutsch sprechen und von denen das nicht verlangt wird. Das führt immer mal zu Konflikten. Insofern freue ich mich sehr über jeden Menschen aus Vietnam, der zu uns kommt und schon Grundkenntnisse in Deutsch hat."

Kevin Holland-Moritz vor deutscher und vietnamesischer Flagge
Geschäftsführer Kevin Holland-Moritz ist froh über die Fachkräfte aus dem Ausland. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Kooperationen werden auch in der Pflege angestrebt

Was die Lebensmittelindustrie nun vormacht, soll bald auch für den Pflegesektor gelten. Deshalb reiste auch Gesundheits- und Arbeitsministerin Heike Werner (Linke) mit nach Vietnam und führte eine eigene Gesundheitsdelegation an, die sich einen Eindruck von der vietnamesischen Pflegeausbildung verschaffen wollte. Werner bilanzierte: "Die Pflegeausbildung in Vietnam ist grundsätzlich schon von hoher Qualität, besonders im medizinischen Bereich."

Davon überzeugten sich Werner, Ramelow und zahlreiche Vertreter der Thüringer Gesundheitsbranche bei einem Besuch der Da Nang University of Medical Technology. Auch hier sollen nun Abstimmungen in den Lehrplänen angestoßen werden, damit die vietnamesische Krankenpflegeausbildung in Thüringen anerkannt werden kann.

Krankenschwestern an der Medical University Da Nang
Die Thüringer Delegation verschaffte sich auch ein Bild von der Krankenpflegeausbildung. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

"Aber wir wollen gegenseitig voneinander lernen und profitieren", sagt Ministerin Werner und erklärt, dass die vietnamesische Seite vor allem am deutschen Know-how in der Altenpflege interessiert sei. In Vietnam wird die Bevölkerung aufgrund einer veränderten Geburtenrate und der Verbesserung der allgemeinen Lebenssituation inzwischen immer älter. Bisher wurden alte Menschen hier stets daheim in der Familie versorgt.

Ein positives Feedback ziehen auch Vertreter der Gesundheitsdelegation. Robert Hitzigrath, Personalleiter im Eichsfeld-Klinikum sagte, dass es gar nicht darum gegangen sei, sofort Verträge abzuschließen. "Es geht uns darum, eine Strategie für die Zukunft zu entwickeln, denn in unserem Klinikum aber auch im Gesundheitswesen an sich, schlägt die Altersdemografie zu."

Robert Hitzigrath neben einem Mann in einer Pflegeeinrichtung
Robert Hitzigrath, Personalleiter im Eichsfeld-Klinikum, besuchte hier eine Pflegeeinrichtung. Bildrechte: Robert Hitzigrath

Vietnamesische Arbeitnehmer kann sich Hitzigrath als Teil dieser Zukunftsstrategie nach dieser Reise jedenfalls sehr gut vorstellen: "Wir haben mit Frau Werner mehrere Pflegeeinrichtungen besucht und ich muss sagen, dass ich sehr fleißige Pflegekräfte erlebt habe, die einen fürsorglichen und freundlichen Umgang mit den Patienten pflegten. Das hat mich sehr beeindruckt und ich bin überzeugt, dass uns diese vietnamesische Kultur, im allgemeinen Umgang miteinander, sogar gut tun kann."

Es führe aufgrund der Vielzahl an Pflegekräften, die jetzt in ihren wohlverdienten Ruhestand gingen und vielleicht selbst irgendwann einmal Pflege brauchen, kein Weg mehr daran vorbei, sich Hilfe aus dem Ausland zu holen. "Mit den Menschen allein, die wir haben, schaffen wir das allein nicht mehr", sagt Hitzigrath.

Thüringer Delegation mit Bodo Ramelow und Heike Werner mit vietnamesischem Gesundheitspersonal in einem Seminarraum der Medical University Da Nang
Die Delegation mit Bodo Ramelow und Heike Werner beim Besuch der Medical University Da Nang. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Nach der Reise ist vor dem Wahlkampf

Eine wesentliche Frage bei der Integration der vietnamesischen Arbeitskräfte und auch der Geflüchteten wird sein, wie weltoffen Thüringen tatsächlich ist. "Wir werden diese Menschen brauchen und sie müssen auf eine Gesellschaft treffen, die sie einlädt", sagt Ramelow, als er zum Abschluss der Reise auf eine aktuelle Umfrage angesprochen wird, in der die AfD im Freistaat bei 34 Prozent liegt.

Thüringen sei ein starkes Land, das habe ihm die Reise einmal mehr vor Augen geführt: "In Vietnam sind wir dafür gelobt worden, was man in Thüringen alles erreicht hat, während wir immer denken, dass Andere alles besser können." Manchmal hilft es eben, ein bisschen Abstand zu gewinnen und auf Reise zu gehen.

MDR (ask/sar)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 10. November 2023 | 18:00 Uhr

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