Debatte um "Landgrabbing" in Thüringen Hoff sieht Vorkaufsrecht bei Agrarfirmen problematisch

30. August 2020, 05:00 Uhr

Der Einstieg von Lebensmittel-Konzernen und anderen branchenfremden Investoren bei Agrarbetrieben ist nicht nur vielen Landwirten ein Dorn im Auge. Auch aus der Politik ist regelmäßig die Klage über das "Landgrabbing" zu hören, das die Preise und die Pachten für Ackerland in die Höhe treibe. Die politischen Möglichkeiten, hier einen Riegel vorzuschieben, sind allerdings begrenzt - wie die Debatte über ein Agrarstrukturgesetz für Thüringen zeigt.

Porträt Autor Dirk Reinhardt
Bildrechte: MDR/Dirk Reinhardt

Die Aufregung war kurz und heftig: Als MDR THÜRINGEN Anfang August über den Verkauf eines der größten Thüringer Agrarunternehmens, der ADIB GmbH des früheren Thüringer Bauernpräsidenten Klaus Kliem, an eine Stiftung aus dem Umfeld des Lebensmittelkonzerns Aldi berichtete, äußerte sich Agrarminister Benjamin-Immanuel Hoff deutlich: Solche Verkäufe seien verantwortlich für den "unverhältnismäßigen Anstieg der Bodenpreise", sagte der Linke-Politiker. Verkäufer Kliem habe mit dem Verkauf, bei dem nach MDR-Informationen ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag floss, seine privaten Gewinninteressen über die Bedürfnisse des Thüringer Bauernstandes gestellt, wetterte Hoff.

Kritik am Ministerium: Wann kommt das Agrarstrukturgesetz?

Auch aus dem Landtag hagelte es Kritik. "Ackerland gehört in Bauernhand und nicht in die Hände von Investoren und Spekulanten", hieß es aus der Linke-Fraktion. Der agrarpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Marcus Malsch, nannte den Verkauf "ärgerlich" und "unnötig". Ähnliche Wortmeldungen kamen von SPD, Grünen und AfD. Und alle diese Fraktionen waren sich einig in der Kritik an der Thüringer Landesregierung: Diese habe das im vergangenen Jahr von Hoffs Vorgängerin Birgit Keller angekündigte Agrarstrukturgesetz, mit dem das sogenannte Landgrabbing verhindert oder wenigstens erschwert werden soll, noch immer nicht vorgelegt. Keller hatte im September 2019 versprochen, das Gesetz solle unter anderem den Erwerb von Anteilen an Gesellschaften mit wesentlichem Grundvermögen regeln.

Seit Jahren investieren Unternehmen wie Aldi, die Südzucker AG und andere große Konzerne in landwirtschaftliche Unternehmen auch in Thüringen. Ihnen allen ist gemein: Mit Landwirtschaft haben sie wenig zu tun, sie sind jedoch im Vergleich zu vielen Landwirten finanziell deutlich potenter - und können die Bauern deshalb bei Pachten und Kaufpreisen für Ackerland überbieten. Von 2009 bis 2018 stieg der Anteil branchenfremder Investoren in Thüringen von 11 auf 24 Prozent. Der durchschnittliche Kaufpreis für einen Hektar Ackerland stieg im selben Zeitraum vom 5.171 auf 11.208 Euro. Die Pachtpreise stiegen von durchschnittlich 161 auf 237 Euro je Hektar.

Vorkaufsrecht auf Böden, aber nicht auf Agrarbetriebe

Vor allem kleinere Agrarunternehmen können bei solchen Preissteigerungen oft nur schwer mithalten. Damit Landverkäufe trotzdem in erster Linie an Bauern erfolgen, gibt es schon seit Langem eine Art Vorkaufsrecht der Branche, verankert im Grundstücksverkehrsgesetz. Das besagt, dass geplante Landverkäufe ab einer Größe von 0,25 Hektar beim örtlich zuständigen Landwirtschaftsamt gemeldet und von diesem genehmigt werden müssen. Ist der potenzielle Käufer kein Landwirt, so muss zunächst nach einem bäuerlichen Käufer für das Land gesucht werden. Findet sich keiner, kann die Thüringer Landgesellschaft das Land erwerben und später an Landwirte weiter veräußern.

Doch dieses Vorkaufsrecht bezieht sich nur auf landwirtschaftliche Flächen, nicht aber auf die Unternehmen, die solche Flächen bewirtschaften. Und hier ist das "Einfallstor" für branchenfremde Investoren: Sie erwerben Anteile an Agrarbetrieben oder übernehmen sie komplett. Um diese Lücke zu schließen, plädieren mehrere Parteien für ein Vorkaufsrecht für Landwirte oder die Thüringer Landgesellschaft auch bei zum Verkauf stehenden Betrieben.

Landgesellschaft soll auch Betriebe kaufen dürfen

"Das Vorkaufsrecht für Anteils- oder ganze Firmenverkäufe sollte genauso gestaltet werden, wie das 'normale' landwirtschaftliche Vorkaufsrecht", so die agrarpolitische Sprecherin der Linke-Landtagsfraktion, Marit Wagler, auf Anfrage von MDR THÜRINGEN. Demnach müsse auch ein Verkauf von Firmenanteilen genehmigungspflichtig werden. "Das zuständige Landwirtschaftsamt wird informiert und fragt regional ansässige Unternehmen, ob sie in den Vertrag eintreten wollen. Findet sich ein landwirtschaftlicher Interessent, nimmt die Landgesellschaft das Vorkaufsrecht wahr und verkauft den Betrieb anschließend gegen eine "Besiedlungsgebühr" an den Interessenten weiter." Ab einer von einem "Leitbild" zu bestimmenden Betriebsgröße könnte die Landgesellschaft auch ohne Interessenten direkt in den Vertrag einsteigen und das Unternehmen in überlebensfähige Einheiten teilen, die dann veräußert oder in Genossenschaften umgewandelt würden.

Angesichts von Millionenbeträgen, die - wie im Fall der ADIB GmbH - stellt sich jedoch die Frage, wie das finanziert werden soll. Nach Waglers Ansicht sollte hier das Land als Eigentümer der Thüringer Landgesellschaft "die notwendige Liquidität sichern".

Ähnliche Aussagen kamen auf MDR-Anfragen auch von Grünen, SPD und AfD. So spricht sich Grünen-Landessprecher Bernhard Stengele für eine Anzeige- und Genehmigungspflicht beim Verkauf eines Agrarbetriebes aus. Der landwirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Lutz Liebscher, erklärte, das landwirtschaftliche Vorkaufsrecht müsse auch auf Unternehmenskäufe ausgedehnt werden. "Wir wollen nicht, dass finanzstarke Geschäftsleute landwirtschaftliche Flächen oder Betriebe bzw. Anteile daran erwerben." Vom landwirtschaftspolitischen Sprecher der AfD-Fraktion, Jörg Henke, hieß es, ein Vorkaufsrecht von Landwirten auf zum Verkauf stehende Agrarunternehmen sei "zu befürworten". Jedoch müsse dieses so gestaltet sein, "dass es nicht zu einer Verstaatlichung von Agrarflächen durch die Hintertür führt".

Verfassungsrechtliche Probleme

Sowohl Agrarminister Hoff als auch die CDU-Landtagsfraktion verweisen indes auf verfassungsrechtliche Probleme. "Anteilskäufe unterscheiden sich inhaltlich und rechtssystematisch deutlich von Rechtsgeschäften zum Erwerb einzelner Grundstücke", sagte Hoff dem MDR. Regelungen für ein Vorkaufsrecht könnten hier nach Auffassung des Ministeriums "nicht rechtssicher gestaltet werden". CDU-Experte Malsch verweist auf das vom Grundgesetz geschützte Recht auf Eigentum, in das nicht ohne weiteres eingegriffen werden dürfe. Jeder Unternehmer müsse die Gewähr haben, über seine Firma und deren Verkauf frei entscheiden zu können. Sollten hier in Thüringen andere Regelungen angestrebt werden, gehe das nicht ohne den Bund.

Lerneffekt beim Lebensmittel-Discounter?

Auch im Thüringer Bauernverband pocht man auf das Recht am Eigentum. "Unsere Betriebe sagen, wir wollen die gleichen Rechte wie Unternehmen anderer Branchen, also auch das Recht, zu verkaufen, an wen wir wollen", sagt Hauptgeschäftsführerin Katrin Hucke. Andererseits sehe man auch die moralische Verpflichtung genau zu schauen, an wen verkauft werde. Hucke verweist auf Beispiele in Thüringen, in denen Agrarbetriebe von branchenfremden Investoren übernommen wurden. "Die machen weiterhin Landwirtschaft", betont sie. In Bezug auf den Verkauf der ADIB an die Aldi-nahe Stiftung gebe es auch Stimmen im Verband, die auf einen Lerneffekt beim Lebensmittel-Discounter hoffen - nach dem Motto: Lasst die mal machen, dann lernen sie vielleicht, wie Landwirtschaft funktioniert. Dass Aldi als neuer ADIB-Eigentümer nun auch Mitglied im Bauernverband werden könnte, sei allerdings im Verband auch umstritten, räumt Hucke ein.

Gesetz lässt auf sich warten

Wann nun das von der Landesregierung angekündigte und von den Parteien im Landtag geforderte Thüringer Agrarstrukturgesetz kommt, ist noch offen. Man sei "im intensiven Austausch mit der fachlichen Praxis" sowie dem Bund, sagt Agrarminister Hoff. Schließlich wolle man rechtskonforme und praktisch umsetzbare Maßnahmen formulieren. Letztlich gehe es darum, "das politisch Wünschenswerte mit dem tatsächlich Machbaren zu einem Konsens zusammenzufassen, der in den landwirtschaftlichen Betrieben Zukunftsfähigkeit gewährleistet und nicht Unruhe und Unfrieden schafft".

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 30. August 2020 | 18:00 Uhr

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