Verkehr Immer fetter: Was können Thüringer Kommunen angesichts immer größerer Autos tun?
Hauptinhalt
27. Oktober 2024, 19:34 Uhr
Es ist eng geworden: Radfahrer, Fußgänger und Autofahrer teilen sich den oft umkämpften öffentlichen Raum. Gleichzeitig werden SUV und andere Autos immer größer. Was können die Kommunen in Thüringen gegen das Platzproblem tun?
Ein Zentimeter in zwei Jahren: So viel in etwa wächst die afrikanische Schildkrötenpflanze. Was in der Pflanzenwelt rekordverdächtig lahm klingt, scheint in der Welt der Blechkarossen bemerkenswert schnell: Im Schnitt wurden in den vergangenen Jahren Neuwagen in Deutschland einen satten Zentimeter breiter. Und wer nach Feierabend im eigenen Viertel keinen Parkplatz mehr findet oder auf dem Fahrrad mit einem SUV konkurriert, der weiß, was das genau bedeutet: es ist voll.
Größer werden dabei nicht nur die "Sport Utility Vehicles" (SUV), wie zuletzt eine Studie der Organisation "Transport & Environment" zeigte: Auch "normale" Pkw wachsen seit Jahren. Der Golf von Volkswagen beispielsweise war 1974 in seiner ersten Version 3,7 Meter lang und 1,6 Meter breit. Ein neuer Golf 8 misst dagegen etwa 4,3 Meter in der Länge und knapp 1,8 Meter in der Breite. Im Schnitt waren Neuwagen in Deutschland 2020 gute 1,81 Meter breit - knapp 20 Jahre früher waren es 1,72 Meter.
Städte unter Zugzwang
Zuletzt hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) den SUV den Kampf angesagt. Die Organisation kritisiert, dass SUV unter anderem wegen ihrer Breite öfter mehr als nur einen Parkplatz belegten. Außerdem sei das durch größeren Reifenabrieb entstehende Mikroplastik umweltschädlich und durch das erhöhte Fahrzeuggewicht steige bei einer Kollision auch die Gefahr für Radfahrer oder Fußgänger.
Auch der Thüringer Landesverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) beschreibt vermehrt heikle Situationen: "Ein Auto mit geringem Abstand am Lenker vorbeirauschen zu spüren, trägt nicht gerade zum Sicherheitsgefühl bei" - vor allem bei Kindern oder unsicheren Fahrern. "Dieses Problem vergrößert sich natürlich, je breiter einerseits die parkenden und andererseits die fahrenden Autos sind."
In den größeren Thüringer Städten weiß man um die Probleme: "Durch größer werdende Fahrzeuge entsteht ein Nutzungskonflikt des bereits sehr knappen öffentlichen Raumes zwischen allen Verkehrsteilnehmern." So identifiziert die Stadt Weimar auf Anfrage die Herausforderungen bei der Verkehrsplanung.
Der innerstädtische Straßenraum ist begrenzt.
Ähnliches äußern die zuständigen Fachleute in Erfurt: "Der innerstädtische Straßenraum ist begrenzt und kann mit dem weiteren Aufwuchs des Fahrzeugbestandes sowie der Vergrößerung der Fahrzeugmaße nicht Schritt halten." Was nichts anderes heißt als: es ist zu eng.
Parkplätze sollen breiter werden
Die Fachplanerinnen und -planer müssen sich anpassen. Ein konkretes Beispiel: Vergangenes Jahr gab die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FSGV) neue Empfehlungen für Maße beim Neubau von "ruhendem Verkehr" (Parkplätze) heraus. Zum ersten Mal seit 2008. Das Gremium schlägt darin eine Parkplatzbreite von 2,65 Meter statt wie bisher 2,50 Meter vor.
Kommunen aus ganz Deutschland nehmen diese "Empfehlungen" als Planungsvorgabe. Die Stadt Erfurt schreibt, dass diese breiteren Parkplätze bei "Straßenumbaumaßnahmen eine Herausforderung" darstellen. "Somit steigt letztendlich der Flächenbedarf."
Die Stadt Jena erklärt, dass die größeren Autos praktisch immer bei der Verkehrsplanung eine Rolle spielen - insbesondere dann, wenn Straßenstücke grundlegend erneuert oder gebaut werden. Das gehe dann auch zu Lasten anderer Verkehrsteilnehmer: "In den meist begrenzten Straßengrundstücken gehen breitere Fahrgassen und Parkbuchten zu Lasten der Seitenbereiche, also des Fußgängers oder Radfahrers." Und eine weitere Folge: In Parkhäusern würden weniger Plätze gebaut - schlicht weil der Platz von weniger Autos aufgebraucht werde.
Umwelthilfe mit Kampagne gegen SUV
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte im Sommer diesen Jahres 150 Städte aufgefordert, das Parken für "Stadtgeländewagen" und "Lifestyle-Pick-Ups" einzuschränken - darunter Erfurt, Jena, Weimar und Eisenach. Als Vorbild nennt die Organisation Paris, wo seit September Besucher der Stadt mit besonders schweren Autos 18 statt sechs Euro pro Stunde Parken bezahlen müssen.
Die DUH fordert für die deutschen Städte eine Preisstaffelung fürs Parken nach Fahrzeuggröße. In Innenstädten soll zudem das Parken für Autos ab fünf Metern auf öffentlichen Parkplätzen ganz verboten werden. Und die Anwohner-Parkgebühren sollen auf jährlich mindestens 360 Euro steigen. Aachen und Koblenz haben vor kurzem beispielsweise erst beschlossen, die Preise fürs Anwohnerparken nach Größe zu staffeln.
Städte reagieren unterschiedlich auf DUH-Forderungen
Aber was sagen die Thüringer Kommunen zu den Forderungen? Und was können sie sinnvollerweise überhaupt tun?
Die Stadt Jena habe auf die Forderungen "nicht grundsätzlich ablehnend reagiert", sagt die Umwelthilfe selbst. Demnach habe Jena die Parkgebühren fürs Anwohnerparken "wenn auch nur auf 120 Euro" erhöht. Eigenen Angaben zufolge überlegt Jena außerdem, die Gebühren für öffentliches Parken an die ÖPNV-Ticketpreise anzupassen. Details werden jedoch noch nicht genannt.
Positiv bewertet die Umwelthilfe außerdem, dass Erfurt "die Ausgabe von Anwohner-Parkausweisen auf Fahrzeuge bis 5,2 Meter beschränkt hat - ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung".
Erfurt zweifelt an "Akzeptanz"
Bei anderen Maßnahmen sind die Städte zaghafter: Weder Jena, noch Weimar oder Erfurt planen derzeit nach Länge gestaffelte Parkgebühren. Jena argumentiert mit einem erhöhten Verwaltungsaufwand, Erfurt zweifelt die "Akzeptanz" der Maßnahme an. "Das ist bedauerlich", so die Umwelthilfe, "da es den Einsatz großer Autos reduzieren und eine gerechte Kostenverteilung schaffen" könne.
Und sowohl Weimar als auch Erfurt geben an, dass es nicht "praxistauglich" sei, übergroßen Autos das Parken in der Innenstadt zu verbieten, da es an den entsprechenden Parkplatz-Markierungen ohnehin oft mangele und das Verbot nicht kontrollierbar sei.
Die Stadt Eisenach antwortet übrigens auf Anfrage, das Thema größerer Autos stelle "aktuell kein größeres Problem dar und es besteht momentan kein Handlungsbedarf".
Das sagen unsere User dazu
Verteidiger der Pläne wie oskar_koelbel ("dass es auch viele Menschen gibt, die eben gerade durch die Autofreiheit die Altstadt schöner finden" oder Eddi58 "der Verkehrsraum ist gerade in Städten endlich. Auf Vernunft zu setzen ist bestenfalls naiv") äußerten sich seltener als Kritiker. Es gehe Beteuerungen zum Trotz schon um Verteufelung des Autos, sagte JanoschausLE: "Um nicht in die marode Infrastruktur investieren zu müssen verdrängt man die Autos,intakte Fahrstreifen werden zu Radwegen "aufgemalt", das marode Gleisbett teilen sich dann Autos und Bahn". Ähnlich Patrick Hoßfeld: "Man kann nicht Radwege auf die Straße verlegen, die Fläche der Straßen nicht ändern und im Nachgang die Frage aufwerfen ob Autos zu breit sind. Das sind hausgemachte Probleme." part teilte diese Kritik zwar, zog aber eine andere Schlussfolgerung: "Für die Bereitstellung der Infrastruktur fehlt das Geld, obwohl es eigentlich zur Verfügung stehen würde. Wer jedoch übergroße Stadtpanzer fährt, sollte entsprechend fiskalisch mit beteiligt werden an seinem persönlichen Anspruch, schließlich haben wir hier nicht so viel Platz wie in den USA." Ähnlich sah es randdresdner, der "immer größere Blechkisten" trotz gleicher Anzahl von Menschen darin kritisierte: "Ich denke, wer der Meinung ist, mehr Platz zu beanspruchen, sollte auch dafür bezahlen. Nicht die praktische Notwendigkeit spielt bei vielen eine Rolle ein großes Auto zu fahren. Es geht um Status" - sofort widersprochen von HERR K. Ein "SUV" hat nix mit "Statussymbol" zu tun - es lässt sich nun mal einfacher ein-und aussteigen. Ich bin zwar erst Mitte 40 aber bald 50 und wie man da ins Auto kommt oder wieder raus interessiert auch niemanden."
Mischka fand pauschale Gleichbehandlung großer Autos unfair, da vielen nichts anderes übrigbliebe und verwies wie andere auf Familien und Transporte im Alltag. Er warb aber gleichzeitig für PR, was "kaum jemand in D" verstanden habe. Dazu emlo: "Wenn man es dann noch wie z.B. in Graz (Österreich) macht, dass die Parkgebühr gleich das ÖPNV-Ticket beinhaltet, würde das auch die Akzeptanz erhöhen." Aus Sicht von patrickschmott sollten Städte die P+R-Pätze kostenlos machen. Der ÖPNV als Alternative kam aber fast durchgehend nicht gut weg: "Wir fahren dann zu 3. mit der Straßenbahn ab Thüringenhalle macht hin&zurück 15€ (Deutschlandticket lohnt sich für uns nicht, da ÖPNV Verbindung zu den Arbeitsplätzen nicht vorhanden oder mit großem Zeitaufwand täglich) das kostet das Parken im teuersten Parkhaus nicht!" (andreaskisten), "gerade in kleineren Städten nicht das Allheilmittel. Dazu ist er zu teuer. Dazu kommt eine ungleichmäßige und unverständliche Taktung. Man weiß nie, ob in dieser Stunde gerade der Bus fährt oder doch erst in 20 min "(xxy21). Vor allem auf Social Media kritisierten User auch die Hersteller für die Größe der Fahrzeuge: "Was können wir dafür, dass die Autos immer größer werden! Wir bauen sie doch nicht! Also geht den Herstellern auf den Zünder und nicht den Leuten! Finde mal einen Kleinwagen, der nicht wer weiß wie breit und über 4m lang ist!" (Karin Sonntag) oder katharina.e.john "Die Lösung wäre vielleicht einfach auch kleinere Autos neben all den anderen Lösungsvorschlägen?" Aus Sicht anderer User sind die Größenunterschiede entweder nicht so groß oder nicht typisch nur für SUV: "Um wie viel Zentimeter reden wir hier? 3cm vom Golf zum Tiguan." (ischias.nerv.nicht), "nicht nur SUV`s sind groß, auch Transporter, große Vans, große Limousinen und und und" (Lebeliebelache) oder "realistisch gesehen verbraucht ein Familien Kombi mehr Parkfläche weil sie länger sind und von der breite nehmen sich beide nichts. Dass Kleinwagen heutzutage so groß sind wie Kompaktklasse ist vielen Faktoren geschuldet" (Matthi). BluesLife und Shantuma verwiesen dazu auch auf E-Autos: "Man trägt die Leute zum E und hier ist die Mehrheit SUV Level" oder der ID4 mit fünf Zentimetern mehr als der Golf 7. Jenseits dessen vermutete Kommentarschreiber, dass die Besitzer großer Fahrzeuge sich zusätzliche Kosten leisten könnten, die für sie nicht nennenswert wären. Ein Fazit von Horst: "Ach, der Deutsche und seine seltsame Beziehung zum Gebrauchsgegenstand Auto..."
Verkehrsforscher: SUV-Sanktionen sind "Symbolpolitik"
An der Bauhaus Universität in Weimar beschäftigen sich Julius Uhlmann und Philipp Viehweger mit Verkehr. Grundsätzlich, so sagt es Uhlmann, habe er kein großes Mitleid mit SUV-Fahrern. Die Erzählung der Umwelthilfe, "Monster-SUV zerstören unsere Städte", bezeichnen die Wissenschaftler aber als "Symbolpolitik".
Parkgebühren generell zu erhöhen und auch nach Autolänge zu staffeln finden die Wissenschaftler sinnvoll. Aber, so Viehweger: "Diese Begrenzung auf SUV ist schwierig und eine Projektionsfläche für den Unmut geworden."
Hauptsache, alle können mit ihrem schönen 5er-Golf weiter in die Innenstadt fahren.
Für Uhlmann und Viehweger denkt die Umwelthilfe zu kurz. Und so fordern die beiden generell weniger Autoverkehr in den Städten. Und Mut bei den kommunalen Entscheidungsträgern, auch mal radikalere Ideen für autofreiere Innenstädte zu formulieren. "Zum Beispiel: Wir reduzieren einfach die Hälfte der Parkplätze."
Auf die SUV draufzuhauen sei einfach. "Da können sich alle drauf einigen. Aber Hauptsache, alle können mit ihrem schönen 5er-Golf weiter in die Innenstadt fahren", kritisiert Uhlmann.
Forscher fordern Komplettpaket
Damit es tatsächlich "unattraktiv wird, mit dem eigenen Auto in die Stadt zu fahren" schlagen die Wissenschaftler ein Gesamtpaket vor: "Also als Erstes den Ausbau der Alternativen vorantreiben. Das heißt, den ÖPNV ausbauen und erschwinglich halten. Mit einem 49 Euro- und nicht 58 Euro-Ticket, aber auch günstigen Einzelfahrt-Tickets." Hinzu kämen der zügige Ausbau von Rad- und Fußverkehrs-Infrastruktur, Park-and-Ride-Anlagen und Carsharing-Modellen.
Auch die Stadt Jena hat das erkannt. Sie versucht eigenen Angaben zufolge den individuellen Pkw-Verkehr zu verringern: Auf Basis des 2023 beschlossenen Klimaaktionsplans will die Stadt erreichen, dass Fußgänger, Radfahrer und ÖPNV zukünftig 80 Prozent des Gesamtverkehrsaufkommens ausmachen. "Die Maßnahmen zielen weniger auf die Größe der Fahrzeuge als vielmehr auf die Anzahl der mit Privatfahrzeugen zurückgelegten Wege."
Übrigens, so sagen die Weimarer Forscher, sind die größeren Autos nicht nur in den größeren Städten ein Thema. "Es gibt im ländlichen Raum eine Menge an Ortsdurchfahrten", so Julius Uhlmann, "wo die Häuser so nah zusammenstehen, dass sich einfach eine normale Straßenbreite, die ich dort einbauen wollen würde einfach gar nicht vernünftig reinkriege."
Größere Autos - ewiger Trend?
Auch am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beobachtet man den Trend der immer größeren Autos (anders als der Name der Forschungseinrichtung das vielleicht vermuten lässt). "Zum einen hat der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung bis vor zwei Jahren dazu beigetragen, dass größere Fahrzeuge für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich wurden", erklärt die DLR auf Anfrage.
Zum anderen habe es natürlich der technische Fortschritt erst ermöglicht, dass Autos größer werden können. Für viele Nutzer sei dann oft Komfort, Sicherheitsgefühl und Gepäck-Raum entscheidender gewesen als weniger Parkraum, höhere Gefahr für andere oder ein größerer Beitrag zum Klimawandel.
Regulierungsmöglichkeiten gebe es jedoch von staatlicher Seite, so die DLR: "Wie zum Beispiel eine progressive Kfz-Steuer, die größere und schwerere Fahrzeuge stärker belastet, differenzierte Parkgebühren oder eine deutschlandweite Maut, die größere Fahrzeuge stärker belastet als kleinere."
Das weggenommen zu bekommen, erzeugt so ein bisschen Verlustängste.
Unter idealen Bedingungen kann der panzerförmige Spross der Schildkrötenpflanze bis zu einem Meter groß werden. Aber selbst dann ist nach mehreren Jahrzehnten irgendwann Schluss. Ob es bei Autos irgendwann den Wachstumsstopp oder gar eine Trendwende geben wird? Die Weimarer Verkehrsforscher Uhlmann und Viehweger fänden das zumindest "wünschenswert".
"Es ist so eine Art Gewohnheitsrecht geworden über die Jahrzehnte, das Fahrzeug auf der Straße vor der Haustür zu parken. Das weggenommen zu bekommen, erzeugt so ein bisschen Verlustängste", sagt Philipp Viehweger. Wichtig sei deshalb eine positive Erzählung, die "nicht den Verlust eines Parkplatzes in den Vordergrund stellt, sondern den Gewinn für das Lebensumfeld, für die Gemeinde an sich".
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 30. August 2024 | 19:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/d43ca0b5-2416-42cd-b5ed-8872c73c8409 was not found on this server.