Polizeieinsatz Druck wächst: Erneut Auseinandersetzung an Suhler Erstaufnahmeeinrichtung
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10. Dezember 2022, 15:23 Uhr
In der zweiten Nacht in Folge hat es an der Suhler Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete nach einem Brandmelder-Alarm Handgreiflichkeiten gegeben. Die Zahl der Bewohner soll bald halbiert werden - Experten kritisieren die Missstände.
- Nachdem die Polizei in einen Streit eingriff, kam es auch zu tätlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
- Das Landesverwaltungsamt macht Druck auf die Landkreise bei der schnelleren Aufnahme von Geflüchteten.
- Der Flüchtlingsrat schlägt für die Unterbringung von Flüchtlingen die Nutzung von Jugendherbergen vor.
An der Erstaufnahme in Suhl hat es in der zweiten Nacht in Folge Unruhen gegeben. Wie die Polizei mitteilte, waren in der Nacht zum Donnerstag mehr als zehn Polizeifahrzeuge vor Ort. Nach ersten Erkenntnissen gerieten zwei Bewohner in Streit. Als die Polizei eingriff, kam es wie am Vortag zu tumultartigen Szenen. Nachdem ein Polizist angegriffen wurde, setzte die Polizei Pfefferspray ein.
Rauferei aus Gruppe von 100 Menschen heraus entwickelt
In zwei Häusern wurde zur gleichen Zeit Rauchmelderalarm ausgelöst. Die Bewohner mussten zeitweise ihre Zimmer verlassen. Dabei entstand eine unübersichtliche Situation. Aus einer größeren Gruppe von rund 100 Menschen heraus entwickelte sich eine Rauferei. Auf Bildern eines Fotojournalisten ist zu sehen, wie Bewohner einen Verletzten zu einem Krankentransporter tragen.
Die Polizei holte sich Unterstützung aus Hildburghausen, Meiningen, Gera und von der Autobahnpolizei. Die Feuerwehr konnte vor Ort keinen Brand feststellen.
Unterkunft am Limit: Amt sieht Verteilungsproblem
Noch vor den Feiertagen soll die Zahl der Bewohner auf 800 reduziert werden, sagte der Präsident des Landesverwaltungsamtes, Frank Roßner, am Mittwochabend im Suhler Stadtrat. Alle 17 Landkreise und die fünf kreisfreien Städte müssten in den nächsten Tagen jeweils etwa 30 Flüchtlinge aufnehmen. Derzeit leben in der Unterkunft 1.430 Menschen. Damit ist die Unterkunft laut Roßner am Limit. Auch die Beschäftigten seien am Ende ihre Kräfte.
Um den Druck von der Einrichtung in Suhl zu nehmen, fordert das Landesverwaltungsamt zudem eine schnellere Aufnahme auch ukrainischer Flüchtlinge durch die Landkreise. Viele Kommune und Kreise erfüllten nicht ihr festgelegtes Soll. Mit Stand Mittwoch sind mehr als 2.600 Ukrainer noch nicht auf die Städte und Gemeinden verteilt worden.
Zu wenige Flüchtlinge verteilt - die Zahlen des Landesverwaltungsamts (zum Aufklappen)
Das größte Defizit weist demnach der Wartburgkreis auf. Er hat laut Verwaltungsamt 768 Flüchtlinge zu wenig aufgenommen. Im Kreis Schmalkalden-Meiningen sind es demnach 454 Flüchtlinge zu wenig und im Saale-Orla-Kreis 408. Mindestens 380 ukrainische Flüchtlinge aufnehmen müsste nach Vorgabe des Amtes noch der Landkreis Greiz und 336 der Kreis Hildburghausen. Der Saale-Holzland-Kreis soll weitere 143 und Saalfeld-Rudolstadt mehr als 137 ukrainische Flüchtlinge verteilen. In Suhl sind es 39 Aufnahmen zu wenig. Insgesamt sind in Thüringen derzeit 30.980 Flüchtlinge aus der Ukraine verzeichnet.
Landkreis weist Kritik an Flüchtlingsaufnahme zurück
Der Wartburgkreis wies die Kritik des Landesverwaltungsamtes zurück. Dass der Landkreis mehr als 700 Menschen zu wenig aufgenommen habe, habe Migrationsminister Dirk Adams (Grüne) erst am vergangenen Freitag bekanntgegeben. Zuvor hätten keine Zahlen zu einer zu erfüllenden Quote vorgelegen, so das Landratsamt.
Die Landkreise hätten das Land immer wieder darauf hingewiesen, dass bezugsfertiger Wohnraum und große Objekte fehlten. Gerade im ländlichen Raum sei es schwierig, geeignete Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Vom Land seien die Kreise nicht unterstützt worden, um Wohnraum herzurichten, so die Behörde. Dabei habe das Land versäumt, mit einer weiteren Aufnahmestelle Suhl zu entlasten.
Die CDU kritisierte ebenfalls das Land und forderte die Landesregierung allgemein auf, mehr Landesimmobilien für Flüchtlinge bereitzustellen. CDU-Fraktionsvorsitzender Mario Voigt sprach von unhaltbaren Zuständen.
Evangelischer Migrationsdienst beklagt Missstände
Reinhard Hotop vom evangelischen Migrationsdienst beklagt erhebliche Missstände in der Suhler Unterkunft. So müssten die Bewohner teilweise stundenlang in der Schlange um Essen anstehen. Auch die medizinische Versorgung sei völlig ungenügend.
Wie Reinhard Hotop anmerkte, könnten die Menschen wegen der Bedingungen dort aber nicht länger als zwei Tage bleiben und müssten schnell auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt werden. Eine weitere Erstaufnahme mit Platz für knapp 90 Bewohner ist zudem in Eisenberg ebenfalls im Saale-Holzland-Kreis geplant.
Flüchtlingsrat fordert Unterbringung in Jugendherbergen
Auch der Flüchtlingsrat Thüringen fordert weiterhin eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen der Kommunen. Um eine menschenwürdige Aufnahme zu gewährleisten, spricht sich der Flüchtlingsrat Thüringen zudem für die zügige Nutzung von freien Jugendherbergs- und Hotelplätzen aus.
Hermsdorf und Erfurt: Ramelow kündigt an, Flüchtlinge umzuverteilen
Am Freitag kündigte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) an, die Flüchtlings-Erstaufnahmestelle in Suhl entlasten zu wollen. Wie er in der Regierungsmedienkonferenz sagte, müssen die Menschen aus der überfüllten Unterkunft in den kommenden Tagen abgezogen und umverteilt werden. Dazu soll Mitte Dezember die Außenstelle in einer Halle in Hermsdorf im Saale-Holzland-Kreis eröffnet werden. Zudem soll laut Ramelow eine Außenstelle in einem leerstehenden, früheren Globus-Baumarkt in Erfurt eingerichtet werden. Dort soll es 400 Plätze geben.
Der Betrieb der Halle in Hermsdorf mit bis zu 750 Plätzen sei zuvor dreimal ohne Erfolg ausgeschrieben worden. Nun sei Gefahr im Verzug und Migrationsminister Adams solle deshalb die Leistung direkt vergeben, sagte Ramelow weiter. Das Land sei mit potenziellen Betreibern im Gespräch.
Weitere Immobilien im Besitz des Landes seien daraufhin überprüft worden, ob sie als Flüchtlingsunterkunft aktiviert werden könnten. Konkrete Gebäude wollte der Ministerpräsident nicht nennen.
MDR (bee/dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 08. Dezember 2022 | 11:30 Uhr