Hintergrund Nach Forstunfall in Steinach: Wie konnte es zum Tod des 16-jährigen Rumänen kommen?
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14. Juli 2023, 23:22 Uhr
Ende Mai stirbt ein 16-jähriger Rumäne bei Waldarbeiten auf dem Gebiet des Staatsforsts in Steinach. Offenbar war er ohne Auftrag dort. Wie konnte es dazu kommen? Und welche Rolle spielen osteuropäische Firmen in der rauen Forstbranche? Ein Mitarbeiter im Forstamt berichtet.
Es sind die Details, die stutzig machen: Der Rumäne, der im Frühsommer bei Steinach in Südthüringen bei Forstarbeiten stirbt, war nicht nur minderjährig. Der verstorbene 16-Jährige war offensichtlich auch ohne offiziellen Arbeitsauftrag auf dem Gebiet des Thüringer Staatsforsts unterwegs. Sprich, ohne bei einer Firma angestellt gewesen zu sein. Die genauen Details zu dem Unfall im Zuständigkeitsbereich des Forstamts Sonneberg liegen noch nicht vor.
Kripo ermittelt noch
Momentan ist unklar, wer und ob überhaupt jemand juristisch zur Verantwortung gezogen werden kann, denn laut Meininger Staatsanwaltschaft ermittelt immer noch die Kriminalpolizei. Trotzdem stellt sich die Frage, wie die Voraussetzungen sein müssen, dass dieser junge Mann zwischen Forstgerätschaften und geschlagenen Bäumen an einem Steilhang mithantierte und dabei auch nicht ausreichend geschützt war.
Das Forstamt in Sonneberg gilt thüringenweit als Vorreiter im Kampf gegen die seit inzwischen fünf Jahren grassierende Borkenkäferplage. Mit enormem Aufwand ist dort versucht worden, sämtliche vom Käfer befallene Bäume aus dem Wald zu holen. Unfassbare Mengen Holz wurden in kurzer Zeit abtransportiert. Zeitweise waren im Bereich des Forstamts Sonneberg bis zu 16 große Maschinen am Start.
Auch österreichische Firmen sind in Thüringens Wäldern aktiv, die wiederum Subunternehmen beschäftigen. Und die heuern für die schwere und gefährliche Arbeit im Wald oft rumänische oder slowakische Arbeiter an.
Mitarbeiter berichtet anonym
Ein Mitarbeiter im Forstamt - er möchte unbedingt anonym bleiben - berichtet, dass die Verständigung mit den ausländischen Waldarbeitern das allergrößte Problem sei. Die Fahrer der riesigen Maschinen würden oft, wenn überhaupt, nur ein paar Brocken Englisch sprechen. Das bedeutet für die Forstleute, dass sie manchmal mehrfach am Tag vorbeischauen müssen, um zu kontrollieren, was die Holzarbeiter genau treiben.
Sobald irgendetwas nicht in Ordnung ist, müssen wir das melden und die Zusammenarbeit beenden.
Alle Förster seien streng dazu angehalten, unbedingt auf den Arbeitsschutz zu achten. "Sobald irgendetwas nicht in Ordnung ist, müssen wir das melden und die Zusammenarbeit beenden." In diese Richtung sei aber selten etwas passiert. Eingreifen könne man eigentlich nur, wenn die Ausrüstung nicht stimmt.
Wissenschaftler schätzt die Lage ein
Erik Findeisen lehrt und forscht zur Forstnutzung an der Fachhochschule Erfurt. Warum der minderjährige Rumäne auf dem Gebiet des Staatswaldes mitarbeitete - darüber kann auch er nur spekulieren. Auch Findeisen macht darauf aufmerksam, dass Waldbesitzer - egal ob private oder öffentliche wie der Thüringenforst - seit ein paar Jahren wegen der Trockenheit und des Borkenkäfers massiv auf Firmen von außerhalb angewiesen sind.
Um all das Schadholz wegräumen zu können, würden die Firmen dann möglicherweise eben Subunternehmen einsetzen, so der Wissenschaftler. Den Durchblick zu bewahren sei schwierig, bestätigt er: "Die Förster, die einweisen und kontrollieren sollen, kommen natürlich auch an ihre Grenzen. Die haben teilweise das Vierfache bis Sechsfache ihres Jahreseinschlages in vier Monaten zu tun, das heißt, die flitzen nur noch durch die Gegend und man muss aufpassen, dass die nicht daran kaputtgehen."
Lokale Unternehmen ausgelastet
Thüringenforst beschreibt die Folgen der aktuellen "Schadsituation" auf Anfrage ähnlich - man sei auf überregionale Dienstleister angewiesen: "Lokale Forstunternehmen besitzen nicht die derzeit benötigten Maschinen- und Arbeitskapazitäten." In der Regel kämen die ausländischen Forstunternehmen aus Österreich, Tschechien, Rumänien oder der Slowakei. Ausgeschrieben werden die Aufträge dezentral von den Forstämtern, die größeren von der Thüringenforst-Zentrale auf einer EU-Plattform.
Hier entscheidet in der Regel, wer am günstigsten anbietet, sagt Forstforscher Findeisen. Und das seien eben oftmals die osteuropäischen Firmen. Die seien in der Regel sehr gut ausgebildet, sagt der Wissenschaftler. Auch Thüringenforst sieht grundsätzlich keine Nachteile bei ausländischen Firmen: "Alle Unternehmen haben die entsprechenden Zertifizierungen für die jeweiligen Arbeiten nachzuweisen und sich an die entsprechenden Vorgaben zu halten."
Förster ohne Überblick bei Subunternehmen
Doch der Mitarbeiter des Sonneberger Forstamts macht deutlich: Ob die so angeheuerten Arbeiter auch tatsächlich alle Voraussetzungen erfüllen, um die gefährliche Arbeit überhaupt ausführen zu dürfen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Hier seien die Subunternehmer in der Pflicht. Warum noch dazu ein Minderjähriger allein im Steilhang unterwegs war und was er da gemacht hat, sei nach wie vor ein Rätsel.
Findeisen: Wertschöpfung geht verloren
An der Tatsache, dass mittlerweile so viele Arbeiten von ausländischen Firmen erledigt werden, kritisiert FH-Forscher Findeisen: "In den Herkunftsländern der Arbeiter wird das Lohngefälle ausgenutzt, um hier bei uns kostengünstig zu arbeiten, aber dort verbessert sich mit dem wenigen Geld eigentlich auch gar nichts nachhaltig." Außerdem sei es ökologisch abwegig, wenn Arbeiter für Aufträge stets durch halb Europa reisten. Zudem würden vor allem weniger junge Menschen in Thüringen in dem Bereich ausgebildet.
Findeisen hat deshalb mit Kollegen, unter anderem von der TU Ilmenau, das Bündnis "Holz-21-regio" gegründet. Eins ihrer Ziele ist, die Wertschöpfung des Rohstoffs Holz in der Region - sprich in Thüringen - zu halten. Findeisen nennt das Vorbild Vorarlberg, wo über die Jahre eine nachhaltige Industrie rund um das Holz gewachsen sei.
Wir stabilisieren lieber Firmen, die eben auch ein soziales Umfeld gestalten und die Steuern in der jeweiligen Region generieren.
Es widerspricht in der Theorie zwar ein bisschen der Idee des europäischen Wettbewerbs. Hätte laut Findeisen aber viele Vorteile: "Wir stabilisieren lieber Firmen, die eben auch ein soziales Umfeld gestalten, die Steuern in der jeweiligen Region generieren, wovon wieder Kindergärten bezahlt werden können. Das ist ja dann eine endlose Kette. Und man kann das genauso auch in Rumänien machen, oder in Bulgarien."
Forderung nach anderen Förderregeln
Findeisen sieht dabei aber nicht die Thüringer Forstämter in der Pflicht, sondern spricht von einer "europäischen Aufgabe. Damit man diese Vergabevorschriften wieder stärker dahin fokussiert, um ein regionales Leben zu ermöglichen."
Generell macht Findeisen deutlich, dass "die Waldarbeit mit der Motorsäge oder Seilwinden immer noch zu den gefährlichsten Arbeiten gehört, die wir in Deutschland überhaupt haben." Nicht immer sei auszuschließen, ob ein Baum nicht stärker unter Spannung stehe oder morscher sei als gedacht und einem Arbeiter dadurch gefährlich werden könnte.
Immer wieder passierten auch tödliche Unfälle in Wäldern. Er plädiert in dem Zusammenhang deshalb an normale Waldbesucher, Absperrungen und Schilder ernst zu nehmen. "Es ist alles schon vorgekommen, dass Menschen in Gefahrenbereiche reingehen, die auch für Waldarbeiter sehr gefährlich sind."
Bis es zu dem Tod des 16-jährigen Rumänen neue Erkenntnisse gibt, wird es noch ein bisschen dauern. So lange die Ermittlungen laufen, will sich Thüringenforst nicht mehr zu dem konkreten Vorfall äußern.
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 07. Juni 2023 | 09:30 Uhr