![Historische Schwarzweiß-Postkarte: Eine zerstörte Puppenfabrik in Sonneberg nach der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg. | Bildrechte: Stadtarchiv Sonneberg Historische Schwarzweiß-Postkarte: Eine zerstörte Puppenfabrik in Sonneberg nach der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg.](https://www.mdr.de/index-transparent_h-325_w-503_zc-236f724d.gif)
Zweiter Weltkrieg Warum die Alliierten ausgerechnet Sonneberg bombardierten: Hobbyforscher enthüllen neue Fakten
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15. Februar 2025, 12:03 Uhr
28 Tote - darunter acht Kinder und zahlreiche zerstörte Häuser. Das war die Bilanz der Bombardierung Sonnebergs im Zweiten Weltkrieg am 14. Februar 1945. Zwei Sonneberger Hobbyforscher haben die Ereignisse von damals für ein Buch bis ins kleinste Detail nachrecherchiert - und neue Erkenntnisse zutage gefördert.
Wie geriet die kleine Südthüringer Stadt Sonneberg im Zweiten Weltkrieg überhaupt ins Visier der Alliierten? Vor allem diese Frage hat den Hobbyforscher Stefan Lutz umgetrieben. In akribischer, monatelanger Arbeit hat er die Bombardierung von Sonneberg anhand US-amerikanischer Militärberichte nachrecherchiert.
Das Material aus US-Archiven zu bekommen, war nur die erste Herausforderung, wie Stefan Lutz berichtet. Als er die Gefechtsberichte dann vor sich hatte, habe er erst "wie der Ochs am Berg geguckt". Die Unterlagen enthielten jede Menge spezifische Kürzel und Typisierungen - alles für einen Laien vollkommen unverständlich. Mit Hilfe von Militärexperten konnte der 61-Jährige das Material jedoch mühsam entschlüsseln. Er fand schließlich heraus: Die Bombardierung Sonnebergs war keineswegs ein geplanter Angriff - wie bisher gedacht. Sondern die Summe mehrerer Zufälle.
US-Piloten konnten Bomben nicht auf Chemnitz und Dresden abwerfen
Laut der Recherche von Stefan Lutz waren die US-amerikanischen Bomber an jenem 14. Februar 1945 auf dem Rückweg von Chemnitz und Dresden. Dort hatten sie aufgrund des schlechten Wetters ihre Bomben nicht abwerfen können. Auch über Plauen - das erste ausgewiesene sogenannte Ausweichziel - hingen Wolken. Die Rückflugroute führte die Piloten der Air Force dann an Sonneberg vorbei.
Gleichzeitig sei die Dringlichkeit gestiegen, die schweren Bomben alsbald abzulassen, um es mit dem verbliebenden Sprit auch wieder nach Hause zu schaffen. Laut Hobbyforscher Lutz galt für die Piloten in dem Moment, jedes als militärisch legitim eingestufte Ziel anzugreifen. Eine Definition, die damals auch Bahnhöfe umfasste.
Wetter als entscheidender Faktor
"Der Sonneberger Bahnhof hatte zu jener Zeit an die 100 Weichen, er war damals ein wichtiger Rangierbahnhof", so Lutz. Ein Knotenpunkt der Industrie also und dazu gut aus der Luft zu erkennen. Vor allem, weil in Sonneberg - anders als in Chemnitz, Dresden und Plauen - zu dem Zeitpunkt die Sonne schien. Es war früher Nachmittag als die US-amerikanischen Bomber dann das "Go" bekamen, die Bombenklappen zu öffnen. Neben dem Sonneberger Bahnhof war auch der Bahnhof im Ortsteil Köppelsdorf betroffen. Die Folgen: 28 Tote - darunter acht Kinder - sowie zahlreiche zerstörte Häuser. Am 10. April wurde Sonneberg noch einmal bombardiert.
Wie Zufall über Leben und Tod entschied
Aus den Ergebnissen der Recherche von Stefan Lutz ist ein Buch entstanden. Zusammengetan hatte sich der Porzellanrestaurateur dafür mit Martina Hunka. Sie durchforstete das Stadtarchiv sammelte alte sowie neue Zeitzeugenberichte, um die Geschichten der Opfer zu erzählen.
Der eine starb, weil er noch seine Schuhe retten wollte. Der nächste überlebte, weil er gerade sein Mittagessen abholte.
Erschreckend sei, wie ein blanker Zufall über Tod oder Leben entschied, so Hunka: "Der eine starb, weil er noch seine Schuhe retten wollte. Der nächste überlebte, weil er gerade sein Mittagessen abholte." Eine der tragischsten Geschichten ist für die Heimatforscherin die des Schmiedes Kempf, dessen Haus ein Volltreffer abbekam. Der Mann verlor bei dem Anschlag seine drei Töchter Leni, Sigrid und Doris - 20, zwölf und sieben Jahre alt.
Eine wichtige Vorarbeit für ihre Recherche habe vor allem der ehemalige Sonneberger Bürgermeister Gerhard Stier geleistet, der zu Lebzeiten die Ereignisse rund um die Bombardierung ebenfalls dokumentiert hatte.
Angriff traf die Sonneberger völlig unvorbereitet
Für Heimatforscherin Martina Hunka ist klar: Die Bomben trafen die Sonneberger wortwörtlich aus heiterem Himmel. Die Kleinstädter wähnten sich nicht in der Schusslinie der Alliierten: "Deshalb waren die Leute leichtsinnig, blieben bei Fliegeralarm oft draußen und beobachteten die Flugzeuge am Himmel."
Wir waren draußen Eidechsen und Frösche fangen, als wir die Bomben sahen. Jede einzelne haben wir erkennen können.
An jenem 14. Februar in den Himmel geguckt hatte auch Hermann Bambl. Der heute 86-Jährige war damals sechs Jahre alt. Er erinnert sich an einen Tag mit wunderschönem Wetter: "Wir waren draußen Eidechsen und Frösche fangen, als wir die Bomben sahen. Jede einzelne haben wir erkennen können." Aus erster Hand erzählen kann auch Rüdiger Masengarb, der zu jener Zeit 15 Jahre alt war. Er erinnert sich, wie er voller Angst sein Fahrrad auf die Straße warf und wegrannte.
Erste Buch-Auflage schon fast vergriffen
Martina Hunka und Stefan Lutz haben mit ihrem knapp 80 Seiten starken Buch Leerstellen in der Geschichte Sonnebergs gefüllt. Und den Beweis erbracht: Ausschlaggebend für die Bombardierung Sonnebergs waren nicht etwa kriegsrelevante Fabriken - die es in Sonneberg durchaus gab, weil etwa Spielzeughersteller nun Kriegsgüter wie Lastensegler oder Transportkisten für die Luftwaffe produzierten. Doch zum Verhängnis wurde der Bergstadt das an dem Tag freundliche Wetter.
Bei der Buchvorstellung am Mittwoch im Sonneberger Rathaus-Saal zeigte sich auch: Selbst 80 Jahre später trifft das Thema bei den Sonnebergern noch einen Nerv. Die erste 500 Stück starke Auflage des Buchs ist schon fast vergriffen. Einige Exemplare gibt es noch im Sonneberger Stadtarchiv zu kaufen. Die Autoren denken bereits über einen zweiten Druck nach.
MDR (rom)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 15. Februar 2025 | 18:00 Uhr
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