Alte Nutztierrasse Vom Maskottchen zur aussterbenden Art: Was passiert, wenn das Rhönschaf verschwindet?

13. Januar 2023, 15:25 Uhr

Das Schaf ist für die Rhön mehr als nur Schmuckstück. Die Vierbeiner erhalten durch ihre Fressgewohnheiten die offenen Flächen und begünstigen dadurch eine einzigartige Flora und Fauna. Jedoch gehen die Schafbestände schon seit Jahren zurück, weil sich die Haltung nicht mehr lohnt. Was fordern die Schäfer? Und was passiert, wenn das Schaf aus der Rhön tatsächlich verschwindet?

Porträt Regionalkorrespondentin Marlene Drexler
Bildrechte: MDR/Daniela Dufft

Die Rhön erweckt sanfte Freiheitsgefühle. Die offene Landschaft erlaubt es, weit zu blicken, über grüne Hügel bis zum Horizont. Dieses charakteristische Landschaftsbild ist kein Zufall, sondern hat mit der Art der Bewirtschaftung der Flächen zu tun. Eine zentrale Rolle spielen dabei fleißige Landschaftspfleger auf vier Beinen: die Rhönschafe.

Sie sind am besten geeignet für die Landschaftspflege in der Rhön. Seit Generationen tragen die Schafe mit den schwarzen Köpfen dazu bei, dass das Mittelgebirge im Dreiländereck Thüringen, Hessen und Bayern nicht verbuscht - und erhalten so eine einzigartige Flora und Fauna. Durch das Offenhalten der Flächen finden bestimmte Pflanzen und Tiere, etwa bodenbrütende Vogelarten, Lebensraum in der Rhön.

Rhönschaf perfekt an Umweltbedingungen angepasst

Das Rhönschaf mit seinem schwarzen Gesicht und dem weißen Körper hat einen zierlicheren Körperbau und ist damit wendiger als andere Rassen. Damit ist es in der Lage, sich auch in schwieriger zugänglichem Gelände, zum Beispiel in steinigen Hanglagen, zu bewegen.

Zudem kommt es mit dem kargen Futter, das die Rhöner Kalkmagerrasen bieten, zurecht. Einst Maskottchen, ist es heute gar nicht mehr so leicht, echte Rhönschafe in der Rhön zu finden. Einer der wenigen Betriebe, der die Rasse noch hält und züchtet, findet sich in Kaltensundheim im Landkreis Schmalkalden-Meiningen.

Zu Besuch bei einem Betrieb, der nicht aufgibt

Bevor man sie sieht, hört man sie schon blöken. Den Winter verbringt die Schafherde der Landschaftspflege-Agrarhöfe Kaltensundheim, bestehend aus rund 570 Mutterschafen, im Stall. Zwischen November und Januar kommen die Lämmer zur Welt. Unzählige kleine Fellgesichter springen mit ihren staksigen Beinen durch das Stroh: "Das hier ist zum Beispiel heute Morgen geboren." Arnd Schilling zeigt auf ein Lämmchen, das dicht an seiner Mutter steht. Am Fell klebt noch Blut von der Geburt.

Arbeitsbelastung für Schäfer hat zugenommen

Der Schäfer hat mit den Lämmern jede Menge zu tun. Er unterstützt die Mutterschafe bei der Aufzucht, entscheidet, wann die Frischgeborenen robust genug sind, um mit den anderen Lämmern gemeinsam fressen zu können. Ganz selten braucht ein Mutterschaf auch mal Hilfe während der Geburt.

Arnd Schilling ist bei der Landschaftspflege-Agrarhöfe GmbH in Kaltensundheim angestellt. Seine Arbeit hat sich, seit er sich im Jahr 1986 zum Schäfer hat ausbilden lassen, verändert. Früher hat der 59-Jährige maximal 350 Schafe gehütet, erzählt er. Heute passe er im Sommer zur Hochzeit auf mehr als doppelt so viele auf. Das ist stressig, aber der wirtschaftliche Druck verlangt es. Denn was im Stall nach tierischer Idylle aussieht, bereitet Harald Bräutigam, dem Geschäftsführer des Agrarunternehmens, regelmäßig Kopfschmerzen.

Schafhaltung rentiert sich nicht mehr

Harald Bräutigam sagt: Schafe halten, das macht die Landschaftspflege-Agrarhöfe GmbH Kaltensundheim eigentlich nur noch aus idealistischen Gründen. Der Betrieb besitzt mehrere Geschäftszweige. Neben den Schafen betreibt er eine Milchkuh-Zucht mit rund 800 Tieren und eine Biogasanlage.

Jüngst hat die Geschäftsführung mit einem externen Berater das Firmenportfolio und seine wirtschaftlichen Potenziale analysiert. Laut Harald Bräutigam war das Ergebnis: Wie man es dreht und wendet, die Schafhaltung rechnet sich unter den aktuellen Bedingungen nicht.

Die Schafbestände sinken seit Jahren

Laut dem Unesco-Biosphärenreservat leben in der Rhön derzeit um die 5.000 Rhönschafe. Eine Zahl, die als Erfolg gefeiert wird. Denn die Rasse galt bis 2020 vom Aussterben bedroht. Die positive Meldung über die Wiederansiedlung einer stabilen Population der Rhönschafe täuscht allerdings darüber hinweg, dass die Schafbestände in der Rhön insgesamt - auf alle Rassen bezogen - zurückgehen.

Erst Ende vergangenen Jahres hat ein weiterer Betrieb, die Vorderrhön Agrar GmbH aus Hümpfershausen, seine Schafhaltung eingestellt. Und auch die landesweiten Zahlen bestätigen diesen Trend: Vor über zehn Jahren gab es in Thüringen noch knapp 150.000 Schafe. Heute sind es nur noch rund 100.000, wie auf der Seite des Landesamtes für Statistik nachzulesen ist.

Für die Rhön gilt laut dem Thüringer Schäferverband: Wenn es künftig keine höheren Zuschüsse gibt, wird das Schaf in der Rhön nicht überleben.

Politik hat 2019 mit Schafprämie reagiert

Das Problem ist: Der Verkauf von Wolle und Fleisch können unter der derzeitigen Preissituation die Haltungskosten bei Weitem nicht decken. Schon seit 2019 zahlt das Land Thüringen daher eine Schafs- und Ziegenprämie von rund 25 Euro pro Tier pro Jahr. In diesem Jahr wird diese Prämie durch eine EU-Prämie abgelöst, die bei knapp 35 Euro liegt.

Für die Landschaftspflege bekommen Schäfer außerdem pro Hektar einen Zuschuss. Über die Entwicklung der Zuschusshöhe widersprechen sich die Regierung und der Landesverband Thüringer Schafzüchter. Laut Regierung sind die Zuschüsse seit 2014 nicht reduziert worden, nach Angaben des Schäferverbandes wurden sie jedes Jahr kontinuierlich gekürzt.

Janet Emig, Schafbeauftragte des Unesco-Biosphärenreservats Rhön, argumentiert auf der Seite der Schäfer. Emig ist seit mehr als zehn Jahren als landwirtschaftliche Beraterin in der Rhön tätig: "Und in dieser ganzen Zeit hat sich für die Schäfer nicht wirklich etwas gravierend verbessert", sagt sie.

Zuschüsse reichen nicht aus

Am Ende ist es wohl Erbsenzählerei. Denn die Tatsache, dass immer mehr Schafbetriebe aufhören, steht für sich. Offensichtlich reicht die Förderung, ob nun gleichgeblieben oder gekürzt, nicht aus, um den Schäferberuf attraktiv zu halten. Denn wer entscheidet sich schon für einen Beruf mit hoher Arbeitsbelastung - viele Schäfer arbeiten nahezu 365 Tage im Jahr -, der dann auch noch erhebliche wirtschaftliche Risiken birgt? Laut dem Thüringer Schäferverband liegt das Einkommen der Schäfer oftmals unter dem gesetzlichen Mindestlohn.

Den ganzen Tag mit den Tieren an der frischen Luft sein - in meinen Augen gibt es nichts Schöneres.

Arnd Schilling

Wie könnte das Schaf in der Rhön gerettet werden?

Der Schäferverband fordert eine höhere Vergütung der Leistungen, die Schäfer für den Naturschutz leisten. Außerdem wünscht sich der Verband, dass die Bürokratie bei der Beantragung von Fördermitteln reduziert wird. Auch könnte die Deichpflege mit Schafen im Sinne des Hochwasserschutzes gestärkt und weiter ausgebaut werden.

Zudem fordert der Verband mehr Unterstützung bei der Vermarktung von Schaf-Produkten. Wolle als nachwachsender Rohstoff müsse mehr Wertschätzung erhalten, neue Verarbeitungsmöglichkeiten müssten aufgetan werden.

Für Janet Emig vom Unesco-Biosphärenreservat liegt der Ball hier auch bei den Konsumenten. Obwohl das Fleisch der Rhönschafe zum einen aus der Region und zum anderen von Tieren stammt, die ihr Leben auf der Weide verbracht haben, verkauft es sich schlecht. "Es gibt einfach nach wie vor große Vorbehalte gegen Schaf- und Lammfleisch", so ihr Eindruck. Klar ist: Gelingt es, dem Schäfer wieder ein sicheres finanzielles Auskommen zu garantieren, dann wird es auch leichter, Nachwuchs zu finden. Denn unter den aktuellen Bedingungen ist auch das zum Problem geworden.

Was würde aus der Rhön ohne die Schafe?

Und wenn es nicht gelingt, den Trend aufzuhalten? Schon jetzt übernehmen zum einen Maschinen, zum anderen Rinder, die Arbeit der Schafe in der Rhön. Dass die Landschaft ohne Schafe zuwuchert, glaubt Janet Emig vom Unesco-Biosphärenreservat deshalb nicht. Aber die Pflanzen- und Tierwelt würde sich verändern.

Die kleinen Schafhufe bearbeiten den Boden anders als die Hufe von Kühen. Darüber hinaus würde es den Verlust eines Kulturguts mit über viele Generationen andauernder Geschichte bedeuten. Die Rhön ohne Schafe - Schäfer Arnd Schilling aus Kaltensundheim möchte sich das nicht vorstellen. Für ihn ist der Schäferberuf auch nach fast 30 Jahren auf der Weide immer noch der beste der Welt: "Den ganzen Tag mit den Tieren an der frischen Luft sein - in meinen Augen gibt es nichts Schöneres."

MDR (ifl)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 13. Januar 2023 | 15:10 Uhr

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