Beamtenausbildung Missbrauch, Mobbing, Machtspiele: Thüringer Polizeischule im Visier der Ermittler

05. Oktober 2023, 10:10 Uhr

Die Polizeischule in Meinigen steht seit Jahren in der Kritik. Es soll zu Alkohol- und Drogenexzessen, aber auch zu Mobbing und sexuellem Machtmissbrauch gekommen sein. Nun bekommt die Einrichtung, an der künftige Repräsentanten des Staates geschult werden, einen neuen Chef. Jürgen Loyen soll die Ausbildungsstätte reformieren, neue Strukturen schaffen und mögliche künftige Skandale verhindern. Auf Unterstützung ist er dabei angewiesen.

Es war eine muntere Zusammenkunft an diesem kalten Januartag 2015 in der Meininger Polizeischule. Mehrere Polizeischüler und -beamte trafen sich zu einer Geburtstagsfeier. Die Sache lief schnell aus dem Ruder. Denn es wurde erheblich getrunken und gefeiert. Als der Alkohol zu Ende zu gehen drohte, kamen einige der Schüler und ein gestandener Beamter der Bereitschaftspolizei auf die Idee, Nachschub an einer nahegelegenen Tankstelle zu holen.

Dazu nutzte einer der Schüler einen Dienstwagen, dessen Schlüssel er von dem Beamten bekam. Bei der ersten Fahrt ging noch alles gut, aber als der junge Mann für eine neue Ladung an der Tankstelle auftauchte - und das augenscheinlich betrunken - schlug der Angestellte bei den Kollegen der Meininger Polizei Alarm.

Polizeianwärterinnen und -anwärter
Vorwürfe von sexuellem Missbrauch, Mobbing und Beleidigungen häufen sich in Meiningen. (Symbolbild) Bildrechte: imago images/Steve Bauerschmidt

Schüler rausgeworfen: Alkohol und Drogen an Polizeischule

Was folgte, waren Ermittlungen, Strafverfahren und der Rauswurf des Polizeischülers. Das gesamte Trinkgelage, das offensichtlich in der Schule komplett ausgeartet war, wurde Gegenstand interner Prüfungen. Polizeischule und Innenministerium konnten das Ganze ein paar Monate geheim halten, aber im Mai desselben Jahres macht MDR THÜRINGEN die Geschichte öffentlich. Nun wurde es ein Fall für den Innenausschuss des Landtages.

Dort wurde von Einzelfall und harten Strafen vonseiten der Landesregierung gesprochen. Doch nur zwei Jahre später: der nächste Skandal. Polizeischüler wurden beim Konsum von Drogen erwischt. Wieder ein öffentlicher Aufschrei. Aus Kreisen der Schule hieß es, das sei nur die Spitze des Eisbergs. Drogen und Alkohol sollen regelmäßig und in erheblichem Maße in der Schule konsumiert worden sein.

Polizeischule: Vorwürfe von sexuellem Missbrauch, Mobbing und Beleidigungen

Damit dürfte sich die Thüringer Polizeischule in die lange Schlange von Internaten, Lehrlingseinrichtungen oder Bildungszentren in Deutschland einreihen, in denen junge Menschen gemeinsam lernen und leben. Doch an einer Polizeischule wiegen die Vorwürfe deshalb deutlich schwerer, weil dort die künftigen Beamtinnen und Beamten ausgebildet werden, die gegenüber den Bürgern Recht und Gesetz vertreten sollen. Deshalb schlagen die aktuellen Vorwürfe von sexuellem Missbrauch, Mobbing und Beleidigungen, die seit dem Februar dieses Jahres immer wieder an die Öffentlichkeit dringen, besonders hohe Wellen.

Internes Papier listet Vorfälle an Polizeischule auf

Seitdem das "Freie Wort" im August dieses Jahres und kürzlich auch der "Spiegel" über ein internes Papier berichteten, das die bisher bekannten Fälle auflistet, ist der Druck auf das Innenministerium und seinen Chef Georg Maier (SPD) entsprechend groß. In dem Papier, das MDR THÜRINGEN vorliegt, wird über mehrere Fälle von mutmaßlichem sexuellen Missbrauch, sexueller Beleidigung und auch vom Verdacht des Mobbings berichtet. Darunter sind Fälle, die sich zwischen Schülern abgespielt haben sollen. Aber es sind auch solche dabei, bei denen der Verdacht besteht, dass Ausbilder ihre Macht sexuell gegenüber Polizeischülerinnen ausgenutzt haben könnten.

Bisher liegen bei der Staatsanwaltschaft Meinigen ein halbes Dutzend Fälle, in denen ermittelt wird. Was nicht einfach sein dürfte, da neben Vorfällen aus dem aktuellen Jahr einige teilweise bis zu sechs Jahre zurückliegen sollen.

Mutmaßlicher Missbrauch vor Jahren

Doch die mutmaßlichen Probleme könnten noch länger zurückreichen. So hatte es bereits vor knapp 15 Jahren einen Skandal um sexuellen Missbrauch an der Schule gegeben. Damals gab es Vorwürfe, dass Ausbilder Schülerinnen Hinweise zu Prüfungsaufgaben gegeben haben sollen - und das für sexuelle Gegenleistungen. Einer der Beamten musste damals die Einrichtung verlassen. Doch was nicht folgte, war, aus so einem Vorfall Lehren zu ziehen. Die Frage nach einem tragfähigen Präventionskonzept, um solche möglichen Fälle von sexuellem Machtmissbrauch in der Zukunft zu verhindern, stellte sich damals offenbar nicht - weder in der Schule, noch im Innenministerium.

Alte Strukturen an Thüringer Polizeischule

Dabei zeigen die alten wie die aktuellen Vorwürfe das strukturelle Problem der Polizeischule. Viele der Ausbilder sind seit Jahren dort im Dienst, manche seit 25 Jahren. Das Prinzip der Rotation, dass in vielen Bereichen der Polizei greift, hat es jahrelang nicht gegeben. Beobachter sprechen beim Bildungszentrum von einem "Staat im Staat" mit seinen eigenen Regeln. Insider berichten, dass so dem Ausnutzen von Abhängigkeiten zwischen Schülern und Ausbildern Tür und Tor geöffnet werden konnte, weil sich die Mitarbeiter seit Jahrzehnten kannten und möglicherweise gegenseitig deckten. Offenbar war es den bisherigen Leitern in der Einrichtung nicht gelungen, neue Strukturen zu schaffen. Erst in den vergangenen beiden Jahren hatten einige Beamte die Einrichtung verlassen oder wurden versetzt.

Jürgen Loyen: Neuer Leiter wird berufen

Jetzt soll es Jürgen Loyen richten. Er gilt als erfahrener Führungsbeamter, dem auch die entsprechenden sozialen Kompetenzen zugetraut werden, die Leitung einer Bildungseinrichtung zu übernehmen. Er selber wollte sich auf eine MDR THÜRINGEN-Anfrage im Vorfeld seiner Einsetzung nicht äußern. Unterstützung bekommt er aber von der größten Polizeigewerkschaft in Thüringen. GdP-Landeschefin Mandy Koch sagte, mit Loyen gewinne die Bildungseinrichtung einen Leiter, der in diesem Bereich eine langjährige Erfahrung mitbringe. Mit Blick auf die aktuellen Vorwürfe sagte Koch, dass neben der laufenden Aufklärung auch endlich Strukturen für eine moderne und zeitgemäße Ausbildung geschaffen werden müssten. Vom Thüringer Innenministerium fordert sie eine uneingeschränkte Unterstützung bei der Ausrichtung der Schule in Meiningen.

Opposition fordet Task-Force

CDU-Innenpolitiker Raymond Walk sagte MDR THÜRINGEN, es müsse alles getan werden, um diese schweren Vorwürfe restlos aufzuklären. Er erneuerte seine Forderung, nach einer externen interdisziplinären Task-Force. "Es braucht eine Gruppe von Fachleuten aus anderen Bundesländern, mit Verwaltungsleuten, Psychologen und Polizeifachexperten", so Walk. Thüringens Innenminister Maier hatte bereits seit dem Bekanntwerden der ersten Vorwürfe im Frühjahr dieses Jahres uneingeschränkte Aufklärung angekündigt.

An den Neuen hat Maier eine ziemlich lange Liste von Anforderungen. Loyen, sagte Maier unlängst dem "Freien Wort", solle das Sozialkompetenzzentrum zügig eröffnen, dafür sorgen, dass alle Planstellen für Nachwuchs-Polizisten besetzt werden können, die Schule zu einem attraktiven Campus machen und die offenen Jobs im Lehr- und Dozententeam besetzen. Dafür aber braucht Loyen aber am Ende die Unterstützung vor allem aus einem Haus: dem Thüringer Innenministerium.

MDR (dkn/ls)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 05. Oktober 2023 | 19:00 Uhr

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