Bildung Abkehr vom Frontalunterricht: Meininger Gymnasium wagt Experiment
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21. Februar 2025, 22:25 Uhr
Die Schüler sitzen an ihren Tischen. Der Lehrer oder die Lehrerin steht vorne und erklärt. So sieht Unterricht im klassischen Sinne aus. Das Meininger Henfling-Gymnasium will weniger Frontalunterricht machen und hat ein alternatives Lehrkonzept entwickelt. Das setzt auf selbstständiges Lernen und eigenes Tempo.
"Haben alle ihre Hausschuhe an?" Mit dieser Frage von Lehrerin Lisa Weltzien beginnt für die fünfte Klasse am Meininger Henfling Gymnasium der Unterricht. Vorher hat jeder ein Tablet mit Lernmodulen und einen kleinen Zettel bekommen, auf dem draufsteht, was er oder sie heute machen soll. Dann dürfen sich alle einen passenden Lernplatz suchen.
Unterrichtsräume mit Sofas und Sitzecken
Zur Auswahl stehen mehrere Räume, in denen ein gemütliches Zuhause-Gefühl herrscht. Neben normalen Tischen gibt es dort auch Sofas und gepolsterte Sitzecken. Ein Raum ist für Gruppenarbeiten, dort darf geredet werden. Im zweiten ist nur Flüstern erlaubt. Im dritten soll es ganz ruhig sein, sodass man dort konzentrierte Einzelarbeiten machen kann. Nach einem kurzen Durcheinander hat jeder rasch den richtigen Platz für sich und seine heutigen Aufgaben gefunden. Für den elfjährigen Vince steht zum Beispiel ein sogenannter Vortest auf dem Programm. Der Fünftklässler konnte den Zeitpunkt selbst wählen. Jetzt habe er sich bereit gefühlt, erzählt er. Lehrerin Lisa Weltzien geht während der Stunde durch die verschiedenen Räume und ist für Fragen ansprechbar.
Vorbild aus Österreich
Deutsch, Mathe und Englisch haben die Fünftklässler seit diesem Schuljahr in dieser offenen Form. Dazu inspiriert hat sie eine österreichische Schule, die eine ähnliches Experiment gewagt hat. Unter den Schülerinnen und Schülern herumgefragt, wie ihnen der Unterricht gefällt, kommen ausschließlich positive Reaktionen. Vielen, wie auch dem elfjährigen Vince gefällt es, dass jeder sein eigenes Lerntempo haben kann: "Ich bin oft schneller als andere und finde es dann immer blöd zu warten."
Auch Lehrerin Lisa Weltzien sieht in dem individuellen Lerntempo einen großen Vorteil. Gleichzeitig hofft sie, dass die Kinder in dem freien Unterricht Selbstständigkeit erlernen und für ihr eigenes Fortkommen mehr Verantwortung übernehmen. Bestandteil des neuen Lehrkonzepts ist laut der Lehrerin auch, dass die Kinder sich selbst realistische Lernziele setzen: "Das war am Anfang - und ist auch immer noch eine große Herausforderung, aber es klappt in vielen Fällen immer besser."
Freies Lernen funktioniert nicht bei allen gleich
Insgesamt beobachte sie zwar durchaus, dass das freie Lernen nicht für jeden gleich gut funktioniere. Und auch die Kinder geben zu: Manchmal schaffen sie anstatt zwei Aufgaben nur eine, weil sie sich lieber unterhalten oder etwas auf dem Tablet spielen. Grundsätzlich ist Lehrerin Lisa Weltzien aber trotzdem der Überzeugung, dass die effektive Lernzeit in diesen Stunden höher ist, als im normalen Unterricht. Und natürlich können die Lehrer jederzeit einsehen, wofür das Tablet genutzt wird und gegebenenfalls eingreifen.
Das Meininger Projekt wird von der Universität in Jena begleitet. Für Ende des Jahres ist eine Evaluation geplant. Für Lehrerin Lisa Weltzien ist es schon jetzt ein Erfolg: "Ich finde es einfach toll zu sehen, dass die Kinder das richtig annehmen. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir denen etwas überstülpen."
MDR (med/dr)