Vogelperspektive/Drohnenansicht: Nadelwald von oben, einige abgestorbene Bäume zwischen grünen Bäumen, Perspektive erzeugt Dynamik, direkte Draufsicht auf Bäume in Mitte, Bäume drum herum wirken schräg gestellt 52 min
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52 min

Die Bäume sterben, schmerzlich sichtbar im Harz, im Thüringer Wald und überall dort, wo Fichtenforste die Landschaft prägen. Autor Jörg Wunderlich widmet der Fichte einen Abgesang und fragt nach dem Wald von Morgen.

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Borkenkäfer Fichtendämmerung: Waldsterben in Thüringen

22. Dezember 2023, 14:45 Uhr

Tief verschneite, säulenhohe Fichtenwälder - in Thüringen wird dieses winterliche Erlebnis schon bald vielleicht nur noch eine Erinnerung sein. Denn die mit Abstand häufigste und landschaftsprägende Baumart fiel hier großflächig dem Borkenkäfer zum Opfer. Das Ergebnis sind vielerorts kahle Hänge und ausgedünnte Wälder. Nicht einmal mehr jeder fünfte Baum im Freistaat ist noch gesund. Die Wiederaufforstung mit anderen Baumarten wird das Bild Thüringens verändern. Die Fichte aber verschwindet.

Der Freistaat Thüringen ist zum neuen Hotspot des Waldrückgangs geworden, das hat Thüringens Forstministerin Susanna Karawinsky (Linke) Anfang Dezember in Erfurt mitgeteilt.

Der neue Waldzustandsbericht beziffert für die Thüringer Fichte in diesem Jahr einen Forstschaden von fünf Millionen Festmetern. Im Zeitraum eines Jahres starben allein 17 Prozent aller Fichten durch Schädlinge wie den Borkenkäfer. Nur knapp jede vierte Fichte kann überhaupt noch als gesund gelten. Ganze 1.000 Quadratkilometer Wald wurden abgeholzt oder warten auf Notrodung, um die restlichen Bestände noch schützen zu können.

Vernichtung von Baumbeständen

Was das bedeutet, beschreibt Steffen Pohlmann (Name von der Redaktion geändert) - der im Frühjahr noch zehn Hektar Privatwald besaß, verteilt auf Flächen im Thüringer Schiefergebirge und im angrenzenden Frankenwald. Dann schlüpfte der Fichten-Borkenkäfer und setzte seinem Baumbestand ein Ende. Pohlmann blieb nur noch übrig, einen Harvester zu bestellen und das sogenannte "Käferholz" auf einen Schlag mit Verlust zu verkaufen.

Eine Maschine im Wald
Harvester haben Konjunktur im Thüringer Schiefergebirge. Bildrechte: MDR/Jörg Wunderlich

Die Berglandschaft ringsum an der oberen Saale im Grenzgebiet zu Bayern ist nun vielfach kahl, denn die Fichte war hier wie anderswo im Freistaat die bestimmende Baumart. "Bei uns gibt es nur noch Fragmente von Wald. Ein Totalverlust ", konstatiert der Gemeindeangestellte und nebenberufliche Waldbauer aus Blankenstein.

Borkenkäfer frisst im Rekordtempo

Auch im Thüringer Wald setzte sich das Baumsterben dramatisch fort. Egal, ob Staatsforst oder Privatwald, ob am Inselsberg oder am Rennsteig - in Rekordzeit schuf der massiv ausschwärmende Borkenkäfer neue, kahle Tatsachen. Ähnliche Entwicklungen gab es im Thüringer Vogtland, im Eichsfeld oder im Holzland. Überall hier verschwindet die Fichte im Rekordtempo.

Wiederaufforstung ist dringend nötig

Nicht nur der Landesforst, sondern auch die privaten Waldbesitzer sind angehalten, zügig zu handeln und die geschädigten Flächen wieder zu bewalden. Das jedoch ist für alle Betroffenen eine Mammutaufgabe.

Um ihrer Pflicht zur Wiederaufforstung nachzukommen, müssen auch private Waldbesitzer wie Pohlmann investieren. "Ich habe gerade 200 Lärchen gekauft, das Stück zu 1,80 Euro. Will ich einen Hektar nach der Norm bepflanzen, brauche ich dafür aber bis zu 7.000 Setzlinge. Dazu kommt aber auch noch tausendfach Zaunmaterial für den nötigen Schutz vor Wildtieren." Für seine in Bayern liegenden Flächen hat Pohlmann bereits Anträge auf Förderung gestellt.

Im Hintergrund Fichten im Nebel, im Vordergrund abgestorbene Äste und Baumstümpfe
Thüringens Fichtenwälder sterben und verschwinden: kahle Stümpfe und Totholz auch am Bahnhof Rennsteig. Bildrechte: Elna Maria Rackwitz

Forstbaumschulen kommen kaum nach

Der Bedarf an Baumsetzlingen kann derzeit in Thüringen kaum gedeckt werden. In der einzigen staatlichen Forstbaumschule des Freistaates in Breitenworbis herrscht Hochbetrieb. Hier wächst auf über 20 Hektar der Wald der Zukunft. Und dieser soll keinesfalls mehr aus Monokulturen bestehen, sondern bis zu 30 verschiedenen Baumarten enthalten.

Neben Buche, Eiche, Lärche und Weißtanne sind auch bislang exotische Sorten wie die Douglasie oder die Atlaszeder darunter. "Wir gehen immer mit mindestens sechs Arten in die Flächen rein, weil wir diese Plantagenwirtschaft nicht mehr wollen", erklärt Baumschulleiter Nicolas Hartmann das Konzept. Eine breite Mischung könne in Zukunft für die nötige Stabilität des Ökosystems Wald sorgen, wenn einzelne Arten wieder Probleme bekommen sollten.

Ein Mann am Hydranten, dahinter eine freie Ackerfläche und ein Wald
Wasser Marsch für Millionen Weißtannen: Nicolas Hartmann von der Forstbaumschule Breitenworbis. Bildrechte: MDR/Jörg Wunderlich

Die benötigten Mengen an Saatgut sind jedoch enorm und ihre Auswahl muss standortgerecht erfolgen. "Für die 400.000 Buchen, die wir aktuell anziehen, haben wir Saatgut aus der Niederen Tatra verwendet, wo es ebenfalls relativ trocken ist", erklärt Hartmann, "die wachsen jetzt noch ein Jahr und sind 2024 so weit, dass wir sie guten Gewissens in den Wald pflanzen können."

Auch die schnell wachsende Fichte werde in der Forstbaumschule weiterhin produziert, betont der Baumschulchef, denn sie wird bei der Hangsicherung dringend gebraucht. Wenn es nicht in naher Zeit gelingt, die abgerodeten Steilflächen zu bepflanzen, drohen Bodenerosion und Erdrutsche.

Wald der Zukunft wird vielfältig

Wie die Wälder in Thüringen in 30 bis 50 Jahren einmal aussehen werden, bleibt Spekulation. Denn ob und wie sich all diese neu gepflanzten Baumarten entwickeln werden, hängt von vielen komplexen Faktoren ab.

Fest steht, dass das Zeitalter der alles dominierenden Fichtenforste abgelaufen ist. Die aus Nordeuropa und Skandinavien stammende Fichte wurde erst im 19. Jahrhundert zur wichtigsten Forstbaumart in Deutschland. Zuvor dominierten Mischwälder aus Buche, Eiche und Weißtanne die mittleren Berglagen.

Wald, darin eine umhegte Fläche mit verschiedenen jungen Bäumen.
Wald der Zukunft: Wiederaufforstungsfläche vor toten Fichten. Bildrechte: MDR/Jörg Wunderlich

Die starke Vermehrung des Borkenkäfers geschah in den Trockenjahren 2018 bis 2020 und setzte einen unaufhaltsamen Prozess in Gang, der sich auch im regenreicheren 2023 nicht verlangsamt hat.

Holz ist und bleibt aber ein entscheidender Rohstoff, weshalb auch in naher Zukunft weiter Wirtschaftswälder benötigt werden. Und auch der Tourismus in Thüringen ist ohne Wald kaum vorstellbar, ganz zu schweigen von seiner ökologischen Notwendigkeit.

Das Feature Picea: Ein Requiem für die Fichte

Feature von Jörg Wunderlich
Dauer: 52 Minuten

Mit Chris Pichler und Hans-Peter Bögel
Regie: Nikolai von Koslowski
MDR 2023

Jetzt in der ARD Audiothek

Vogelperspektive/Drohnenansicht: Nadelwald von oben, einige abgestorbene Bäume zwischen grünen Bäumen, Perspektive erzeugt Dynamik, direkte Draufsicht auf Bäume in Mitte, Bäume drum herum wirken schräg gestellt 52 min
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Die Bäume sterben, schmerzlich sichtbar im Harz, im Thüringer Wald und überall dort, wo Fichtenforste die Landschaft prägen. Autor Jörg Wunderlich widmet der Fichte einen Abgesang und fragt nach dem Wald von Morgen.

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Anmerkung der Redaktion In einer früheren Version des Artikels hieß es, der Borkenkäfer habe in Thüringen schon 87 Prozent aller Fichten vernichtet. Diese Angabe ging auf eine offenbar falsche Agenturmeldung zurück. Wir haben den Fehler korrigiert.

Quelle: MDR KULTUR / redaktionelle Bearbeitung: op

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 21. Dezember 2023 | 18:05 Uhr

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