Thüringen zum Jahreswechsel Böllerei mit Nebenwirkungen: Debatte um Silvesterfeuerwerk
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29. Dezember 2024, 20:33 Uhr
Verletzungen und Lärmschäden, Feinstaub und Gestank, Geldverschwendung und Müll - ein ganzes Bündel von Begleiterscheinungen trübt die Freude am Silvester-Feuerwerk. Und doch ist es sehr beliebt. Warum ist das so?
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Der Verkauf von Silvesterfeuerwerk läuft - auch in Thüringen. Und auch hier wird es in der Silvesternacht wieder das große Knallen und Zündeln geben. Die Böllerei ist nicht erst seit den Verkaufsverboten in der Pandemie in Verruf geraten. Die Aktion "Brot statt Böller" prangert seit den frühen 80er Jahren den Verschwendungsaspekt an, und inzwischen gibt es heftige Debatten über Umweltbelastung und Feinstaub.
Um 2015 tauchen erste mediale Beiträge auf, 2017 koppeln Umweltschutzverbände ihre Kritik an der Böllerei an Zahlen aus dem Umweltbundesamt (UBA). 4.000 bis 5.000 Tonnen Feinstaub würden bundesweit pro Jahr durch Feuerwerke emittiert, das sei etwa so viel, wie in zwei Monaten vom gesamten Verkehrssektor ausgestoßen würde.
Ein medialer Knallfrosch
Die Debatte zündet - zumindest medial. Ein Feuerwerk aus Pro und Contra knallt durch die Medien. Umweltmediziner betonten die unbestreitbare Gefährlichkeit von Feinstaub, dessen kleine Partikel über die Lunge tief in den Körper eindringen und für diverse lebensverkürzende Krankheiten verantwortlich gemacht werden. Bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter lag damals der EU-Grenzwert (er wurde inzwischen auf 45 verschärft). In der Silvesternacht würden teils mehr als 20-fache Werte gemessen.
Wieviel Feinstaub setzt Feuerwerk frei?
Befürworter der Silvesterknallerei sprachen von einer "Feinstaubhysterie" und warfen dem Umweltbundesamt übertriebene Zahlen vor. 2022 dann konnte das UBA eine gemeinsam mit dem Verband der Pyrotechnischen Industrie erstellte Studie veröffentlichen, die endlich validere Zahlen lieferte. Bis dahin beruhten die Angaben zur Luftqualität zum Teil auf Expertenschätzungen.
Nun jedoch gab es experimentell überprüfte Angaben, die exakte Messwerte beim Abbrennen von Pyrotechnik bezifferten. Es zeigte sich, dass die bisherige Methodik die Emissionen stark überschätzte:
Durch die Änderung mit der neuen Berechnungsmethodik haben sich diese Zahlen etwa halbiert. Das heißt, wir haben - mal ausgenommen die Jahre, in denen Corona-bedingt das Feuerwerk verboten war - so um die 2.050 Tonnen pro Jahr, die durch Feuerwerk freigesetzt werden, davon in etwa 75 Prozent In der Silvesternacht.
Trotz dieser Relativierung: Spätestens seit den pyrotechnischen Übergriffen auf Polizei- und Rettungskräfte in der Silvesternacht 2022/23 rückt ein anderer Aspekt der Böllerei in den Fokus. So sieht es jedenfalls der Leipziger Pyrotechniker und Feuerwerkskünstler Roland Keil: "Silvester machen Amateure Feuerwerk, die zum Teil alkoholisiert sind, die sich zum Teil überhaupt nicht um Sicherheitsaspekte, Abstand, Windrichtung und so weiter kümmern. Was man dann merkt, wenn eben Unfälle passieren, Raketen in irgendwelche Balkone reinpfeifen oder Menschen beschossen werden aus Spaß und so weiter, ohne Bedenken, dass das zum Teil also Waffen sind, die dort verfügbar sind."
Gehörverluste und Branchengewinne
Kein Wunder, dass auch die Gewerkschaft der Polizei sich inzwischen für eine stärkere Beschränkung des Silvesterfeuerwerks ausspricht - wie auch die Bundesärztekammer. Jedes Jahr gibt es statistisch um Silvester etwa 8.000 Verletzungen des Ohres - teils mit bleibenden Schäden. Und jedes Jahr etwa 10.000 sonstige Verletzungen.
Dennoch scheint das Feuerwerk ungebrochen populär. Der Branchenverband der Pyrotechnischen Industrie VPI bilanziert für 2023 einen Umsatz von 180 Millionen Euro - das sind 50 Prozent über den Einnahmen vor der Covid-19-Pandemie. 90 Prozent des Jahresumsatzes werden an den letzten drei Werktagen des Jahres mit dem Verkauf von Silvesterfeuerwerk erwirtschaftet.
Faszination Pyrotechnik
Kulturgeschichtlich hat das Feuerwerk seine Herkunft in China. Der Legende nach soll der Kaiser dort seine Alchemisten beauftragt haben, das Elixier der Unsterblichkeit zu finden. In den Laboren mixten taoistische Mönche allerlei Stoffe miteinander - auch Salpeter, Schwefel und Holzkohle. Das Gemisch ist explosiv - das Schwarzpulver war erfunden.
In eine Bambushülse gestopft und entzündet, entfaltet es seine Sprengkraft, treibt Raketen an, wurde alsbald auch militärisch genutzt, lässt aber auch Drachenfiguren Feuer spucken und erleuchtet den Himmel - spektakulär! Und bis heute faszinierend.
Der Umgang mit Feuer und Pyrotechnik, das ist ein Zauber. Da sind Sie mit einer Urgewalt, mit dem Element Feuer in Verbindung!
Der Kunst-Feuerwerker und Bühnenpyrotechniker Roland Keil aus Leipzig hat seit den 80er Jahren unzählige Feuerwerke präpariert und gezündet - viel "Aah" und "Ooh" geerntet. Damals sah das private Silvesterfeuerwerk viel bescheidener aus als heute, erinnert sich auch Juliane Stückrad:
"Ich kann mich noch an die langen Warteschlangen in meiner Heimatstadt Eisenach erinnern, einmal quer über den Markt bis zum Schreibwarengeschäft rüber, wo es dann Raketen und Knaller gab, zugeteilt, also da war immer schon ein großes Bedürfnis zu knallen und zu böllern und eine Freude daran."
Die Ethnologin mit Arbeitsstelle im Hohenfelden weiß, dass bei vielen Bräuchen das Lärmmachen schon immer eine Rolle spielte - sei es mit Knarren, Knattern, Peitschen oder Salutschüssen. Es ginge in solchen Ritualen des Aberglaubens oftmals darum, die bösen Geister zu vertreiben. Lebensweltlich deutet die Volkskundlerin diese Freude am Lärmmachen zu festlichen Höhepunkten mit einer gewissen Ventilfunktion, "wo man es halt mal richtig krachen lassen kann aber in einem begrenzten Rahmen".
Haustiere und Wildtiere leiden
Zuletzt sind durch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Forderungen nach einem Verbot des privaten Silvesterfeuerwerks erhoben worden. Neben Polizeigewerkschaft und Ärztevertretern sind es vor allem die Tierschützer, die sich dieser Forderung angeschlossen haben.
Beim Nabu in Thüringen setzt man auf Einsicht statt auf Verbote. Naturschutzreferent Marcus Orlamünder zählt zahlreiche Studien auf, in denen die große Belastung des nächtlichen Feuerwerks insbesondere für die Vogelwelt erwiesen wurde.
Der massive Lärm durch die stundenlange Knallerei verschrecke und wecke Wildtiere im Allgemeinen und koste durch Erhöhung der Herzfrequenz, Störung der Ruhezeit oder gar durch Flucht viel Energie, die gerade in der kalten und nahrungsarmen Winterzeit so wertvoll sei. Vor allem Wasservögel sind betroffen - weil über Wasserflächen der Schall besonders weit getragen wird.
Wichtig ist, dass man gerade an den großen Talsperren in Thüringen oder an den Teichen möglichst nicht an den Ufern böllert. Rücksichtnahme ist gut - für Mitmenschen und Mitgeschöpfe. Und vielleicht kann es ja auch dieses Jahr zu Silvester statt Böllerei ein schönes Lagerfeuer mit der Familie sein.
Trotz solcher Apelle wird wohl auch dieses Jahr in Thüringen und Deutschland nicht das letzte sein mit großem und lautem Silvesterfeuerwerk. Aber die Diskussionen darüber werden mit Sicherheit auch lauter werden.
MDR (dr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 29. Dezember 2024 | 19:00 Uhr
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