Nahverkehr Volle Regionalzüge in Thüringen: Starre Fahrpläne bremsen Mobilität
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15. September 2023, 20:47 Uhr
Die Nachfrage nach Regionalzugverbindungen in Thüringen ist nach der Einführung des Deutschlandtickets deutlich gestiegen. Die Auslastung liege aktuell bei 50 bis 60 Prozent über dem Vor-Corona-Niveau, teilte das Verkehrsministerium auf Anfrage mit. An der Fahrplantaktung ändert das trotzdem nichts - zum Missfallen von Fahrgästen sowie der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft.
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Um kurz vor fünf am Nachmittag rollt der Franken-Thüringen-Express am Bahnhof Jena-Paradies ein. Der Bahnsteig steht voll mit wartenden Fahrgästen, denn heute ist der Zug gut zehn Minuten zu spät unterwegs.
Nürnberg-Leipzig ICE oder Regionalzug
Die Verspätung könnte sogar noch mehr werden, weil das Ein- und Aussteigen in dem vollen Zug seine Zeit braucht. Die Verbindung zwischen Nürnberg und Leipzig gehört zu denen, die besonders gefragt sind. Sie führt gleich durch mehrere Bundesländer und kann mit dem Deutschlandticket genutzt werden.
So ist eine Fahrt von Nürnberg nach Leipzig zwar deutlich langwieriger als mit dem ICE, kostet aber auch weniger. Wer spontan mit dem ICE fährt, zahlt für eine einzige Fahrt mehr als 100 Euro, mehr als doppelt so viel wie ein Deutschlandticket für einen Monat.
Mehr Streckenauslastung dank Deutschlandticket
Wie groß die Mitnahmeeffekte durch das Ticket sind, ist allerdings unklar. Denn auch auf kleineren Verbindungen hat die Auslastung der Züge deutlich zugenommen. Das Thüringer Verkehrsministerium gibt etwa für die Strecke Erfurt-Gera an, dass die RB21-Auslastung um 30 Prozent gegenüber dem Vor-Corona-Niveau im Jahr 2019 gestiegen ist.
Eine Steigerung von 60 Prozent macht das Ministerium auf der Strecke Leipzig-Gera-Saalfeld aus. Ähnlich seien die Steigerungsraten auch auf der Saalebahn, wo der Franken-Thüringen-Express fährt. 100 Prozent mehr Auslastung meldet das Ministerium für die Strecke zwischen Gera und Hof.
Hohe Steigerungen gebe es zudem auf größeren Verbindungen wie Gera-Jena-Erfurt-Göttingen und Kassel-Leinefelde-Erfurt. "Wir sehen, dass das Deutschlandticket bewirkt, was es soll. Die Menschen sollen häufiger als bisher den öffentlichen Nahverkehr nutzen", sagt Ministeriumssprecherin Konstanze Gerling-Zedler.
Alte Verkehrsverträge zu starr für plötzlichen Nachfrageschub
Natürlich sei es ein Problem, dass dieser Nachfrageschub sehr kurzfristig gekommen sei. Die Verkehrsverträge, die die Länder mit den Eisenbahnunternehmen geschlossen hätten vor einigen Jahren, seien in der Regel auf zehn bis 15 Jahre angelegt.
"Damals basierten die Planungen auf den Auslastungen, als es noch kein Deutschlandticket gab", erklärt die Sprecherin des Verkehrsministeriums. "Und jetzt fällt es schwer, die Kapazitäten zu erhöhen. Es gibt keine Neufahrzeuge, die so schnell lieferbar wären. Es fehlen Gebrauchtfahrzeuge auf dem Markt."
Fahrgastverbände und Gewerkschaft fordern Plan
Die Argumente kann Olaf Behr, der Landesvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen. "Aber es darf nicht zu lange dauern, da einen Plan zu haben. Wir wollen Fahrgäste ja durch ein gutes Angebot überzeugen."
Aktuell kritisiert der Verband zusammen mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, dem Verkehrsclub Deutschland und dem Fahrgastbeirat Ostthüringen, dass genau dieser Plan fehle. Ein Entwurf für den Thüringer Nahverkehrsplan bis 2027 sei untauglich. Zu viel sei unverbindlich und sehe ein Verharren im aktuellen Zustand vor.
Franken-Thüringen-Express fällt zum Fahrplanwechsel weg
Schwieriger ist die Lage auf der Saalebahn-Verbindung. Hier fährt bisher in jeder halben Stunde eine Regionalbahn, die überall hält, und in jeder anderen halben Stunde ein Regionalexpress, der weniger oft hält, aber dafür schneller unterwegs ist.
Zu diesen Zügen gehört auch der Franken-Thüringen-Express. Der aber fällt zum nächsten Fahrplanwechsel weg. Ausdrücklich als zeitlich begrenztes "Ersatzangebot für regelmäßigen Fernverkehr" sei der geplant gewesen, heißt es in einer Antwort des Ministeriums an den FDP-Landtagsabgeordneten Dirk Bergner.
Weil der Fernverkehr der Deutschen Bahn ab Dezember fünf Zugpaare pro Tag auf der Saalebahn fahren soll, sieht sich das Land ein Stück weit aus der Verantwortung entlassen. Denn Nahverkehrszüge sind subventioniert und vom Freistaat Thüringen und manchmal auch von Nachbarländern bestellt.
Nachteile vor allem für Pendler
Viele Millionen fließen jedes Jahr, damit Busse und Bahnen fahren. Fernverkehrszüge fahren auf eigene Rechnung der Deutschen Bahn oder anderer Anbieter, etwa Flixtrain. Für Pendler auf der Strecke heißt das unterm Strich: Das Angebot wird unregelmäßiger, der Halbstundentakt geht verloren.
Pro Bahn wünscht sich deshalb die Möglichkeit, dass Pendler zumindest in Thüringen die Intercitys nutzen können - mit Nahverkehrstarifen oder dem Deutschlandticket. "Das ist ein geschickter Weg, um den heutigen 30-Minuten-Takt aufrecht zu erhalten", sagt Olaf Behr.
Petition fordert, 30-Minuten-Takt beizubehalten
Doch da wird es kompliziert. Für eine Tarifintegration seien viele "rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen zu beachten", heißt es vom Ministerium. Denn damit würde man ein Stück weit den Fernverkehr subventionieren - und so könnten sich dann auch Anbieter für die Strecke interessieren.
Die Verhandlungen laufen, wobei die Nachbarländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern offenbar kein Interesse an einem solchen Angebot haben, es wäre dann wohl auf Thüringen beschränkt. Doch der 30-Minuten-Takt ist auch wichtig für Unternehmen. Die Jenoptik AG, für die in Jena gut 1.500 Menschen arbeiten, hat sich einer Petition angeschlossen, die Druck machen soll auf die Landesregierung, die günstige Taktung zu erhalten.
Millionenbetrag für größere Züge
Immerhin wäre Sachsen-Anhalt wohl bei einer anderen kleinen Verbesserung mit an Bord. Das Eisenbahnunternehmen Abellio, das viele der Saalebahn-Züge verantwortet, hat drei Talent-3-Züge aufgetan. Die wären ein Stück größer, hätten mehr Sitzplätze als die bisher eingesetzen Talent 2.
Eigentlich hatte der Hersteller die Wagen nach Österreich verkaufen wollen, doch es gab Probleme mit der Zulassung. Die Fahrzeuge wären also schnell verfügbar. "Wenn pro Zug mehr Fahrgäste fahren, würden mehr Sitzplätze pro Zug schon etwas bringen", sagt Pro-Bahn-Chef Behr.
Doch für das bessere Angebot müsste der Freistaat Thüringen wohl einen Millionenbetrag zahlen - und auch die Tarifintegration wäre weder schnell noch umsonst zu haben. Die neuen Züge, so es denn mit ihnen klappt, sollen zum Fahrplanwechsel auf der Strecke eingesetzt werden. Das würde immerhin die Status Quo auf der Strecke halten.
MDR (fra)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 15. September 2023 | 19:00 Uhr
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