Bei einer Razzia gegen sogenannte «Reichsbürger» sitzt ein vermummter Polizist, nach der Durchsuchung eines Hauses, mit dem festgenommenen Heinrich XIII Prinz Reuß (r) in einem Polizeifahrzeug.
Der Prozess gegen mutmaßliche "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß hat am Montag vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart begonnen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Boris Roessler

Stuttgart Prozessbeginn: Wie Reichsbürger "Heimatschutzkompanien" in Thüringen geplant haben sollen

30. April 2024, 06:22 Uhr

Vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart ist der erste von drei Prozessen gegen die mutmaßlichen Verschwörer um Heinrich XIII. Prinz Reuß gestartet. Vor Gericht stehen neun Angeklagte, die von der Bundesanwaltschaft dem militärischen Arm der Gruppe Reuß zugeordnet werden. Sie sollen den Aufbau von sogenannten "Heimatschutzkompanien" geplant haben. Eine der wichtigsten soll es in Thüringen gegeben haben.

Am Anfang stand die nüchterne Zahl 148. Unter dieser Nummer sollte sich die "Heimatschutzkompanien" (HSK) Heberndorf in das geplante militärische Netzwerk der mutmaßlichen Verschwörer um Prinz Reuß eingefügt haben. Was so simpel klingt, war aber nach Ansicht der Ermittler in seiner Organisation weit gediehen.

Die "HSK 148 Heberndorf" soll Personal und eine Struktur gehabt haben, um sich der geplanten Reichsbürger-Verschwörung anzuschließen. So jedenfalls geht es aus internen Akten und Teilen der Anklage hervor, die MDR Investigativ vorliegen.

HSK sollten für Ruhe und Ordnung sorgen

Bereits ab Mitte 2022 sollen Mitglieder des militärischen Arms der Gruppe Reuß in die konkreten Planungen gegangen sein, bundesweit diese sogenannten "Heimatschutzkompanien" aufzubauen. Insgesamt hatten die Planer um Reuß vor, 286 solche HSK in Deutschland zu gründen. Ihr Ziel soll es gewesen sein, im Falle des gewaltsamen Umsturzes in ihren jeweiligen Einsatzregionen die Polizei und auch die örtlichen Ordnungsämter zu entmachten.

Die HSK sollten dann bewaffnet für Ruhe und Ordnung sorgen. Dazu zählte auch, auf den Straßen zu patrouillieren, Gefangene zu transportieren, nach feindlichen Soldaten zu fahnden und die Verwaltungen von unliebsamen Gegnern zu säubern.

Kampf gegen linke Konterrevolutionäre

Bei einem in Stuttgart Angeklagten wurden entsprechende Planungsunterlagen gefunden. Die geheimen Dokumente waren überschrieben mit "Aufgaben der Heimatschutz-Kompanien (HSK)". Die Unterlagen geben einen Einblick in die krude Welt der mutmaßlichen Verschwörer und ihrer Pläne. Da wird von den verschiedenen Phasen des Sturzes der Bundesregierung und der öffentlichen Verwaltung gesprochen.

In einem weiteren geheimen Papier, das als "Konzeptidee" überschrieben ist, werden konkrete Aufgaben der HSK definiert. Zu denen gehörte unter anderem die "Neutralisierung" von "Konterrevolutionären Kräften aus dem linken und islamischen Milieu". Zudem sollten die HSK auch die Aktivitäten von Partisanen unterbinden, die möglicherweise in den Gebieten Widerstand leisten, die dem neuen "Deutschen Reich", wie es sich die Gruppe vorgestellt hatte, angegliedert werden sollten.

HSK Heberndorf als zentrale Einheit

Die 286 "Heimatschutzkompanien" sollten bundesweit aufgebaut werden. Am weitesten waren die mutmaßlichen Verschwörer dabei offenbar in Thüringen gekommen. Die HSK 148 Heberndorf soll neben der HSK 221 Tübingen/Freudenstadt eine der bis dahin zentralsten Einheiten gewesen sein. Zudem hatte sie eine Besonderheit: sie hatte offenbar eine Vorläufer-Gruppe. So soll bereits vor 2022 die "Heimatunterstützung Heberndorf" existiert haben.

Fünf Einsatztrupps aufgestellt

Aus den internen Akten, die MDR Investigativ vorliegen, wird deutlich, dass sie eine klare geografische Zuordnung gehabt haben soll. Der gesamte Verband sah sein Einsatzgebiet in Süd- und Ostthüringen sowie in Nordbayern. So war die HSK 148 offenbar in die fünf sogenannte Sprengel "Trupp 1 Saalfeld", "Trupp 2 Saalburg", "Trupp 3 Lobenstein", "Trupp 4 Naila" und "Trupp 5 Sonneberg" untergliedert.

Nach den bisher sichergestellten Unterlagen soll die gesamte Einheit etwa 25 Mitglieder umfasst haben. Ob diese in einem Ernstfall am "Tag X", also einem möglichen Umsturz-Tag, auch alle bereit für den Kampf gewesen wären, bleibt offen.

Erst im September 2022, also wenige Monate vor dem Auffliegen der gesamten Gruppe Reuß, soll sich die "Heimatunterstützung Heberndorf" der gesamten Verschwörerbewegung angeschlossen haben. Bei einem Treffen in einem Hotel bei Bad Lobenstein wurde sie dann Teil der gesamten Struktur der bundesweiten HSK. Aus diesem Grund wurde sie dann in HSK 148 Heberndorf umbenannt.

Treffen immer am Dienstag

Bei dem Treffen soll den Mitgliedern der Gruppe unter anderem die Lieferung von Uniformen, Fahrzeugen, Funkgeräten und Waffen für den "Tag X" in Aussicht gestellt worden sein. Laut den Ermittlungen sollen die Mitglieder der Einheit sich aber auch selber Waffen und Munition beschafft haben.

Zudem musste jedes Mitglied der HSK 148 eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Die Einheit selber hatte sich laut internen Akten in einem Telegram-Chat mit dem Namen "und weiter geht´s" zusammengeschlossen. Über diesen sollen weite Teile der Kommunikation der Ostthüringer Reichsbürger-Einheit gelaufen sein. Aus den Chats geht hervor, dass sich die Mitglieder dieser Gruppe regelmäßig getroffen haben sollen. Bevorzugter Termin war immer dienstags, 19 Uhr.

Testlauf für den Tag X 

Um sich auf den "Tag X" vorzubereiten, sollte es einen Testlauf mit den HSK in Thüringen und Baden-Württemberg geben. Mit diesem sollte geprüft werden, ob die Kommunikation zwischen dem militärischen Stab der Gruppe Reuß und den HSK funktionierte. Dafür sollten die Kommandeure der Kompanien die Zugangsdaten für eine Datenbank erhalten und entsprechende Daten aller für den Einsatz bereiten Mitglieder übermitteln. Diese Informationen konnten die Ermittler bei der Auswertung entsprechender E-Mail-Accounts finden. 

Weitere "Heimatschutzkompanien" in Sachsen

Von diesen geplanten 286 "Heimatschutzkompanien" sind offenbar nur wenige wirklich in irgendeiner Form gegründet worden. Bei den Ermittlungen fand das Bundeskriminalamt Hinweise auf 17 HSK. Darunter waren auch die HSK 137 "Mittelsachsen" und die HSK 139 "LG Erzgebirgskreis". Weitere "Heimatschutzkompanien" sollen in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen existiert haben. In Sachsen-Anhalt war auch eine geplant gewesen, aber deren Aufbau wurde durch die Razzia am 7. Dezember 2022 durchkreuzt.

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MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 29. April 2024 | 19:00 Uhr

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