Eisenbahn "Ich könnte immer weinen, wenn ich hier bin": Wie das alte Bahnwerk in Saalfeld wiederbelebt wird
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23. August 2024, 12:08 Uhr
Seit es sie gibt, faszinieren Eisenbahnen und ihre Technik Groß und Klein. Torsten Scheidig aus Rudolstadt kam durch einen verrückten Zufall zum eigenen Bahnwerk in Saalfeld und kann nun die große Technik jeden Tag aus der Nähe betrachten.
- Das Saalfelder Bahnwerk hat eine mehr als 100-jährige Geschichte.
- Rainer Albrecht und Torsten Scheidig hauchen dem Bahnwerk neues Leben ein.
- Nun ist gibt es in Saalfeld eine Werkstatt für Lokomotiven.
Langsam rollt die große Diesellok auf die Drehscheibe vor dem Saalfelder Bahnwerk. Aufmerksam beobachtet von Rainer Albrecht, der die tonnenschwere Lok in die richtige Position drehen muss, bevor sie in eine der 24 Arbeitsstationen einfahren kann.
Albrecht erzählt, schon mit 14 Jahren sei er hierher gekommen, um zu fotografieren. Er kennt das alte Bahnwerk wie seine Westentasche. Umso mehr hat ihn das Aus im Jahr 2015 getroffen, als die Deutsche Bahn das Werk stillgelegt hat. Damit wollte er sich nicht abfinden.
Mehr als 100 Jahre Bahnwerk-Geschichte
Schon 1871 baute die Bahn den ersten Lokschuppen in Saalfeld. Mehrfach wurde er erweitert. Auch die Drehscheibe wurde im Laufe der Jahrzehnte mehrfach umgebaut, um auch größere Lokomotiven aufnehmen zu können. Zeitweise arbeiteten bis zu 400 Eisenbahner in dem Werk.
Ich habe wortwörtlich zu ihm gesagt: Rainer, Du hast einen Vogel, Du spinnst.
Noch Mitte der 1980er-Jahre waren hier Dampflokomotiven stationiert. Rainer Albrecht hat die Geschichte des Bahnwerks seit 1964 in unzähligen Fotos festgehalten. Rund 800.000 Foto-Negative sind es nach seinen Worten, von denen er bisher gerade mal zehn Prozent digitalisiert hat.
Konzept für Bahnwerk überzeugt Stadtrat
Albrecht ist es auch zu verdanken, dass das Bahnwerk nun wieder eine Zukunft hat. Zwischenzeitlich hatte die Stadt die knapp 15.000 Quadratmeter große Fläche von der Bahn gekauft. Konkrete Pläne gab es nicht. Rainer Albrecht traf durch Zufall seinen früheren Auszubildenden Torsten Scheidig wieder, der ebenfalls in Saalfeld arbeitete.
Ich könnte immer weinen, wenn ich hier bin.
Scheidig erinnert sich noch gut an einen Anruf von Albrecht Ende 2017. "Kurz vor dem Nikolaustag meldete er sich", erzählt Scheidig. "Ich habe da was für Dich, sagte er, und dass ich unbedingt die Deutsche Bahn anrufen solle." Scheidig muss lachen, als er an seine erste Reaktion denkt: "Ich habe wortwörtlich zu ihm gesagt: Rainer, Du hast einen Vogel, Du spinnst."
Doch das Interesse war geweckt und die beiden begannen konkrete Pläne für das Bahnwerk zu entwickeln. Nach vielen Gesprächen auch mit anderen Bahnunternehmen stellten Scheidig und Albrecht ihr Konzept dem Saalfelder Stadtrat vor und warfen damit andere Bewerber aus dem Rennen.
Keiner der Konkurrenten hatte einen Neustart als Reparaturbetrieb für Bahntechnik im Sinn. Auf welchen Marathon er sich eingelassen hatte, war Scheidig zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. "Sie müssen so viele Dokumente beibringen", sagt der Jung-Eisenbahner. Anträge stellen bei den Eisenbahn-Aufsichtsbehörden - das dauere.
Bahnwerk-Umbau kostet Millionen
Außerdem gründete Scheidig zwei Unternehmen. Eines für das eigentliche Bahnwerk als Reparaturbetrieb. Das andere als Eisenbahn-Verkehrsunternehmen als Schnittstelle zur Infrastruktur der Deutschen Bahn. Dafür holte er sich Frank Rosendahl mit ins Boot, der als Betriebsleiter für den korrekten Ablauf beim Transport der Loks und Wagen verantwortlich ist. Ohne ihn wäre der Neustart rechtlich nicht möglich gewesen, sagt Scheidig.
Als erstes Projekt brachten die Bahn-Enthusiasten die alte Drehscheibe wieder zum Laufen. Mit der Fahrt einer Diesellok feierten sie im Juni 2022 den 125. Geburtstag des Ringlokschuppens. Wenige Wochen später ging das Bahnwerk dann offiziell ins Eigentum der neuen Eisenbahner über.
Stück für Stück wollen Scheidig und seine Mitstreiter das Gelände jetzt entwickeln. Die Kosten sollen aus Ersparnissen, Krediten und Fördermitteln bezahlt werden. Siebenstellig dürfte die Summe sein, sagt Scheidig. Allein vier Millionen plant er für den Umbau der langen Halle mit Platz für Waggons und einer Anlage für Eisenbahn-Räder.
Auch in das frühere Verwaltungs- und Sozialgebäude soll wieder Leben einkehren. Das ist laut Scheidig allerdings Zukunftsmusik. Priorität genieße erst einmal der Ringlokschuppen als Werkstatt für Lokomotiven. Hier sollen einmal eigene Mitarbeiter Bahntechnik reparieren und warten. Außerdem vermieten die Saalfelder schon jetzt die Arbeitsflächen an andere Bahnunternehmen. Vier sind es zurzeit, die ihre Lokomotiven auf Vordermann bringen.
Elf Jahre war ich dran, das Bahnwerk zu retten. Schön, dass es geklappt hat.
Die Salzburger Eisenbahn-Transportgesellschaft (SETG) hat im Ringlokschuppen sogar einen eigenen Stützpunkt eingerichtet. "Die Salzburger sind dank des Borkenkäfers hier", sagt Scheidig. "Saalfeld ist ein großer Umschlagplatz für Holz geworden." Drei Lokomotiven der SETG stehen aktuell im Bahnwerk. Eine Baureihe 211 absolviert hinter Tor 1 ihre Hauptuntersuchung. Dafür wird die Lok nahezu komplett zerlegt. Heute bauen die Arbeiter eine neue Kardanwelle ein. Bald kommt auch der Motor zurück nach Saalfeld.
Bahnwerk-Rettung mit Erfolg
Torsten Scheidig hat seine Entscheidung nicht bereut. Auch, wenn er jetzt neben seiner Haupttätigkeit zusätzlich ein eigenes Unternehmen führen muss, macht ihm die Arbeit im Bahnwerk Spaß. Auch Rainer Albrecht ist täglich auf dem Gelände anzutreffen. "Ich könnte immer weinen, wenn ich hier bin", sagt Albrecht. "Elf Jahre war ich dran, das Bahnwerk zu retten. Schön, dass es geklappt hat." Und schon ist er wieder mit der Kamera in Richtung Gleise unterwegs - immer auf der Suche nach einem schönen Motiv.
MDR (adr/cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 31. August 2024 | 19:00 Uhr
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