Bundesfreiwilligendienst Herbstlaub und Barockmusik: Mit 61 Jahren Bufdi in der Villa
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19. November 2024, 19:13 Uhr
Rund 500.000 Menschen haben seit 2011 einen Bundesfreiwilligendienst absolviert - den Nachfolger des Zivildienstes. Meist helfen sie in Kindergärten und Museen, aber auch bei Rettungsdiensten oder in Sportvereinen. Eine Aufgabe nicht nur für Jüngere.
Lutz Görting hat alle Hände voll zu tun auf dem Grundstück der Villa Novalis in Hirschberg. Der Herbstwind hat jede Menge Laub quer über das weitläufige Gelände verteilt. Doch die Gäste beim Barockkonzert sollen davon möglichst nichts mehr sehen. "Sie sehen ja, was das hier für ein Riesenobjekt ist", sagt Görting. "Mehrere Hektar. Das muss alles in Ordnung gehalten werden."
Seit Oktober 2023 ist Lutz Görting in der Villa Novalis. Er leistet hier einen Bundesfreiwilligendienst ab. Mit 61 Jahren eher ungewöhnlich. Doch er hat sich bewusst dafür entschieden. Der Kontakt zur Eigentümerfamilie kam durch Zufall zustande. "Wir haben uns bei einer Veranstaltung kennengelernt", erzählt Görting. "Dabei haben wir festgestellt, dass wir alle Musik machen." Rund 40 Jahre ist Görting musikalisch unterwegs, spielt selbst Gitarre und Keyboard auf Veranstaltungen.
Die Familie Schwab und Görting waren sich auf Anhieb sympathisch. "Ich war damals gerade arbeitslos und wusste gar nicht, dass es so etwas gibt wie den Bundesfreiwilligendienst", erzählt er. "Ich habe Jürgen Schwab gefragt, ob ich hier helfen kann." Bufdis sind in der Villa schon länger im Einsatz. Aktuell ist Görting einer von drei. Sie kommen auch aus dem Ausland, etwa aus Indien oder Venezuela.
Ersatz für den Zivildienst
Das ist eine der Besonderheiten des Bundesfreiwilligendienstes, der 2011 als Ersatz für den Zivildienst aus der Taufe gehoben wurde. Seitdem haben schon rund 500.000 Menschen in ganz Deutschland den meist zwölfmonatigen Dienst absolviert. In Thüringen sind es in diesem Jahr etwa 35.000 Jüngere und Ältere. Denn anders als beim Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) gibt es keine Altersbegrenzung nach oben. Mindestens 16 Jahre müssen die Teilnehmer sein und die Schule abgeschlossen haben.
Die Bufdis helfen in Kindergärten und Pflegeeinrichtungen, aber auch in Museen, Sportvereinen oder bei Rettungsdiensten. Meist sind es praktische Hilfstätigkeiten. Zwischen sechs und 24 Monaten dauert der Dienst. Dafür erhalten die Freiwilligen ein Taschengeld von bis zu 604 Euro im Monat, außerdem führen die Träger Beiträge in die Sozialversicherung ab. Wichtig: Die Einsatzstellen müssen für die Tätigkeit anerkannt sein. Anträge dafür müssen die Träger an das Bundesamt für Familie stellen.
Jüngere und ältere Bufdis
Dabei eignet sich der Bundesfreiwilligendienst für viele Menschen, etwa zum Kennenlernen von Berufen, zum Überbrücken einer Wartezeit vor der Ausbildung oder einfach, um sich für die Gesellschaft zu engagieren.
Die Freiwilligen sind während ihrer Dienstzeit nicht nur praktisch tätig. Sie absolvieren auch verschiedene Seminare. Diese sollen soziale, ökologische und interkulturelle Kompetenzen vermitteln und das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl stärken. Für jüngere und ältere Bufdis gibt es unterschiedliche Seminarangebote.
Im Schnitt seien die Teilnehmer im Seminar älter als 50 Jahre gewesen, sagt Lutz Görting. Insgesamt machen die über 27-Jährigen ein Fünftel der Freiwilligen aus. Etwas mehr als ein Prozent ist bereits über 66 Jahre alt. Der Großteil der Bufdis leistet seinen Dienst also noch in jungen Jahren ab.
Gelernter Heizungsbauer
Für die Familie Schwab in der Villa Novalis sind Bufdis wie Lutz Görting ein Glücksgriff. "Wir selbst sind ja hauptsächlich Musiker", sagt Pascal Schwab. "Da ist es natürlich großartig, wenn Menschen mit anderen Erfahrungen hier mit anpacken." Lutz Görting kann als gelernter Heizungsbauer bei der Arbeit auf sein handwerkliches Geschick zurückgreifen. "Es müssen im Haus ja ständig irgendwelche kleinen Sachen repariert werden", sagt er.
2015 kaufte die Familie Schwab das Gebäude und begann, die frühere Villa des Lederfabrikanten Knoch zu sanieren. Der jahrelange Leerstand des dreigeschossigen Hauses, das jahrzehntelang wenige Meter von der DDR-Staatsgrenze entfernt stand und als Kindergarten diente, war in einem denkbar schlechten Zustand. Inzwischen wohnt die Eigentümerfamilie im Haus. Das Erdgeschoss ist den Konzerten, Vorträgen und anderen Veranstaltungen vorbehalten.
Barockkonzert bei Kerzenschein
Am Nachmittag muss Lutz Görting in den beiden Konzerträumen Stühle aufstellen. Rund 30 Gäste haben sich angekündigt zum Barockkonzert bei Kerzenschein. Tenor Jan Kobow hat einen schon lange geplanten Auftritt. Cornelia Schwab wird ihn auf dem Cembalo begleiten.
Kurz vor vier kann Lutz Görting die Kerzen an den Leuchtern anzünden. Dann setzt auch er sich zu den Gästen. "Ich bin selbst nicht der größte Fan von klassischer Musik", sagt er. "Aber ich weiß, wie schwer es die Klassik hier im ländlichen Raum hat."
Bis Ende des Jahres wird Göring noch in der Villa Novalis in Hirschberg arbeiten. Mit etwas Glück kann er danach eine neue Arbeit als Hausmeister beginnen.
MDR (adr/sar)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 19. November 2024 | 19:00 Uhr
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