Untreue-Verdacht Ermittlungen gegen Thüringer Ex-Justiz-Beamten

03. September 2020, 19:00 Uhr

Ein ehemaliger Beamter des Oberlandesgerichts Jena steht unter dem Verdacht der Untreue und Vorteilsnahme. Seit einem Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft Gera in einem geheimen und hochkomplexen Verfahren gegen ihn. Er und drei Geschäftsleute stehen im Verdacht, den Freistaat betrogen zu haben. Es geht um offenbar manipulierte Aufträge im Wert von knapp 830.000 Euro.

Fußball ist Werner Z.s (Name geändert) Leben. Seit 30 Jahren lebt er für diesen Sport. Sei es als ehemaliger Jugendtrainer beim FC Carl Zeiss Jena oder als Funktionär im Ostthüringer und im Thüringer Fußballverband. Irgendwo dort, zwischen Ballrasen und Torgestänge, sollen sich die Wege von Werner Z. und dem talentierten Nachwuchsfußballer Martin S. (Name geändert) gekreuzt haben. Wenn man den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gera Glauben schenken darf, dann sollen diese beiden Männer den Kern einer Geschäftsbeziehung aufgebaut haben, die für den Ruf der Thüringer Justiz Folgen haben könnte.

Im Mai vergangenen Jahres wird der hochrangige Beamte Werner Z. nach langen Jahren seines Dienstes am Oberlandesgericht (OLG) Jena vom damaligen Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) in den Ruhestand verabschiedet. Dort war er unter anderem maßgeblich für Personalangelegenheiten, Haushalt, Beschaffung oder das Gesundheitsmanagement in der Thüringer Justiz zuständig. In dieser Funktion hatte er auch die Aufsicht über eine ganze Reihe von Ausschreibungen, Beschaffungen und Auftragsvergaben an externe Firmen.

Geheimes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft

Während Z. sich also in den Ruhestand begab, prüfte die Hausleitung des OLG, welche von Werner Z. vergebenen Aufträge noch liefen. Dabei ergaben sich plötzlich mehr Fragen als Antworten. Hochrangige Beamte des OLG Jena begannen mit einer internen Prüfung aller Aufträge, die Z. seit 2012 vergeben hatte, und schlugen Alarm.

Das, was sie gefunden hatten, veranlasste Präsidentin Astrid Baumann zu einer Strafanzeige wegen des Verdachts der Untreue bei der Generalstaatsanwaltschaft Jena. Die erkannte schnell die Brisanz des Falles. Unter enormer Geheimhaltung wurde die Staatsanwaltschaft Gera mit den Ermittlungen betraut.

Am 1. Oktober 2019 durchsuchten Korruptionsfahnder des Thüringer Landeskriminalamtes acht Wohnungen und Büros, darunter auch das Haus von Werner Z.. Die Beamten stellten knapp 200 Beweise sicher, darunter Terabyte an Daten. Bei den inzwischen angelaufenen Finanzermittlungen wurden rund 70 Konten entdeckt, über die vor allem Werner Z. Geldtransaktionen abgewickelt haben soll. Das geht aus internen Dokumenten hervor, die MDR THÜRINGEN vorliegen. 

Firmen von Bekannten mit Aufträgen versorgt?

Im Kern haben die Ermittler die Geschäftsbeziehungen zwischen Werner Z., Martin S. und zwei weiteren Geschäftsleuten unter die Lupe genommen. In allen Fällen geht es um Aufträge, die Werner Z. im Namen des OLG Jena an Firmen vergeben hatte, die diesen Geschäftsleuten gehörten.

Da ist beispielsweise die Service-Firma von Z.s altem Bekannten Martin S.. Sie hatte von ihm, im Namen des OLG, Aufträge für die Rekrutierung von Studenten der Uni Jena als Hilfskräfte unter anderem für die Justizzahlstelle Gera bekommen. Seit Jahren soll die Firma von Martin S. diese Aufträge von Z. erhalten haben. Zu welchen Konditionen, Preisen und ob rechtmäßig, ist Teil des komplexen Ermittlungsverfahrens.

Gesundheitskurse für Justizbeamte

Ein weiterer Fall könnte Brisanz haben, weil es um ein Vorzeigeprojekt der Thüringer Justiz geht: das Gesundheitsmanagement für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Auch hier im Boot wieder Martin S.. Diesmal mit einer anderen Firma, deren Geschäftsführer er auch ist. 2013 soll diese Firma beauftragt worden sein, Gesundheitskurse anzubieten. Die Rückenschule für den gestressten Gerichtsbeamten oder Fitnesskurse für die Justizsekretärin. Über Jahre soll auch in diesem Fall das Geschäftsverhältnis gelaufen sein.

Einer von S. Geschäftspartnern ist Matthias H. (Name geändert). Auch seine Firma hatte Aufträge im Rahmen des Gesundheitsmanagements von Werner Z. erhalten. 2017 wurden im Zuge der Einführung der elektronischen Akte Arbeitspsychologen in der Justiz eingestellt. Bereitgestellt wurden sie von der Firma von Matthias H.. Der bestätigte MDR THÜRINGEN, dass er von Z. angesprochen worden sei und den Auftrag bekommen habe.

Kontrolle im OLG offenbar versagt

Laut den internen Unterlagen, die MDR THÜRINGEN vorliegen, waren die Geschäfte für die Unternehmer offenbar lukrativ. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass Z. an deren Firmen in den vergangenen Jahren Aufträge im Wert von 826.000 Euro vergeben hatte. Dabei sollen sämtliche Kontrollmechanismen ausgehebelt worden sein. Das OLG Jena teilte MDR THÜRINGEN dazu mit, dass man sich zu dem Fall nicht äußern werde.

Aber aus Justizkreisen wurde bestätigt, dass bei den Prüfungen im vergangen Sommer eklatante Fehler gefunden worden sein sollen. So soll es bei einer ganzen Reihe von Auftragsvergaben kein Vier-Augen-Prinzip gegeben haben. Auch die Dokumentation über Auswahl von Vertragspartnern oder Bewerbern um Aufträge soll mehr als mangelhaft gewesen sein.

Ermittler prüfen Korruptionsverdacht

Doch der Verdacht gegen die vier Beschuldigten soll sich in den vergangenen Monaten auch auf mögliche Korruption und Vorteilsnahme ausgedehnt haben. Denn bei ihren Ermittlungen haben die LKA-Fahnder Hinweise gefunden, dass Z. vor allem von Martin S. Gegenleistungen in Form von Bargeld oder anderen Gefälligkeiten erhalten haben soll. Zudem soll Z. selber geringe Geldbeträge an S. gezahlt haben, die dann aber über mutmaßlich verschleierte Transaktionen wieder zu ihm zurückgeflossen sein sollen. Das könnte mit einem anderen Problem zusammenhängen, das Z. offenbar hat.

Vor einem gelb gestrichenen Haus steht ein großes Schild mit der Aufschrift Justizzentrum Gera. Unter diesem Schriftzug befindet sich ein Lageplan des Gebäudekomplexes
Unter großer Geheimhaltung wurde die Staatsanwaltschaft Gera mit den Ermittlungen betraut. Bildrechte: MDR/Dirk Reinhardt

Bei den Ermittlungen entdeckten die Fahnder, dass bei ihm scheinbar seit Jahren Schulden aufgelaufen sind. Bei mehreren Banken soll es um Darlehen von einigen Hunderttausend Euro gehen. Bei seinem Freund Martin S. soll er zum Zeitpunkt der Durchsuchung mit rund 20.000 Euro in der Kreide gestanden haben.

Noch im Mai dieses Jahres seien Teile seines Lohns gepfändet worden, heißt es in internen Dokumenten. Das wäre aus Sicht der Ermittler ein Motiv von Z. gewesen, die Unternehmen seiner Bekannten mutmaßlich mit lukrativen Aufträgen zu versorgen - bezahlt aus der Staatskasse. Möglicherweise hat er selber durch geheime Rückzahlungen seiner Partner von den Auftragsvergaben profitiert.

Keine Stellungnahme zu den Vorwürfen

MDR THÜRINGEN hat Werner Z. über seinen Jenaer Anwalt Peter Tuppat zu den Vorwürfen angefragt. Tuppat sagte: "Namens meines Mandanten möchte ich Ihnen mitteilen, dass Ihre Fragen nicht beantwortet werden beziehungsweise zu den darin enthaltenen Vorwürfen keine Stellungnahme abgegeben wird."

MDR THÜRINGEN hat auch Martin S. angefragt, der sich aber ebenfalls nicht äußern will. Geschäftsmann Matthias H. ist gesprächiger. Er bestätigte MDR THÜRINGEN, dass bei ihm im Oktober durchsucht worden ist. Zu den Vorwürfen gegen ihn sagte H., dass sie frei erfunden seien. 

Fragen an ehemaligen OLG-Präsidenten

Seit die ersten Verdachtsmomente gegen Werner Z. auftauchten, wurde der Fall als streng geheime Kommandosache in der Thüringer Justiz behandelt. Eine Handvoll Beamte waren eingeweiht. Zu groß ist die Sorge vor einem handfesten Skandal. Denn das mutmaßliche Agieren von Z. stellt vor allem die Kontrolle durch die Hausleitung des OLG Jena infrage. Wer hat ihm eigentlich auf die Finger geschaut?

Fragen, die auch auf den früheren OLG-Präsidenten Stefan Kaufmann zukommen könnten, der lange Jahre der Chef von Z. war. MDR THÜRINGEN hatte Kaufmann zu seinem ehemaligen Mitarbeiter und den Vorgängen von damals angefragt. Doch der jetzige Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtshofs ließ über eine Sprecherin ausrichten, dass er sich nicht äußern werde.

Die Staatsanwaltschaft Gera selber gibt sich auf Anfrage zugeknöpft und bestätigt lediglich das Verfahren. Das Thüringer Justizministerium ist zurückhaltend. Auf eine Anfrage heißt es, dass das Verfahren gegen den ehemaligen Beamten seit Oktober vergangenen Jahres bekannt sei. Das Ministerium nehme den Vorfall zum Anlass, "den Geschäfts- und Verwaltungsablauf bei Ausschreibungen und Auftragsvergaben in Abstimmung mit den jeweiligen Behörden und Gerichten zu überprüfen".

Quelle: MDR

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 03. September 2020 | 19:00 Uhr

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