Folgen von Rassismus Jena: Junge Gemeinde Stadtmitte erinnert an Opfer des NSU
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09. Juni 2020, 17:19 Uhr
"Rassismus ist etwas Schreckliches", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor wenigen Tagen, befragt zum gewaltsamen Tod von George Floyd. Der 46-jährige Afroamerikaner war im US-Staat Minnesota bei einem Polizeieinsatz tödlich verletzt worden. Weiter sagte Merkel: "Rassismus hat es immer gegeben. Und jetzt kehren wir vor unserer eigenen Haustür." Die Junge Gemeinde Stadtmitte kehrt seit Jahren vor der Jenaer Haustür. Am Dienstag will sie an Folgen von Rassismus in Deutschland erinnern.
Polizei übersah rassistische Tatmotive
Rückschau: Am 9. Juni 2005 wird İsmail Yaşar in seinem Imbiss-Geschäft in der Nürnberger Scharrerstraße durch fünf Pistolenschüsse in Oberkörper und Kopf getötet. Der 50-Jährige stammte aus dem kurdischen Teil der Türkei und hinterließ einen Sohn. Genau ein Jahr zuvor, am 9. Juni 2004, detonierte in der Kölner Keupstraße eine ferngezündete Nagelbombe. 22 Menschen werden verletzt, vier davon schwer. In der Keupstraße haben viele türkischstämmige Geschäftsleute ihre Läden.
Ausländerfeindliche oder rassistische Motive für die Gewaltverbrechen sahen die Ermittlungsbehörden anfänglich nicht. Im Falle İsmail Yaşars spekulierte die Polizei über eine Verbindung zu türkischen Drogenhändlern. Das Nagelbombenattentat wurde von den Ermittlern ebenfalls mit organisierter Kriminalität oder der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Zusammenhang gebracht.
Mahnwache zum Gedenken am Dienstag in Jena
Mit einer Mahnwache am Dienstagnachmittag will die Junge Gemeinde Stadtmitte in Jena an den mittlerweile 15 Jahre zurückliegenden Mord an İsmail Yaşar und den Kölner Nagelbombenanschlag vor 16 Jahren erinnern. "Wir brauchen ein kontinuierliches Gedenken und fordern weitere Aufklärung", erklärt Konrad Erben die Motivation für die Veranstaltung.
Der Rassismus aber bleibt.
"Die zugrundeliegenden Ursache für die Gewalt des NSU war Rassismus. Und den gibt es heute noch genauso. Die Massenproteste wegen des Todes von George Floyd in Minneapolis bekommen derzeit große Aufmerksamkeit und werden von starkem Aktivismus getragen. Aber das wird auch wieder abebben. Der Rassismus aber bleibt." Nicht nur bei den Tätern, sondern in der Gesellschaft und bei staatlichen Institutionen.
"Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe kamen aus Jena und haben damals eine eine Stadtgesellschaft vorgefunden, der es egal war, was sie taten", so Erben weiter. Auch die Ermittlungen seien rassistisch geprägt gewesen, selbst im Falle der deutschen Polizistin Michele Kiesewetter, die im April 2007 in Heilbronn vom NSU erschossen worden war. Konrad Erben: "Die Ermittler nahmen am Anfang unter anderem Sinti und Roma in der Nähe als Verdächtige ins Visier."
NSU-Prozess lässt Fragen ungeklärt
Der fünfjährige NSU-Prozess habe mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben. So sei die Bundesanwaltschaft vorschnell von einem Trio und einer Handvoll neonazistischer Helfer ausgegangen. Konrad Erben geht wie viele Prozessbeobachter aber von einem Netzwerk an Unterstützern aus. Auch die Rolle der Verfassungsschutz-Behörden sei nicht ausreichend ausermittelt worden.
Menschliche "Hindernisse" gegen das Vergessen
"Jena will sich in den nächsten Jahren weiter mit dem NSU auseinandersetzen. Sie ist eine Stadt der Täter und eine ehrliche Auseinandersetzung suchen. Das darf nicht der reinen Imagepflege dienen", warnt Erben. Bei der Gedenkveranstaltung in der Johannisstraße wollen sich die Teilnehmenden den Passanten passiv in den Weg stellen. Damit verstehen sie sich - im Wortsinne - als "Hindernis" gegen das Vergessen.
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 09. Juni 2020 | 11:30 Uhr