Parklets Durchwachsenes Zeugnis für Jenaer Sitzbank-Experiment
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29. Juli 2023, 06:00 Uhr
In Jenaer Zentrum wird seit mehreren Wochen über neue Sitzgelegenheiten diskutiert. Die Stadt testet dort derzeit sogenannte Parklets. Anwohner sind unentschlossen, was sie vom neuen Stadtmobiliar halten sollen. Ein Stimmungsbild.
- Die Stadt Jena experimentiert mit Parklets - im Damenviertel sorgt das für gemischte Gefühle.
- Bei Stadtmöbeln geht es um die Frage, wie der öffentliche Raum genutzt wird.
- In Jena könnte es künftig mehr Parklets geben.
Im Jenaer Damenviertel ist man sich uneinig. Während die einen ihre Parkmöglichkeiten schwinden sehen und die Kosten kritisieren, freuen sich andere über zusätzliche Sitzmöglichkeiten und mehr Grün im Viertel. Die neuen "Parklets" polarisieren - nicht nur in der Stadtpolitik, sondern auch bei den Anliegern.
Parklets - das sind, wie die Stadt auf ihrer Internetseite schreibt, begrünte Stadtmöbel. Zwei von diesen experimentellen Sitzmöglichkeiten schmücken seit Mai dieses Jahres das Jenaer Zentrum. Vorübergehend, denn noch ist es nur ein Vergnügen auf Zeit - für die einen mehr, für die anderen weniger. Die Stadt will bis Oktober testen, ob und wie die Sitzbank-Konstruktionen angenommen werden. Erst dann wird über einen möglichen Kauf entschieden.
Umstrittenes Experiment
Eines der beiden Parklets steht in der Sophienstraße vor Schäfers Bäckerei - mitten im Jenaer Damenviertel. Von dort aus hat man einen guten Blick auf die Sitzbänke und kann sehen, ob das neue Angebot tatsächlich genutzt wird. Wir betreten die Bäckerei und fragen nach Meinungen zum Parklet, was unmittelbar eine Diskussion über Für und Wider auslöst.
Maximilian Liebmann, der als Aushilfe in der Bäckerei arbeitet, findet die neuen Sitzgelegenheiten gut. "Das wird benutzt von Leuten", schildert er seinen Eindruck. Zwar nehme die Konstruktion auch Parkplätze weg, dafür gebe es im Wohnviertel jetzt eben mehr Sitzplätze und die Stadt werde weniger durch Autos dominiert. "Es sieht schön aus, es macht das alles ein bisschen netter - ich finde es nicht schlimm, ich finde es sehr schön", urteilt er.
Ich würde es eher in die Stadt reinsetzen.
Mit eher gemischten Gefühlen blickt seine Kollegin Heike auf die Situation. Auch ihr gefalle der Grundgedanke und die Optik der Sitzbank - sie passe aber ihrer Meinung nach nicht an diese Stelle. Auch Parkplätze seien dadurch besetzt. "Ich würde es eher in die Stadt reinsetzen", sagt sie. Zudem habe sie gehört, dass die Miete ganz schön teuer sei.
Gemischte Gefühle bei Anwohnern
So gespalten die Meinungen in der Bäckerei sind, so sind sie es auch bei den Anwohnern. Eine ältere Dame, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnt, meint: "Es passt nicht hierher. (...) Ich habe noch nicht gesehen, dass sich da jemand groß hinsetzt", sagt sie und ergänzt: "An anderen Stellen vielleicht eher." Als Beispiel nennt sie das Jenaer Südviertel: "Die haben eigentlich gar nichts da oben."
Ein junger Mann meint dagegen: "Das ist ja auch nicht wirklich viel Parkplatz, was es da einnimmt. Die zwei, die da vielleicht noch wären, sind halt auch direkt hinter der Kreuzung - das ist jetzt nicht schlimm, wenn das fehlt, finde ich." Ansonsten sei es bestimmt "cool" für Leute, die beim Bäcker etwas essen oder einfach kurz entspannen wollen.
Dass diese Einschätzung gar nicht so verkehrt ist, bestätigt eine junge Mutter mit Kind, die sich soeben auf dem Parklet niedergelassen hat. Maria heißt sie und ist der neuen Anschaffung gegenüber eigentlich eher skeptisch eingestellt: "Prinzipiell finde ich es nicht so toll, weil es die Parkplätze wegnimmt", meint sie. Als Autofahrer sei es im Damenviertel ohnehin schon schwierig, einen Stellplatz für sein Fahrzeug zu finden: "Daher bin ich eigentlich eher dagegen."
Dann fügt sie aber auch an: "Mein Kind wollte gerade schnell das Eis essen, nachdem wir es gekauft haben und Parkbänke gibt es hier halt auch sehr wenige. Deswegen war es dann doch eigentlich ganz schön, dass es gerade hier stand und wir uns hinsetzen konnten."
Von daher finde ich es eigentlich cool, dass ein Raum, der normalerweise für ein parkendes Auto da wäre, eben eher für parkende Menschen da ist.
Während die Parkplatz-Situation in Gesprächen mit Anwohnern immer wieder als Contra-Argument angeführt wird, ist es für einen anderen jungen Mann genau der Punkt, der für die Parklets spricht: "Ich finde die Teile cool, weil sie mehr Grün in die Straße bringen. Es ist einfach noch eine Sitzgelegenheit extra", sagt er.
Zwar seien die weiß-roten Signalstreifen nicht sonderlich hübsch, er befürworte aber grundsätzlich autoärmere Innenstädte. "Von daher finde ich es eigentlich cool, dass ein Raum, der normalerweise für ein parkendes Auto da wäre, eben eher für parkende Menschen da ist."
Kampf um den öffentlichem Raum
Dass Parkplätze für Autos zugunsten anderer Verkehrsteilnehmer wegfallen, ist eine Frage der Nutzung des öffentlichen Raums. Die Parklets sind eine von vielen möglichen Antworten darauf. Das bestätigt auch Jenas Stadtentwicklungsdezernent Christian Gerlitz (SPD): "Die Idee bei den Parklets ist es, öffentlichen Raum für andere Funktionen zu nutzen. Wenn man sich die Innenstädte heute anschaut, ist es schon bezeichnend, welch hohen Anteil da der ruhende Verkehr hat."
Das ist ein bedauerlicher Nebeneffekt, dass Stellplätze verloren gehen.
Das sei grundsätzlich nichts Anstößiges, schließlich müsse der ja auch irgendwo seinen Platz finden. Aber laut Gerlitz geht es eben um Verteilungsfragen und darum, Aufenthaltsqualität zu schaffen - nicht Parkplätze zu streichen. Und das sei in Stadtvierteln, die vor mehr als 100 Jahren entstanden sind, schwierig. Auf die schmalen Bürgersteige auszuweichen, sei keine Option."
Wenn man solche neuen Qualitäten für die Bewohner schaffen will, dann geht das eben auf Kosten von Stellplätzen. Das ist ein bedauerlicher Nebeneffekt, dass Stellplätze verloren gehen - aber nicht das eigentliche Ziel der Maßnahme", sagt Gerlitz.
Im Zuge der Nachhaltigkeitsstrategie, die durch den Jenaer Stadtrat bestätigt worden sei, habe es einen Auftrag mit Einzelmaßnahmen und Modellvorhaben gegeben, um das Verhältnis zwischen ruhendem Verkehr und sonstiger Nutzung des öffentlichen Raums zu verändern. Die Parklets, die sich andernorts bereits bewährt hätten, seien dann eine von mehreren Ideen der städtischen Fachdienste gewesen, die sich eigenständig mit der konkreten Umsetzung befassen.
Die Erprobung der Parklets sei also sowohl mit allen verwaltungsinternen Stellen als auch mit den Bewohnern der Quartiere abgestimmt worden, so etwa mit den Ortsteilräten, sagt Gerlitz.
Ortsteilbürgermeisterin: "Einige versuchen zu skandalisieren"
Dass es bei den Parklets durchaus Argumente auf beiden Seiten gibt, weiß auch Kathleen Lützkendorf (Grüne). Sie ist Ortsteilbürgermeisterin im Stadtteil Jena-Zentrum, wo die Parklets aufgestellt worden sind. Auf Anfrage teilt sie MDR THÜRINGEN schriftlich mit: "Parklets bieten eine Gelegenheit, unsere Sichtweise zu hinterfragen. Es ist ein Platz entstanden, der zur Verkehrssicherheit beiträgt, an dem ältere Menschen sich ausruhen, Kinder verweilen und Nachbarschaft gepflegt werden kann. Einige versuchen zu skandalisieren, dass dafür ein Stellplatz umgenutzt wird. Eigentlich müsste aber auffallen, wieviel Platz in der restlichen Straße von Autos belegt wird."
Natürlich seien die Parklets allein kein Allheilmittel und es sei durchaus bekannt, dass es im Damenviertel hohen Parkdruck gebe, schreibt die Ortsteilbürgermeisterin weiter. Gleichzeitig müsse man aber weg von Mobilität und öffentlichen Räumen, die komplett auf das Auto ausgerichtet sind - nicht nur, aber auch für den Klimaschutz. Laut Lützkendorf bedarf es umfassender Veränderungen, die kommunal angestoßen und begleitet werden müssen.
Land fördert Klimaschutz-Maßnahmen
Ob nun kleine Nachbarschafts-Oase in der städtischen Betonwüste oder Parkplatz-Killer im grünen Gewand: Im Oktober wird über die Zukunft der Parklets in Jena entschieden. Haben sie überzeugt, werden sie gekauft. Das Geld dafür kommt aus dem sogenannten Klimapakt, einem Sonderfonds des Freistaates Thüringen, der Kommunen pauschal Haushaltsmittel für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen zur Verfügung stellt.
"Das ist ein sehr weitreichender Katalog an Maßnahmen, die daraus finanzierbar sind", sagt Gerlitz. In Jena seien es derzeit 67 Projekte, die in diesem und kommenden Jahr aus diesem Budget finanziert werden. Als Beispiele nennt er etwa den Bau von Ladesäulen, die Erstellung eines Hitzeaktionsplans sowie Sonnensegel auf Spielplätzen. Auch die Parklets gehören dazu.
Jetzt sind es erstmal die zwei [Parklets], ich gehe aber ziemlich sicher davon aus, dass es in Zukunft auch noch mehr werden.
Die Miete für das Parklet im Damenviertel kostet für die Dauer der Testphase beispielsweise rund 13.000 Euro. "Die sind wirklich nicht preiswert und erst recht nicht in der Miete, aber etwa 80 Prozent der Mietkosten werden auf den Kaufpreis angerechnet, wenn wir sie kaufen sollten", erklärt der Stadtentwicklungsdezernent das Mietkauf-Modell. Am Ende stehe dann bei einem Kauf der Preis von etwa 16.000 Euro.
Weitere Stadtmöbel nicht ausgeschlossen
Die Parklets sind zudem mit QR-Codes versehen worden, über die man seine Meinung zu den Sitzgelegenheiten äußern oder Hinweise geben kann. Laut Ortsteilbürgermeisterin Lützkendorf beeinflussen die Rückmeldungen, wie Parklets und andere Konzepte künftig in Jena genutzt werden.
Dass die Parklets am Ende tatsächlich gekauft und später vielleicht noch weitere Stadtmöbel angeschafft werden, ist dabei gar nicht so unwahrscheinlich. "Wir sehen aber auch jetzt schon, dass es Nachfragen aus weiteren Ortsteilen gibt - etwa in Jena-West und Jena-Süd", verrät Gerlitz mit Blick auf die Zukunft.
Gerade in innerstädtischen Bereichen mit relativ wenig Grünflächen und Aufenthaltsmöglichkeiten gebe es immer wieder den Wunsch nach Orten, an denen man sich einfach aufhalten kann. "Jetzt sind es erstmal die zwei [Parklets], ich gehe aber ziemlich sicher davon aus, dass es in Zukunft auch noch mehr werden."
MDR (cfr)
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