Ärztekammer Homöopathie-Ausbildung für Thüringer Ärzte gestrichen
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04. März 2023, 08:39 Uhr
In Thüringen wird es künftig keine homöopathische Zusatzausbildung für Ärzte mehr geben. Das hat die Landesärztekammer entschieden. Aber was bedeutet das für die Ärzte und was hat es für Folgen für die Patienten?
- Warum die Schulmediziner Homöopathie praktizieren
- Warum die Krankenkassen die Homöopathie jetzt streichen wollen
- Warum die Patientensicherheit sinken könnte
- Warum die Homöopathie so umstritten ist
Es war eine emotionale Debatte auf der letzten Versammlung der Landesärztekammer. Und das, obwohl es gar nicht um die Homöopathie an sich ging, sondern darum, ob sie künftig von der Kammer als Zusatzweiterbildung angeboten und zertifiziert werden soll.
Zuvor hatte der Deutsche Ärztetag empfohlen, dieses Angebot zu streichen, schon zwölf Bundesländer waren dieser Empfehlung gefolgt.
Kammerpräsidentin Dr. Ellen Lundershausen erklärt das so: "Homöopathie ist kein Teil der Medizin, der wirklich wissenschaftlich begründet ist. Und dann hat er in einer vom Grundsatz her nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten aufgestellten Weiterbildungsordnung, um es mal lax zu sagen, nichts zu suchen."
Sie selbst ist Hals-Nasen-Ohren-Ärztin und hat keine Erfahrungen mit Homöopathie. "Ich meine schon, dass Naturheilverfahren ihre Wirkung haben, ihre Richtigkeit haben und natürlich zu vielen Bedingungen zur Stärkung oder zur Verbesserung von Krankheitsabläufen auch wirklich einen guten Beitrag leisten können. Das ist aber für mich etwas ganz anderes als Homöopathie."
Folgen eher langfristig
Unmittelbar hat die Entscheidung der Ärztekammer zunächst keine Folgen. Patienten können sich weiter behandeln lassen, alle Ärzte, die bereits die Zusatzbezeichnung Homöopathie erworben haben, dürfen sie weiter führen. Derzeit sind das in Thüringen 70 Ärztinnen und Ärzte von insgesamt etwa 9.000. Wenn die allerdings aufhören, rückt künftig niemand nach.
Einge von ihnen waren als Gäste bei der Versammlung in Jena dabei, berichteten von teils jahrzehntelangen Erfahrungen mit der Homöopathie, wie Dr. Manfred Heimbrodt, Allgemeinmediziner aus Gotha: " Ich habe da zunehmend Erfolg vor allem bei Kindern und bei chronischen Leiden wie Asthma oder Neurodermitis."
Er bedauert sehr, dass die Weiterbildung gestrichen wurde, weil das aus seiner Sicht auch die Therapiefreiheit einschränkt. "Man hätte sonst als Arzt einen Pfeil mehr im Köcher der Therapiemöglichkeiten."
Das bestätigt Dr. Petra Stüber. Sie ist Landärztin in Friedrichswerth im Landkreis Gotha und beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Homöopathie. "Wir sind hier etwas abseits von den Apotheken, von den großen Einkaufszentren. Und da macht es sich schon bemerkbar, dass ich meinen Patienten auf ganz kurzen, schnellen Weg mit einem homöopathischen Mittel helfen kann".
Verschiedene Erfahrungen durch Corona
Das habe sie vor allem während der Corona-Pandemie bemerkt: "Wir konnten viele Krankenhauseinweisungen vermeiden. Wir konnten auch viele schwere Verläufe vermeiden, wenn die Patienten rechtzeitig gekommen sind, einfach durch die homöopathischen Mittel", erinnert sie sich.
Genau das Gegenteil sagte eine andere Ärztin in der Diskussion. Corona habe aus ihrer Sicht sehr deutlich eine gewisse "Wissenschafts-Müdigkeit" erzeugt. Gerade deshalb müsse sich die Kammer in ihrer Weiterbildung auf wissenschaftlich fundierte Themen beschränken. "Sonst leisten wir doch dem Gefühl Vorschub, dass Wissenschaft verzichtbar ist."
Homöopathie bald keine Kassenleistung mehr?
Der Beschluss der Kammer könnte dafür sorgen, dass Homöopathie bald keine Kassenleistung mehr ist. Zwar dürfen homöopathisch tätige Ärztinnen und Ärzte diese Art der Versorgung weiterhin ausüben. Doch müssten die jeweiligen Krankenkassen die Behandlung nicht länger bezahlen. Die erste hat bereits reagiert: Die AOK PLUS hat die Verträge über die vertragsärztliche Behandlung mit klassischer Homöopathie mit den Kassenärztlichen Vereinigungen jetzt zum 31. März 2023 gekündigt.
Homöpathie umstritten, aber gefragt
Zur Begründung für die Leistungskürzung führte die AOK Plus an, dass das Thema Homöopathie politisch und gesellschaftlich immer wieder kontrovers diskutiert und die Finanzierung durch gesetzliche Krankenkassen hinterfragt werde. Andererseits würden alternative Heilmethoden wie die Homöopathie von einem Teil der Bevölkerung aktiv nachgefragt und als Alternative zur klassischen Schulmedizin gesehen.
Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit von homöopathischen Behandlungen.
Von der DAK heißt es: "Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit von homöopathischen Behandlungen. Einige Versicherte vertrauen dennoch darauf. Dies gilt insbesondere, wenn vertragsärztliche Methoden bereits ausgeschöpft wurden. Wie andere Kassen auch nutzt die DAK-Gesundheit deshalb die Möglichkeiten des Gesetzgebers, im Bereich der Homöopathie gewisse Kosten im Rahmen einer Satzungsleistung zu erstatten. Grundsätzlich besteht aus unserer Sicht aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Evidenz im Bereich der Homöopathie ein Regelungsbedarf durch den Gesetzgeber."
Thema Patientensicherheit
Genau da sieht Dr. Christoph Schnegg, praktischer Arzt aus Bad Berka, ein großes Problem: Wenn gut ausgebildete Schulmediziner die Homöopathie zusätzlich anbieten würden, sei das wesentlich seriöser, als wenn die Patienten ausschließlich auf Heilpraktiker angewiesen seien.
"Ich bin überzeugt, dass die Patienten, die sich für Homöopathie interessieren, sich immer irgendwo homöopathisch behandeln lassen werden. Und die Patienten, die dann eben bei halb oder gar nicht gut ausgebildeten Menschen in die Behandlung gehen, begeben sich möglicherweise in Gefahr, weil nur das Zusammenspiel von qualifizierter universitärer ärztlicher Ausbildung, die wir alle durchlaufen haben, plus zusätzlich die Homöopathie gewährleistet, dass gefährliche Verläufe erkannt werden. Und zwar rechtzeitig."
Der Arzt könnte dann laut Schnegg entscheiden, wann schulmedizinische Therapien eingesetzt werden sollten oder der Patient ins Krankenhaus muss. "Das ist bei einer Behandlung ausschließlich durch Heilpraktiker nicht gewährleistet. Und diese Gewährleistung schafft eine hohe Sicherheit für die Patienten. Und deswegen gehört Homöopathie in Ärztehand."
Fehlende Studien immer wieder Thema
Hauptargument der Gegner der Homöopathie ist der immer wieder geäußerte Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit beziehungsweise "fehlender Evidenz", durch den alle Heilerfolge dem Placebo-Effekt zugeschrieben werden. Es gebe keine wissenschaftlichen Studien, die die Wirksamkeit der Methode belegen würden.
Dr. Michaela Geiger vom Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) sagte dazu in einem Interview auf "Krankenkasseninfo.de": "Auch ein nicht geringer Prozentsatz dessen, was in der konventionellen Medizin täglich verordnet wird, hat wenig und teilweise auch gar keine Evidenz im Sinne hochwertiger wissenschaftlicher Studien. Dennoch kommen solche Therapien zur Anwendung, weil es in der Medizin eben nicht nur um Wissenschaft, sondern auch um ärztliche Erfahrung geht."
Und wenn ein Heilerfolg nur und ausschließlich auf einen Placebo-Effekt zurückzuführen wäre, so Geiger weiter, dann bliebe dieses Ergebnis dennoch ein Heilerfolg. "Wenn es homöopathischen Ärzten also gelingen sollte, derartige Effekte zu erzielen ohne jede wirksame Therapie, dann stellt sich doch die Frage, warum macht es die konventionelle Medizin nicht ganz genau so: effektiv und nebenwirkungsarm?"
Wie Christian Trapp, Pressesprecher des DZVhÄ MDR THÜRINGEN sagte, gibt es sehr gute Studien aus der Versorgungs- und Grundlagenforschung, aber auch aus der klinischen Forschung, die die Wirksamkeit der Homöopathie belegen.
Trapp verweist auf die Arbeit von Dr. Robert Mathie, der 22 doppelblinde, placebokontrollierte, randomisierte klinische Studien untersucht habe. Die Analyse habe ergeben, dass individuell verordnete homöopathische Arzneimittel mit 1,5- bis 2,0-fach höherer Wahrscheinlichkeit eine positive Wirkung haben als Placebos.
In der Schlussfolgerung zu seiner Studie schreibt Mathie allerdings, dass es nur einen "kleinen statistisch signifikanten Effekt" zugunsten homöopathischer Behandlungen gibt. Dieser Befund sei nicht robust, da er nur auf drei Studien beruhe, die zuverlässige Beweise enthielten. Das bedeute, so die Meta-Analyse, dass es aktuell keinen belastbaren Beweis gibt, dass homöopathische Arzneimittel über den Placeboeffekt hinaus wirken.
Begriffserklärung Homöopathie
Die Homöopathie ist eine deutsche Erfindung: Der Arzt Samuel Hahnemann hat sie vor etwa 200 Jahren begründet. Sie setzt auf die Selbstheilungskräfte des Körpers, die durch gezielte Reize reguliert und wieder ins Gleichgewicht gebracht werden sollen. Basis sind pflanzliche, mineralische und tierische Substanzen, die vielfach verdünnt werden. Sie werden meist als Tropfen, Tabletten oder Kügelchen (Globuli) verabreicht. Nach Angaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurden 2021 bundesweit rund sieben Millionen Euro für homöopathische Medizin ausgegeben. Das entspreche rund 0,01 Prozent des GKV-Bruttoumsatzes.
Im Landesverband Thüringen des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte sind nach eigenen Angaben 56 Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen organisiert.
Krankenkassen-Studie
Im Jahr 2020 hatte die Krankenkasse Securvita eine Studie veröffentlicht, die auf den Daten von 15.700 Securvita-Versicherten basierte. Das Ergebnis: "Die Studie belegt, dass Homöopathie-Nutzer bei wirtschaftlich bedeutenden Parametern wie Krankenhausaufenthalten, Arzneimittelverbrauch und Krankentagen gesundheitliche Vorteile gegenüber einer konventionell behandelten Vergleichsgruppe hatten."
Die Securvita-Studie liefert nach Meinung der Kasse "viele Argumente für das Miteinander von Schulmedizin und Homöopathie". Die homöopathische Zusatzausbildung der Ärzte sollte gefördert werden statt sie zu streichen, so die Krankenkasse. "Wir brauchen nicht weniger sondern mehr homöopathische Ärzte, die diesen erfolgreichen Weg weitergehen", sagt Götz Hachtmann, Vorstand der Securvita Krankenkasse.
"Patienten wollen wählen können"
Eine Wahrnehmung der Ärzte wird auch von den Krankenkassen geteilt: Immer mehr Menschen interessieren sich für mehr als die klassische Schulmedizin. Sie wollen aus beiden Welten genau das, was ihnen hilft. Und deshalb ärgert sich Dr. med. Kathrin Koch auch über die Debatte.
Sie hat sich nach eigenen Worten erst vor vier Jahren als Hausärztin niedergelassen, war vorher Anästhesistin und Intensivmedizinerin. Sie arbeitet immer noch als Notärztin und ist zur Homöopathie gekommen, als sie ihren Sohn bekommen hat. Sie hat sich intensiv damit beschäftigt und ihren zweiten Facharzt gemacht.
"Ich habe zunehmend das Gefühl, dass sich viele Patienten, gerade weil ich Homöopathie mache, in meiner Praxis vorstellen und fragen, ob sie nicht bei mir als Patient aufgenommen werden können. Ich finde es wirklich schade, dass andere Kollegen jetzt nicht die Chance bekommen, diese Ausbildung zu machen."
In den vergangenen fünf Jahren haben in Thüringen übrigens sechs Ärtztinnen und Ärzte diese Zusatzqualifikation erworben. Die Krankenkassen verweisen außerdem darauf, dass es auch außerhalb der Ärztekammern gute Weiterbildungsangebote gibt. Allerdings werden die Ärztekammern für fremde Anbieter keine Zertifikate ausstellen. Und das macht es für Patienten zumindest schwerer, die Qualität zu bewerten.
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 02. März 2023 | 18:00 Uhr
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