"Placebomedizin" und die DDR Kügelchen trotz Sozialismus: Homöopathie und die Staatsmedizin
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28. Mai 2022, 12:39 Uhr
Vor über 200 Jahren wurde die Homöopathie als alternative Behandlungsform vom Köthener Arzt Samuel Hahnemann in Mitteldeutschland entwickelt. Sein Prinzip, dass Ähnliches mit Ähnlichem geheilt werden solle, wird von der Schulmedizin abgelehnt. Schon die Staatsmedizin der DDR tat sich mit dem Erbe schwer und verbannte die Homöopathie. Nun streicht der Ärztetag die Zusatzbezeichnung "Homöopathie" aus der Weiterbildungsverordnung.
Einen Homöopathen neben dem Hausarzt zu konsultieren, war einst weit verbreitet. Doch in der DDR verbannte man die unwissenschaftiche Alternative zur Schulmedizin in die Hinterzimmer. Praktische Ärzte boten die Behandlungen nicht mehr an oder taten es ganz diskret nur auf Nachfrage. Dabei steht die Wiege der Homöopathie in Mitteldeutschland, im Sachsen-Anhaltischen Köthen.
Doktor Zufall
Genau unter diesen Bedingungen geriet Liane Just mit der Homöopathie in der DDR in Berührung. Zufälligerweise war sie Bewohnerin des Hahnemann-Hauses in Köthen. Als Mutter eines zweijährigen Sohnes, der seit Ende der 1980er-Jahre an einer seltenen Knochenkrankheit litt, war sie bereits mit der Schulmedizin in der DDR vertraut.
Zu dem damaligen Zeitpunkt gab es in der Allgemeinmedizin keine Medikamente für die Krankheit. Und da das unser einziges Kind war, und wir uns große Sorgen gemacht haben, haben wir uns natürlich umgehört, was noch helfen könnte.
Als ein Magdeburger Arzt und Homöopath auf den Spuren von Samuel Hahnemann in Köthen wandelte, klopfte er selbstverständlich auch an das mittlerweile marode Haus, das Familie Just 1985 erworben hatte. Als dieser das kranke Kind bemerkte, bot er der Familie an, ein homöopathisches Mittel zu verschreiben. Die Leid geplagte Mutter probierte es mit dem Mittel und berichtet, dass sie Erfolg hatte. Für Allgemeinmediziner und Orthopäden unerklärlich, zeigte sich auf späteren Röntgenbildern eine extreme Besserung, wie Liane Just heute berichtet.
Was ist Homöopathie?
Homöopathie ist eine Behandlungsmethode der Alternativmedizin. Die zentrale Annahme dabei ist, dass Krankheiten mit einer Substanz geheilt werden können, die bei gesunden Menschen ähnliche Symptome hervorruft wie die Krankheit selbst. Diese Substanzen werden allerdings stark, zum teil extrem sogar stark verdünnt ("potenziert"). Die Wirksamkeit dieser Methode ist wissenschaftlich nicht bewiesen. Die Wirkung homöopathischer Präparate geht in Studien nicht über den Placebo-Effekt hinaus. Die Schulmedizin lehnt die Homöopathie deshalb als unwissenschaftlich, wirkungslos und teilweise sogar gefährlich ab.
Wer hat die Homöopathie erfunden?
Homöopathie wurde vom deutschen Arzt Samuel Hahnemann entwickelt. In den 1790er-Jahren entwickelt er das so genannte Ähnlichkeitsprinzip. Danach kann eine Substanz Krankheiten heilen, wenn sie (in höherer Dosierung) ähnliche Symptome wie die Krankheit hervorruft. Kurz nach der Jahrhundertwende sind erste Behandlungen nach diesem Ähnlichkeitsgesetz erstmals zweifelsfrei in Hahnemanns Krankenjournal dokumentiert. 1810 erscheint die erste Auflage seines Grundlagenwerks zur Homöopathie, zunächst unter dem Titel "Organon der rationellen Heilkunde", in späteren Auflagen als "Organon der Heilkunst" bekannt.
Homöopathie – verpönt, aber geduldet
Dass Liane Just und ihrem Sohn Ende der 1980er-Jahre mit Homöopathie geholfen werden konnte, war ein kleines Wunder. Vor allem weil Homöopathie in der DDR bereits seit den 1950er-Jahren verpönt war. Schon kurz nach der Staatsgründung wurde das junge Gesundheitswesen der DDR, versehen mit dem Anspruch unbedingter Wissenschaftlichkeit, auf den Boden des "naturwissenschaftlichen Materialismus" gestellt. Fortan wurde die alternative Behandlungsform als Scharlatanerie neben Wunderheilen, Rutengehen und Gesundbeten in die esoterische Ecke gestellt.
Nach dem Krieg praktizierte noch eine große Anzahl homöopathischer Ärzte. Allerdings gab es ab 1952 keine Ausbildungsmöglichkeiten mehr für die Homöopathie. Sicherlich erhoffte man sich von offizieller Seite damit eine biologische Lösung des Problems. Und dennoch verordneten Ärzte sämtlicher Fachrichtungen weiterhin homöopathische Medikamente.
Präparate aus sozialistischer Produktion
Im Lebensalltag der DDR wurden alternative Heilmethoden dennoch zu jeder Zeit praktiziert. Neben wenigen verbliebenen Homöopathen gab es auch immer wieder einzelne Schulmediziner, die zusätzlich eine homöopathische Behandlung anboten. Viele der Mittel und deren Anwendung waren in der älteren Bevölkerung noch bekannt und mussten nur besorgt werden. Es brauchte keinen verrenteten Großonkel mit Reisevisum oder gar Schmuggel, um an die Präparate zu gelangen.
Die Homöopathie war sehr beliebt in der Bevölkerung. In der offiziellen Lesart war sie eine wissenschaftlich gut erforschte Placebo-Methode, und sie war kostengünstig in ihrer Herstellung. Man kann also sagen, dass die Homöopathie in der DDR ein Nischendasein führte, aber niemals gänzlich bedroht war.
Einige wenige Arzneimittelbetriebe in der DDR produzierten homöopathische Präparate, darunter die Bombastus-Werke im sächsischen Freital oder die großen Arzneimittelwerke in Dresden und Leipzig, die zum Pharmazeutischen Großkombinat GERMED gehörten. Hier wurden die Präparate in einem offiziellen staatlichen Verzeichnis geführt und zu geringen Preisen abgegeben.
DDR-weiter Versand über Leipzig
Eine wichtige Bezugsquelle für homöopathische Zubereitungen war zudem die staatliche Zentralapotheke in Leipzig. Über sie wurde der republikweite Versand abgewickelt. Dennoch blieb das Verhältnis zwischen der Staatsmedizin und der Alternativmedizin ein widersprüchliches. Noch heute ist die bloße Existenz der Homöopathie in der DDR vielen gänzlich unbekannt. Andere, wie Liana Just, erfuhren nur durch Zufall davon. Entweder geriet man an den "richtigen" Arzt oder man konnte von Erfahrungen profitieren, die bereits in der Familie existierten. Offiziell wurde das Erbe Samuel Hahnemanns vehement abgelehnt, im Alltag wurde es hingegen stillschweigend geduldet.
Hahnemanns ehemaliges Wohnhaus beherbergt heute ein kleines Museum. Daneben hat die Europäische Bibliothek für Homöopathie ihren Sitz. Mit zahlreichen Veranstaltungen würdigt auch die Stadt Köthen ihren berühmten Sohn.
Literaturtipp
"Homöopathie in der DDR" - Die Geschichte der Homöopathie in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR 1945-1989
Autorin: Anne Nierade
KVC-Verlag 2012 / 320 Seiten
ISBN 978-3-86864-017-5
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Brisant 17.15 Uhr | Homöopathie - Scheinmedikamente | 19. Mai 2022 | 17:15 Uhr