Provenienzforschung Raubkunst in Thüringen? Forschende helfen kleinen Museen bei Suche

09. April 2023, 13:05 Uhr

Woher stammen die Exponate in Thüringer Museen? Licht ins Dunkel bringt die Provenienzforschung, die klären will, ob außergewöhnliche Exponate rechtmäßig ausgestellt werden.

Antike Teeschalen aus Japan, Jadefiguren oder diamantbesetzte Schwerter. Schätze wie diese werden in vielen Museen präsentiert; etwa im Grünen Gewölbe in Dresden. Doch in einem Stadtmuseum vermutet man solche exotischen Dinge nicht. Und doch schlummern in Museumsdepots viele ungewöhnliche Dinge aus fremden Ländern.

Provienzforschung klärt Herkunft von Ausstellungsstücken

Woher stammen diese - und auf welchem Weg sind sie zu uns gekommen? Licht ins Dunkel bringt die Provenienzforschung, die klären will, ob die außergewöhnlichen Exponate rechtmäßig in den Museen lagern. Zur Zeit lässt der Thüringer Museumsverband dazu an vier Ostthüringer Häusern forschen; auch im Stadtmuseum Gera.

Groß ist die Waffenkammer im Depot nicht. Doch ich als Laie staune: Rüstungsteile, goldene Dolche und Helme, gezeichnet von den Spuren der Zeit. Der Historiker Konrad Kessler leitet seit Juni 2022 das Geraer Stadtmuseum. Und er staunt immer wieder, was er hier unten entdeckt.

Verdächtige Exponate aus Sumatra

Zur Zeit liegt der Fokus der Museumsmitarbeiter auf Stücken, die optisch eindeutig der Region Fernost zuzuordnen sind. Auch im Waffendepot entdecken er und Provenienzforscherin Hannah Romstedt "Verdächtiges" - nämlich ein Schwert aus Sumatra. Es gehört ganz offensichtlich zu den anderen exotischen Exponaten im Museum, die definitiv nicht aus Gera stammen. So wie kleine Modellhäuser aus Sumatra; weit über 100 Jahre alt.

Eine Figur der Benin-Bronzen 43 min
Bildrechte: MDR/Deutsche Welle

Klar ist inzwischen: Der Geraer Unternehmer Louis Hirsch hat diese mit nach Gera gebracht. Um die Jahrhundertwende hatte er sich von Gera aus ein kleines Imperium geschaffen. Weltweit gehörten Louis Hirsch 20 Firmen: von den USA über Kroatien und die Niederlande bis nach Sumatra. Die kleinen Häuser und das Schwert sind sehr wahrscheinlich einfach nur Souvenirs. Das hat die Forschung von Hannah Romstedt bislang ergeben: "Generell schaue ich den zeithistorischen Hintergrund an. Wann war Louis Hirsch auf Sumatra tätig, welche Interaktionen gab es da mit dem europäischen Kolonialismus? Ich versuche anhand dessen zu interpretieren, inwiefern ein Erwerb problematisch ist."

In diesem Fall ist - nach ersten Erkenntnissen - alles mit rechten Dingen zugegangen. Hannah Romstedt sucht weiter: in Karteikartensammlungen des Museums, im Stadtarchiv. Allerdings ist es nur ein Erstcheck, um die Hintergründe von sensiblem Sammlungsbestand erforschen zu lassen. Die betroffenen Objekte müssten dann noch tiefer untersucht werden.

NS-Raubstücke in 90 Prozent aller Museen

Diese Art der Forschung könnten kleinere Museen allein nicht leisten. Deshalb unterstützt hier der Thüringer Museumsverband. Acht Museen von Nordhausen bis Greiz und Altenburg bis Sondershausen werden genauer unter die Lupe genommen und es wird geschaut, welche Objekte betroffen sein könnten. 240 Museen sind im Verband organisiert. Eine Umfrage hat ergeben: Rund 90 Prozent aller Museen verfügen über Raubstücke aus der Zeit des Nationalsozialismus. Rund die Hälfte aller Museen hat in irgendeiner Form Kontakt zu Objekten aus kolonialen Kontexten gehabt. Viel Arbeit für die Provenienzforschung, die vom deutschen Zentrum für Kulturgutverluste angeleitet wird.

Es ist in jedem Fall für uns eine wichtige und sinnvolle Ergänzung, weil wir im museologischen Alltagsgeschäft viel zu wenig zur Forschung kommen.

Konrad Kessler, Stadtmuseum Gera

Rund 100 Exponate werden in Gera geprüft

Um die 100 Exponate wird Hannah Romstedt in Gera wahrscheinlich prüfen. Die Souvenirs des Unternehmers Louis Hirsch sind der kleinste Posten. Doch in den 1960er-Jahren wurde eine große Sammlung eines DDR-Flüchtlings übernommen. Viele Stücke, die aus Asien stammen könnten. Bei denen man aber auch nicht weiß: Sind es Originale oder gut gemachte Repliken? Auch das liegt Museumsleiter Konrad Kessler am Herzen - mit wissenschaftlicher Expertise wird klar, woher das Stück kommt, wie es genutzt wurde.

Das kann kein anderer Ort mit der Bestimmtheit sagen. Die Aura des Originals kitzeln wir heraus und stellen das in einen Kontext, der Objekte von allen Seiten beleuchtet; wissenschaftlich belegt.

Konrad Kessler, Stadtmuseum Gera

In einer Zeit, in der im Internet alles erzeugt werden kann, ist dem Museum wichtig, mit wissenschaftlichen Fakten zu arbeiten und Fake News zu vermeiden, so Konrad Kessler: "Dafür stehen Museen. Wir bewahren die Originale. Wir sorgen auch in Zukunft dafür, dass es Orte gibt, wo man Geschichte erleben kann."

Der Fokus des Stadtmuseums Gera liegt - wie der Name sagt - auf der Stadtgeschichte. Demnächst ist dort eine neue Sonderausstellung zum Thema "Geld" geplant. Davon hatte der Unternehmer Louis Hirsch reichlich. Und vielleicht finden seine Unternehmungen, seine Souveniers aus Sumatra in dieser Ausstellung auch einen Platz. Dann aber mit neuem Hintergrundwissen, das durch die Provenienzforschung bekannt wurde.

Internationaler Tag der Provenienzforschung Der 12. April ist der offizielle Internationale Tag der Provenienzforschung. Dieses Jahr findet er zum vierten Mal statt. Dabei stellen kulturelle Einrichtungen ihre Arbeit auf diesem Gebiet einer breiten Öffentlichkeit vor. Der Museumsverband Thüringen lädt zu einer Online-Veranstaltung ein.

MDR (nis)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 09. April 2023 | 19:00 Uhr

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